Julian Lennon – Vaters Sohn


Die Fußstapfen, in die er treten will, sind beängstigend groß. John Lennons Sohn zu sein, scheint nur auf den ersten Blick Vorteile zu bringen. Julian , Lennon kann fast schon hören, wie die Messer gewetzt und die giftigen Griffel gespitzt werden. Anläßlich der bevorstehenden Veröffentlichung seiner Debüt-LP schildert Lennon Jr., wie er dem Dilemma entkommen will. Manfred Evert sprach mit ihm in London.

Kein Zweifel, der Name wird ihm helfen. Die Medien werden sich, wenn nicht auf Dauer, so zumindest am Anfang um ihn reißen; der Name Lennon, auch wenn ein Julian davor steht, kein John, ist verkaufsträchtig. Man darf getrost auf die Neugier der Menschen rechnen. Und auf den Lennon-Mythos.

Andererseits wird ihm der Name wie ein Klotz am Bein hängen. Man wird versuchen, über den Sohn und dessen Musik die Legende des ermordeten Vaters zu beleben. Der Sohn wird vielen Mittel zum Zweck sein. Seine Leistung, seine ganze Persönlichkeit wird – wenn überhaupt – gemessen werden an der des Vaters. Das ist, selbst für den Besten, eine bedrückend hohe Meßlatte.

Über den Sohn wird man versuchen, ein Stück John Lennon zu ergattern. Zum Beispiel der Bekannte, den ich nach dem Interview traf. Er fragte mich Löcher in den Bauch. Julian Lennon interessierte ihn natürlich überhaupt nicht: der war nur die Blaupause. Mein Bekannter wollte an das Original, den Mythos.

Julian Lennon wußte natürlich, worauf er sich einließ, als er einen Plattenvertrag unterzeichnete. Dem Mythos seines Vaters, so hat er erkannt, „werde ich nie entkommen; der wird mich immer verfolgen. Ich lerne langsam, damit fertig zu werden. Es hat lange gedauert, aber inzwischen schaffe ich es so gerade. Oder ich tu zumindest so Wenn mir jemand zu heavy kommt, dann schalte ich einfach ab.“

„Es wird auch sicher Leute geben“, fährt er fort, „die mir von vorneherein vorwerfen, daß ich meinen Vater kopiere und versuche, aus dem Namen Kapital zu schlagen. Das ist nicht wahr. Falls ich ihm ähnlich sein sollte – meine Songs, meine Stimme – dann hat das ganz natürliche Gründe. Und deswegen schäme ich mich nicht. Im Gegenteil: darauf bin ich stolz! Oder soll ich etwa meine Stimme verstellen oder mein Gesicht verstecken?“

Praktisch versteckt wurde John Charles Julian Lennon gleich nach seiner Geburt am 8. April 1963. Drei Wochen vorher hatten die Beatles mit „Please Please Me“ ihren ersten Nummer-Eins-Hit in England gehabt, danach mit „From Me To You“ ihren zweiten, dann… nun, der Rest ist bekannt.

Für Julian und seine Mutter Cynthia jedenfalls bedeutete der Erlolg zuerst einmal eines: untertauchen, sich möglichst unsichtbar machen. Denn ein Beatle John mit Frau und Kind, das war schlecht fürs Image, das wurde totgeschwiegen.

An diese Zeit – das erste Jahr noch in Liverpool, dann die Wohnung im Londoner Stadtteil Kensington, schließlich die Luxusvilla in der feinen Surrey-Ortschaft Weybridge – kann sich Julian kaum erinnern.

An seinen Vater erinnert er sich nicht. Der war an einem bürgerlichen Familienleben zu jener Zeit wohl kaum interessiert und ohnehin zu beschäftigt. Und wie sollte Julian sich auch erinnern? Er war knapp fünf Jahre alt, als John Lennon sich von Cynthia nach sechs Jahren Ehe scheiden ließ, um im Jahr darauf Yoko Ono zu heiraten.

Es war ein schmerzhafter Einschnitt in Julians Leben. „Aber“, so erinnert er sich heute, „ich hab‘ zu der Zeit gar nicht kapiert, was wirklich ablief, ich war zu jung, viel zu jung. Erst Jahre später, als ich so acht, neun Jahre alt war, fing ich allmählich an zu verstehen.“

Dann erwähnt er noch eine Anekdote, eine Art Fußnote zur Beatles-Historie. „Als meine Eltern sich trennten, schrieb Paul McCartney einen Song. ‚Hey Julian‘ nannte er ihn. Das Lied sollte mich trösten und ermuntern. Es wurde schließlich ‚Hey Jude‘ daraus. Ich weiß das seit etwa zwei, drei Jahren und hab seitdem ein komisches Gefühl, wenn ich das Lied höre.“

Von seinem Vater hörte er für viele, viele Jahre nichts. Er lebte mit seiner Mutter. Zuerst in der Grafschaft Cheshire. Doch man blieb nie lange an einem Ort. Umzüge kreuz und quer durch England folgten Schließlich ließ man sich in London nieder Der Name Lennon rief bei den Mitmenschen anscheinend keine Assoziationen hervor. Man lebte anonym. Nicht mehr in aufwendigen Villen, sondern – so Julian „in ganz stinknormalen Häusern in stinknormalen Straßen“

Die Anonymität war ihm recht. Immer wieder betont er die Normalität seines Lebens, die Normalität seiner Person so, als müßte er ständig beweisen: Ich bin kein Freak, keine Ausgeburt von Barnum & Bailey, hört auf mich zu begaffen.

Aber den Gefallen tat ihm auf Dauer keiner.

„Zuerst war alles in Ordnung, aber später, so als ich 13 war, da begann anscheinend jeder auf einmal zu realisieren, wer ich war. Das war sehr unangenehm. Ich konnte nirgendwo mehr hingehen. Leute beobachteten mich, manche kamen und wollten ein Autogramm. ‚Wozu zum Teufel wollt ihr ein Autogramm?‘ fragte ich sie. ‚Ich hab doch überhaupt nichts geleistet.‘ ‚Oh, einfach nur so‘, war dann immer die Antwort, ‚einfach nur so.‘ Das hat mich fürchterlich wütend gemacht.“

Ungefähr zur selben Zeit – wir schreiben jetzt das Jahr 1974 sah Julian seinen Vater wieder. Die Initiative ging freilich nicht von John Lennon aus, der mittlerweile in New York lebte. Julian: „Meine Mutter rief ihn eines Tages an und sagte: ‚Hör mal, du hast einen Sohn hier in England. Möchtest du ihn nicht sehen?‘ „

John Lennon wollte. Julians Besuche in New York waren sporadisch und selten. Zuerst im Zwei-Jahres-Turnus, dann einmal pro Jahr, bis Julian das Gefühl hatte, er könne „kommen, wann er wolle“.

Es war ein zaghaftes Sich-Kennenlemen. Julian spricht sichtlich ungern darüber. Das sind Sachen, die er für sich behalten möchte.

„Es hat Riesenspaß gemacht. Wir hatten echt Riesenspaß miteinander. Er war ein richtiger Komödiant mit einem sehr sarkastischen Humor. Er war für mich eigentlich nicht wie ein Vater, mehr wie ein Freund, ein Onkel, ein lang verschollener Onkel, der plötzlich wieder aufgetaucht war.

Zu der Zeit schrieb ich noch keine Songs, und er hat nie richtig über Musik geredet. Ich spielte Gitarre – und hin und wieder haben wir ein bißchen zusammen gespielt, mehr nicht. Ich war wirklich erst dabei, ihn kennenzulernen, bevor er erschossen wurde.“

Am 8. Dezember 1980 wurde John Lennon ermordet. Zwei Tage später flog Julian nach New York. Er blieb drei Wochen bei Yoko, seinem Halbbruder Sean. Zurück in London, war er, was man im Pressejargon „News“ nennt Für ein paar Monate tauchte er regelmäßig in den schicksten Londoner Clubs auf – und in den Klatschkolumnen der Zeitungen. Da stand selten was Nettes drin; vielleicht gab es in jener Zeit auch nichts Nettes zu schreiben über ihn Auch das verging. Julian Lennon verschwand wieder von der Bildfläche. Um, wie jeder annahm, in aller Ruhe sein Millionenerbe zu verprassen „Wieder so eine Lüge“, sagt Julian, „mit der ich anscheinend leben muß. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient und bisher nichts von der Hinterlassenschaft meines Vaters bekommen. Es gibt einen Trust hier in England, noch von den frühen Beatles-Tagen her. Da sind 200000 Pfund drin. An das Geld kann ich in fünf Jahren heran, das heißt, die Hälfte davon bekommt Sean. Alles andere wird von Yoko kontrolliert. Ich weiß nicht, wieviel mir davon zusteht. Und ich renn jetzt auch nicht hin und frag sie: ‚Wo ist mein Geld?'“

Er besann sich stattdessen auf sich seiest, seine eigenen Fähigkeiten. Mit Musik wollte er auf jeden Fall etwas zu tun haben. Er versuchte es als Toningenieur, aber: „Hinterm Mischpult konnte ich es nicht aushalten, ich mußte Musik machen.“

Er fing an, Songs zu schreiben. Die waren anfangs „vielzu kompliziert und führten letzten Endes nirgendwohin. Daraufhin hörte ich mir wieder die Soloalben meines Vaters an. Das hat mir die Augen geöffnet. Die Songs waren so direkt, da war Feeling drin. Charakter.“

Auf diesem Erbe (wenn man so will) baute Julian auf. Unterstützt wurde er dabei von zwei Musikern – Justin Clayton (ein alter Schulfreund) und Carlos Morales. Vierter im Bunde wurde – vor etwa einem Jahr – Dean Gordon, „mehr ein Partner und Freund als mein Manager Er hat mich vor ein paar üblen Geschäften bewahrt.“

Danach ging alles seinen üblichen Gang. Demos wurden verschickt, eine Plattenfirma war interessiert, ein Vertrag wurde unterzeichnet. In einem heruntergekommenen Chateaux in Frankreich – daher der Albumtitel VALOTTE – wurden weitere Songs geschrieben. Nächste Station war New York, ein gutes Studio, aufwendige Produktion, exzellente Sidemen, routinierter Produzent.

„Ich habe keine Erwartungen“, sagt Julian Lennon. „Ich werde bald sehen, worauf ich mich eingelassen habe und wie ich damit fertig werde. Auf keinen Fall werde ich zulassen, daß man mich wie irgendeine Ware in der Welt herumschickt. Ich möchte ich selbst sein. Nicht irgendeine Puppe.“