Kamens Doppelschlag: Hood-Soundtrack und Adams-Single


Filmmusik ist fast so wichtig wie die Bilder, doch den Komponisten kennt kein Mensch. Noch nicht einmal den König des Soundtracks.

Niemand kennt ihn. Und doch ist der Mann erfolgreicher als die meisten Popstars, die jahrelang im Rampenlicht stehen. Michael Kamen, vorwiegend in seinem Drei-Millionen-Dollar-Domizil in London Zuhause, spielte auf der Bühne mit David Bowie und David Gilmour, arbeitete an Hit-Alben für die Eurythmics, Pink Floyd oder George Harrison — und ist nicht zuletzt auch mit seinen eigenen AJben immens erfolgreich. Und das, obwohl Kamen kein klassischer Popstar ist, sondern klassisch ausgebildeter Komponist. Was ihn nicht daran hindert, nebenbei auch die bestverkaufte Single des Jahres ’91 aus dem Zylinder zu zaubern: Bryan Adams‘ „Everything I Do“.

Der 45jährige Kamen, der gleichzeitig die gesamte Filmmusik zum Kinoknüller „Robin Hood“ schrieb, hat als Soundtrack-Komponist derzeit keine Konkurrenz zu fürchten. Aul sein Kreativ-Konlo gehen unter anderem: „Lethal Weapon“. „Die Hard“, „James Bond“, „Baron Münchhausen“, „Hudson Hawk“ und „Brazil“. Nichtsdestotrotz versteht sich Kamen immer noch als Rock ’n‘ Roller: „Ich bin froh, daß gerade Bryan ,Everything I Do’gesungen hat. Er ist für mich der Rocker aus dem Bilderbuch. Ich bin, auch wenn ich in den dkm selbst in einer R&B-Band gespielt habe, letztlich in einer konservativen Musiktradilion groß geworden. Vielleicht habe ich gerade deshalb für echte Rockmusik immer noch ein offenes Herz. „

Mit den Produzenten von „Robin Hood“ hingegen gab’s ständig Zoff. „Ich habe ihnen klarzumachen versucht, daß die Atmosphäre des Film dem literarischen Original ähnlich bleiben müsse. Die Titelmelodie („Everything I Do“) sollte jedenfalls eine Ballade sein.

Ich weigerte mich, einen Rock V Roll-Kracher zu schreiben, denn es wäre lächerlich, eine moderne Melodie über eine 800 Jahre alte Geschichte zu stülpen. Ich wollte daher in diesem Falle original mittelalterliche Instrumente benutzen — die Filmproduzenten hingegen wollten einen Miami Vice’ähnlichen Soundtrack. Wir hatten uns ständig in den Haaren. „

An viele der erfolgreichen Filme, in die er involviert war, möchte Kamen am liebsten nicht mehr erinnert werden. „Ich bin ein Komponist, keinJingle-Schreiber. Ich bin Teil der großen klassischen Tradition. Leider gehören viele der Filme, für die ich Musik geschrieben habe, nicht dazu. Sie waren erfolgreich — aber nicht gerade Kunst. Ein Film wie .Die Hard‘ hat faktisch keine künstlerische oder intellektuelle Substanz.“ Kamen wurde in Queens/New York geboren. Der Vater war Zahnarzt, die Mutter Lehrerin, das Ambiente großbürgerlich. „Musik war fester Bestandteil unseres Lebens. Das Klavier stand im Wohnzimmer, und als mein älterer Bruder Klavier-Unterricht nahm, stand mein Berußwunsch fest: Ich wollte Komponist werden. „

Kamen ging aufs Musik-College, um Oboe zu studieren; Kurse in Komponieren und Dirigieren allerdings belegte er nie.

„Ich hatte die Hosen voll, als ich das erste Mal beauftragt wurde, Filmmusik zu schreiben. Ich halte die letzten Noten gerade rechtzeitig zum Beginn der Aufrmhrne-Session fertig — und mußte nun auch das Orchester dirigieren. Ich war entsetzt. „

Es sollte nicht der einzige Sprung ins kalte Wasser bleiben. Dem Mann mit der klassischen Ausbildung traute man auch im Aufnahmestudio Kompetenz zu. Ohne technische Ausbildung fand er sich plötzlich hinter dem Mischpult wieder, um die Gehversuche seiner Rock V Roll-Freunde aufs Band zu bannen.

Der Doppel-Stress zahlte sich aus. Mit seinem Song „Do The Rock“ verzeichnete Kamen Mitte der 70er Jahre einen ersten Hil in den USA. Einer der ersten Kino-Aufträge war der Soundtrack zu Kult-Regisseur John Waters Film „Polyester“ — eine Erfahrung, an die sich Kamen nur noch mit Kopfschütteln erinnert: „Der Film war als ,Odour-rama‘ gedacht: Dem Publikum wurden beim Eintritt ins Kino Geruchs-Karten in die Hand gedrückt. Die Leute hörten also meiner Musik zu, während sie den Geruch qualmender Turnschuhe einatmeten!“

Kamen kaufte sich kurzerhand ein Haus in London, als er gebeten wurde, nach THE WALL auch Pink Floyds „Final Cut“ zu produzieren. Neue Kunden waren hier schnell zur Stelle, unter anderem Dave Stewart. „Ich traf Dave zum ersten Mal, als ich mit Pink Floyd arbeitete. Er wettete mit mir, daß The Eurythmics ihr Album vor den Floyds fertig bekommen würden. Und Dave schaffte es tatsächlich, ein ganzes Eurythmics-Album in zehn Tagen zu mischen — die Zeit, die Floyds brauchten, um die ersten fünf Sekunden ihres ersten LP-Titels abzuschließen! Dave rief mich an, als sein Album die Nummer Eins in Amerika war — und Floyd mischten IMMER NOCH ihr Album.“

Kamen bevorzugt es, seine Musik mitten in der Nacht zu schreiben, wenn seine Familie schläft. Er besitzt ein voll ausgerüstetes Studio im Wohnzimmer seines Hauses, vollgestopft mit Keyboards. Video-Monitoren und Computern. „Ich arbeite gern nachts, weil es dann still im Haus ist. Das Problem ist nur, daß ich dann von Leuten aus Hollywood, New York und Japan genervt werde, die mich anrufen, um mit mir über Filme und Soundtracks zu diskutieren.“

Kamen hat gerade die Arbeit zu zwei neuen Projekten abgeschlossen: ein „Concerto For Saxophone“ (mit David Sanborn) und ein „Concerto For Guitar“ (mit Eric Clapton, David Gilmour und Englands National Philharmonie Orchestra).

„Nachdem ich soviel Film-Musik für andere Leute geschrieben habe, dachte ich mir, ich müßte mal etwas eigenes auf die Beine stellen. Es ist relativ einfach, die Musik für ,Lethal Weapon‘ oder ,Robin Hood‘ zu komponieren, gerade weil es für jemand anderen ist. Aber es ist ungleich schwerer, sich nicht hinter einer Auftragsarbeit zu verstecken. „

Ohnehin ist der Workaholic Kamen fest entschlossen, künftig etwas kürzer zu treten. „In der Vergangenheit habe ich fast jeden Job angenommen, weil ich nie wußte, wie lange der Erfolg dauern würde. In Zukunft aber werde ich wählerischer sein. Ich werde nur noch für Filme arbeilen, die ich mag. Und ob ich nochmal ein .Everything I Do‘ schreiben werde, macht mir auch keine schlaflosen Nächte.“