Interview

Rapper Apsilon im Gespräch: „Man muss nicht immer Akzeptanz haben“


Der Berliner Rapper Apsilon gibt Rap eine neue politische Stimme. Ein Gespräch über Engagement, Perspektiven, Widersprüche, Identitätskonstruktion und darüber, keine Heimat zu haben – abgesehen von der eigenen Straße und dem Kiez.

Apsilon gibt dem zeitweilig politikverdrossen erscheinendem Deutschrap eine neue Stimme. Aufgewachsen und wohnhaft ist der 24-Jährige in Berlin-Moabit. Rund ein Jahrzehnt lang verfasst der Rapper bereits Texte, bevor er durch Twitter auf dem Radar von Rapper und Produzent Ahzumjot auftauchte. Am 14. Januar dieses Jahres veröffentlichte Arda, wie er bürgerlich mit Vornamen heißt, seine erste EP GAST.

Der Rapper hat sich auf seiner EP insbesondere erinnerungspolitische, aber auch antikapitalistische und gesellschaftskritische Themen auf die Fahne geschrieben. Als Enkel türkischer Gastarbeiter*innen hält Apsilon nicht nur deren Erfahrungen fest, sondern skizziert gleichzeitig tiefgreifende gesellschaftspolitische Strukturen der Vergangenheit und Gegenwart. Die Lyrics fühlen sich wie ein Ruf ins Gedächtnis mit schonungslosen und authentischen Emotionen an. Der dazugehörige Sound ist trappig und einfach konsumierbar. Wir finden: Kritik an der bestehenden Ordnung mit Rap als Waffe des Protests war noch nie so leicht bekömmlich. Wir trafen Apsilon via Zoom in seinem Zuhause in Moabit. Unser Eindruck: Ein junger, bescheidener Mann den gefühlt nichts so schnell aus der Ruhe bringen kann.

Musikexpress.de: Von vielen Rap-Journalist*innen wirst du als neuer Hoffnungsträger der Szene geadelt. Wie erklärst du dir das?

Apsilon: Hoffnungsträger empfinde ich als etwas hochgegriffen. Jedenfalls ist das keine Selbstzuschreibung. Ich glaube jedoch, dass viele Menschen in den vergangenen Jahren im Deutschrap etwas Abwechslung vermisst haben. Es gibt guten Rap, das möchte ich gar nicht anzweifeln und da ich selbst Deutschrap höre, kann ich mich davon auch nicht abgrenzen. Ich sehe mich als Teil davon – aber glaube, dass ich inhaltlich ein bisschen etwas anderes mache. Zumindest anders als viele von denen, die in Deutschland momentan Musik machen.

Einige deiner Tracks werden vom Hamburger Rapper und Wahlberliner Ahzumjot produziert. Wie kam der Kontakt zustande, und wie hast du die Zusammenarbeit empfunden?

Apsilon: (lacht) Es ist witzig, irgendwie interessieren sich alle für diese Story. Zusammengekommen sind wir durch einige Demos, die ich ihm schickte. Ich habe Ahzumjot schon länger verfolgt. Anfangs war ich einfach ein Fan von ihm und seiner Musik. Eines Tages hat er sich auf Twitter darüber aufgeregt, dass sich in Deutschland nur noch die großen Künstler*innen untereinander featuren. Es ginge nicht mehr darum, ein Feature aus künstlerischer Sicht zu machen, sondern nur noch aus einer kapitalistischen. Viele haben den Post kommentiert und ein gemeinsames Feature vorgeschlagen. Ahzumjot antwortete und bot den unbekannten Künstler*innen an, ihm ihre Tracks per Mail zu schicken. Ich war einer davon – und er hat meine Demos tatsächlich gefeiert. Wir telefonierten einige Male und dann haben wir angefangen Musik zu machen.

Hast du dich auf diesen Demos auch schon mit politischen Themen auseinandergesetzt?

Apsilon: Ja, voll! Die Themen waren sehr politisch. Die Demos stammten aus älteren Zeiten. Die Richtung, um die es in Zukunft gehen sollte, hatte ich aber damals schon verraten.

Dürfen Fans diese Demos eines Tages hören?

Apsilon: Nein, die sind bisher nicht erschienen und werden auch nie erscheinen.

Warum hast du dich dazu entschieden, dein politisches Engagement mit Musik auszudrücken? Du hättest schließlich auch ein Ehrenamt oder Ähnliches beginnen können, um dich zum Beispiel für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Apsilon: Ich war bereits einen großen Teil meines Lebens politisch aktiv. Gleichzeitig habe ich aber auch Texte geschrieben und Musik gemacht. Letzten Endes geht mit Musik immer ein bestimmter Selbstausdruck einher. Ich sehe den musikalischen, aber auch den politischen Teil als essenzielle Bestandteile meines Wesens und meiner Lebenswelt an. Somit ist es logisch für mich, dass ich beide Teile von mir in der Musik verbinde. Ich habe mit der Musik jedoch nicht angefangen, um sie als Vehikel zu benutzen. Es war kein „Entweder, oder“. Es hat sich komplett unabhängig voneinander entwickelt.

Wo hast du dich anderweitig politisch eingesetzt?

Apsilon: Zum Beispiel in linken Kreisen – aber auch im Gesundheitsbereich. Ich studiere Medizin und selbst an der Uni kann man gesundheitspolitisch viel machen und bewirken.

Inwiefern erhoffst du dir eine bildende Perspektive für Menschen ohne Migrationshintergrund einnehmen zu können? Ich könnte mir vorstellen, dass sich einige Menschen durch Musik erstmals mit anderen Lebensrealitäten beschäftigen.

Apsilon: Das Wort Bildung möchte ich ungern benutzen. Ich finde, das ist immer etwas, was man mit dem Zeigefinger assoziiert. Das ist definitiv nicht mein Anspruch und ich sehe mich auch nicht in der Position dazu. Man könnte aber möglicherweise eine gewisse Reflexion oder eine emotionale Auseinandersetzung mit bestimmten Themen anregen. Ich habe nicht den Hintergedanken, für eine bestimmte Gruppe eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Was möchtest du Menschen dann mit deiner Musik vermitteln?

Apsilon: Wenn sich Leute inspiriert fühlen, sich weiterzubilden, politisch aktiv zu werden oder einfach Sachen zu hinterfragen – dann freut mich das! Dies ist jedoch nicht der ausschließliche Grund, warum ich Musik mache. Ich möchte aus künstlerischer Sicht authentische Emotionen vermitteln. Das ist der Vorteil von Musik und vor allem auch von HipHop.

Dein Song „Köfte“ handelt vor allem von Gastarbeiter*innen der 50er- und 60er-Jahre, wie es auch deine Großeltern waren. Inwiefern trägt das Erinnern deiner Großeltern zu deiner Identitätskonstruktion bei?

Apsilon: Auf jeden Fall immer stärker. Früher wusste man nur, dass die Großeltern als Gastarbeiter*innen hergekommen sind und auch, was sie ungefähr gemacht haben. In den vergangenen paar Jahren habe ich mich detaillierter mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt und zugleich einen viel differenzierteren Umgang damit gefunden. Ich habe viel mit meinen Großeltern gesprochen. Darüber, was sie nach Deutschland gebracht hat und was sie hier erlebt haben. Zum Beispiel Rassismus und Ausbeutung, – aber auch Hoffnung. Diese Erfahrungen sind auch für nachfolgende Generationen identitätsstiftend – ob man will oder nicht.

SEHT HIER APSILON IN SEINEM VIDEOCLIP ZU „KÖFTE“:

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Du sprichst in dem Track außerdem darüber, keine Heimat zu haben – abgesehen von der eigenen Straße und dem Kiez. Hast du dich jemals zwischen den Teilen deiner kulturellen und sozialen Identität zerrissen gefühlt?

Apsilon: Absolut. Eine gewisse Zerrissenheit trägt, glaube ich, fast jeder migrantische Mensch in sich. Das ist praktisch unumgänglich. Wenn Menschen so etwas nicht spüren, haben sie sich womöglich komplett assimiliert. Das ist bei mir aber nicht so: Ich spreche, lese und schreibe auf türkisch. Ich bin öfter in der Türkei und habe auch viele türkische Freunde. Das alles sind Dinge, die mich sehr stark sozial prägen – Deutschsein aber genauso. Ich hatte da einen sehr wechselhaften Bezug im Leben. Kulturell ist für mich anderes identitätsstiftend. Dazu gehört vor allem mein Leben in Berlin-Moabit – die Musik, die man konsumiert, aber auch die Erlebnisse, die man hier mit anderen teilt. Jetzt bin ich aber an einem Punkt angelangt, wo ich das Deutschsein ablehne. Damit einher geht die Geschichte der 17-jährigen Dilan, die in Berlin-Prenzlauer Berg rassistisch angegriffen wurde. Ich möchte mich nicht länger rechtfertigen müssen, inwiefern ich deutsch oder türkisch bin, beides sehe ich kritisch: Ich wäre nicht stolz darauf, Deutscher zu sein. Und in der Türkei wuchs ich nicht auf und lebte nie dort. Ich bin von diesem Land kulturell beeinflusst und habe einen persönlichen Bezug. Aber auch dort laufen viele Dinge schlecht.

Was bedeutet Heimat für dich?

Apsilon: Ich habe keine erste und zweite Heimat. Nationalflaggen bestimmen meine Identität nicht. Der Heimatbegriff hat zu viele Widersprüche. Am ehesten würde ich sagen, dass Freunde und Familie meine Heimat sind. Türkische Musik ist vielleicht auch meine Heimat, genauso wie Deutschrap. Die türkische Nation würde ich aber niemals zu meiner Heimat zählen, ebenso wenig wie Deutschland.

Auf dem Song ,,Taugenichts‘‘ sprichst du unter anderem über soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und den zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland. Du sagst an einer Stelle: ,,Lasst die rechten Feinde links liegen, die hab’n leider keine Sinnkrisen, sondern einfach keine Prinzipien.‘‘ Wie meinst du das?

Apsilon: Damit sind Deutschland sowie einzelne Personen gemeint. Es ist eine Abrechnung und mein Mittelfinger an die Harmoniebedürftigkeit Deutschlands im Umgang mit Nazis und Rechtspopulisten. Man sollte nicht immer für alle und alles Akzeptanz haben und Verständnis aufbringen. An einigen Menschen prallen rationale Argumente ab und es bringt meist wenig, sie überzeugen zu wollen. Ich möchte einfach nichts mit solchen Menschen zu tun haben.

„Wir brauchen mehr Stimmen, die im HipHop die Probleme der Gesellschaft anprangern“

Im Track „Sport“ erzählst du von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen deinem Freundeskreis und Rechtsradikalen. Hat es diese wirklich gegeben?

Apsilon: Ja. In dem Song geht es ja um meine Leute und deine Leute – also um die Gegenüberstellung. Das ist auch im breiteren Sinne gemeint. Da geht es um Personen im engen Freundeskreis, aber auch um die Leute, mit denen ich mich gesellschaftlich in einer Bewegung oder Gruppe sehe, oder sehen möchte. Aber auch in meinem Freundeskreis gibt es Leute, die schon einmal Auseinandersetzungen hatten. Wenn man in linken Kreisen unterwegs ist, gibt es immer Rechte, mit denen man konfrontiert ist.

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HipHop stellt seit seiner Entstehung das Sprachrohr marginalisierter Gruppen dar. Heute geht es aber häufiger vielmehr um Konsum, Markenplatzierung und – nun ja – eben flexen. Findest du, dass der ursprüngliche Gedanke von HipHop auf der Strecke geblieben ist?

Apsilon: Ich möchte mich nicht von Deutschrap distanzieren, aber letztlich bin ich der Meinung, dass der Markenfetischismus und der Lifestyle auch nur Produkte der neoliberalen Ära sind, in der wir leben. Aber ja, wir brauchen mehr Stimmen, die im HipHop die Probleme der Gesellschaft anprangern, kritisieren, Frustrationen einfangen und die Wut darüber ausdrücken. Die damit verbundenen Emotionen sollen authentisch wiedergegeben werden und ich hoffe einfach, dass ich das mache oder machen kann. Ich höre aber auch Musik, die inhaltlich belanglos ist. Manchmal muss es einfach nur ballern. (lacht)

Was wünscht du dir für die gesellschaftliche Zukunft in Deutschland und wie erhoffst du dir ein Teil davon zu sein?

Apsilon: Schöne Abschlussfrage (grinst). Ich hoffe, dass wir den Kapitalismus sowie unter anderem Rassismus, Sexismus und Umweltzerstörung überwinden können. Ich hoffe, wir können dagegen eine gemeinsame Bewegung aufbauen, von der ich ein kultureller Teil sein möchte. Denn ich glaube, dass Kultur ebenso wichtig für eine politische Bewegung ist.

HÖRT JETZT APSILONS ERSTE EP „GAST“ HIER IM STREAM:

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