Karen Finleys „Taboo Art“


Schöne Schweinerei

Wahrend man in Großbritannien noch grübelt, ob „Greho“ nun ein Trend wird oder nicht, hat in New York eine Bewegung Einzug gehalten, die Englands Schmuddel-Rocker als kreuzbrave Kinder entlarvt. ME/Sounds-Mitarbeiter Wilhelm Ditzel sprach mit dem neuen Stern der US-Subkultur.

Taboo Art“, in New Yorker Underground Clubs, Trend Discos und Galerien zu Hause, will durch das demonstrative Zurschaustellen von Tabus eben diese enttabuisieren. Unbestrittene Königin der „Taboo Art“ ist Karen Finley, die derzeit in New York mindestens ebensoviel Staub aufwirbelt wie weiland, vor nun schon 15 Jahren, Patti Smith. Auch wenn ihre — teilweise indizierten — Platten (die LP THE TRUTH IS HARD TO SWALLOW erschien vor einigen Wochen) im Radio verständlicherweise wenig gespielt werden, wandern sie zügig über bzw. unter den Ladentisch. Produziert wurde das Album übrigens von Madonna-Entdecker Mark Kamins, der sich mit diesem Projekt erstmals in die Subkultur begab.

Mit Erfolg. Selbst wenn Texte wie „I go down on that ass with my mouth/my penis is still kinda high/and I suck suck suck my own cum outta your butt …“ nicht gerade Stoff für die „Autofahrer unterwegs“-Sendung sind: Die musikalische Mischung von Hard Core Psychedelia bis hin zu Afro-Anleihen läßt aufhorchen. Auch das ist typisch für die neue New Yorker Szene: Man bedient sich halt bei allem, was nicht niet-, nagel- und urheberfest ist.

Karen Finley benutzt die musikalischen Elemente, ebenso wie verschiedene US-Slangs, zur Karikierung von Personen, die sie mit ihren Auftritten demaskieren will. Wie ein Medium scheint sie dabei die unterdrücktesten Gedanken ihrer Zuschauer aufzusaugen, um diese dann hemmungslos in die Tat umzusetzen. Ob sie sich nun mit Lebensmitteln beschüttet oder plötzlich wie ein Schloßhund losheult: Niemand weiß vorher, was ihn erwartet. Die Bühne des Wave-Clubs „Danceteria“betrat sie unlängst mit den Worten:

„Ihr Punks dort unten mit euren Stachelfrisuren, wißt ihr eigentlich, wie sehr ich mich immer amüsiere, wenn ich mir vorstelle, wie ihr euch einen runterholt …“. Und ein dreiseitiger Artikel über sie im New Yorker In-Magazin „Village Voice“ trug die Headline „Unaussprechliche Praktiken, unnatürliche Handlungen“.

So ähnlich werden wohl auch die hiesigen Schlagzeilen lauten, wenn Karen Finley später in diesem Jahr nach Deutschland kommt. Bei einem Gespräch in ihrem New Yorker Loft sprach sie über weitere Pläne …

Was bist du denn nun? Sängerin, Sozialhelfer, Performer . ..?

„Ich bezeichne mich als „Visual Artist“, das kommt der Sache am nächsten.“

Woher kommen deine Ideen?

„Was ich tue, ist eine Art Collage. Ich höre oder lese etwas, was mich betroffen macht; die Realität schockt ja mehr als die Kunst. Diese bruchstückhaften Eindrücke schreibe ich auf. Manchmal meditiere ich auch vor einer Show, dann laufen all diese Abartigkeiten in meinem Kopf zusammen, auf der Bühne platzt es schließlich heraus.“

Was sind deine bevorzugten Themen?

„Im Moment beschäftige ich mich gerade mit der oft gestellten Frage, warum Frauen eigentlich nur auf zwei verschiedene Arten betrachtet werden: Entweder sie sind dominant, dann gelten sie als Hure oder Dominatrix, oder sie sind passiv, dann sind sie die Heimchen am Herd. Aber dazwischen gibt es doch noch mehr!

Andere Themen meiner Auftritte sind Inzest, Gewalt, Penisneid …“

Was ist mit S&M?

„Ich arbeite eigentlich mehr mit den alltäglichen, banalen Verhaltensweisen; auf meiner LP gibt es allerdings ein Stück, ,The Constant State Of Desire‘. da geht es um S&M. Aber in einer Zweierbeziehung und ohne Leder, Ketten oder Schläge. Das meiste bei S&M passiert ja ohnehin im Kopf —- und das ist viel härter.“

Worauf stehst du privat?

„Auf ein mindestens einstündiges warmes Bad in einem schön duftenden Badeöl, um anschließend im Bett den Körper meines Liebhabers zu spüren.“

Woher kommen deine musikalischen Anregungen?

„Die erarbeite ich zusammen mit den Musikern. Ganz ehrlich, ich bin nicht so großartig musikalisch vorgebildet. Meine Mitbewohnerin hört viel Psychedelia, und meine beste Freundin, Lydia Lunch, eher die No Wave-Sachen. Ich habe vor ein paar Tagen erst herausgefunden, daß Sting eine Person und keine Gruppe ist.“

Was sagst du zu den Vorwürfen, deine Auftritte seien erniedrigend für Frauen, sexistisch usw. …?

„Ich finde das, was Nancy Reagan tut, viel erniedrigender für Frauen. Sie sagt nichts, schaut auf andere Frauen herab und erlaubt ihrem Mann, in ihrem Namen zu sprechen. Der aber wiederum hat nun partout nichts zu sagen. Mein Gott! Soll ich etwa so tun, als hätte ich wirklich die gleichen Rechte? Oder als hätte ich keine Angst davor, in der U-Bahn angemacht oder abgegrapscht zu werden?“

Glaubst du nicht, daß ein Großteil der Männer deine Show besucht, um sich aufzugeilen?

„Bestimmt nicht. Ich glaube vielmehr, daß meine Auftritte gerade die Gelüste der Männer zerstören. Vieles bei meinen Auftritten ist doch reichlich abartig, und Männer mögen es nun mal nicht, daß ihre Sex-Phantasien in Abartigkeiten enden.“

Gab es schon mal Schwierigkeiten, Zensur oder Ähnliches?

„Hier nicht, aber in England darf ich nicht auftreten. Dort gibt es Gesetze, die zwar erlauben, sich auf der Bühne auszuziehen, dabei ist es aber nicht gestattet, auch noch zu singen oder zu reden. Pervers, nicht? Aber New Order spielen meine Bänder immer, bevor sie auf die Bühne gehen.“

Daß deine Texte 90 Prozent aller Mütter und Väter schockieren, ist dir aber klar?

„Wir haben 1988, und ich bin nicht Doris Day. Diese Zeiten sind vorbei. Die Zeiten von Henry Miller, Virginia Woolf und Lennv Bruce auch.“