King Tong: The London Dancfloor


wenn es um neue tanz-trends geht, hat pete tong mit seinem label ffrr die nase vorn - denn als DJ sitzt er in london an der quelle, mit ME/Sounds besuchte er die brennpunkte des dancefloor-geschehens.

Die Dinge haben sich in der Tat gewandelt für den unmöglich jung ausschauenden Pete Tong. Es begann alles damit, daß er sich bereits mit 14 Jahren an die Plattenteller seiner lokalen Disco in der Grafschaft Kent zu schwätzen vermochte: „Eigentlich hätte man ja 18 sein müssen, um überhaupt reingelassen zu werden. Aber ich sah halt damals älter aus als meine Jahre.“

Das war vor nunmehr 15 Jahren – zu einer Zeit also, wo die neuesten Londoner Tanzschreie noch fast ausschließlich auf importiertem Vinyl aus den USA oder gar Deutschland geortet werden mußten. 1989 brachte das Kontrastprogramm: Mit Soul II Soul. Neneh Cherry und den Fine Young Cannibals gleich drei der weltweit erfolgreichsten Dancefloor-Acts aus der emanzipierten britischen Tanzszene.

Tong erlebte die Selbstentdekkung und den Aufstieg dieser Szene von Anfang an und von innen mit: Heute erfreut er sich eines scheinbar putschsicheren Dauer-Thrones im exklusiven Kreis der Londoner DJs, deren Platten die Trends bestimmen, anstatt ihnen hinterherzulaufen. Dies nicht zuletzt deswegen, weil er unterdessen die Hälfte seines Alltages als Kapitän des extrem erfolgreichen Plattenlabels „ffrr“ hinter einem imposanten Schreibtisch verbringt. Auf selbigem legt eine Box voller Tonbandcassetten Zeugnis darüber ab, wie viele Hitparaden-Aspiranten (und nicht wenige -Veteranen) es als unerläßlich befinden, auf dem Weg zur Spitze ein Demo an Tongs Adresse (ffrr Records, Chancellors House. Chancellors Road, London W6 9BQ) zu schicken.

Tongs Weg von Silver Convention zu Salt-n-Pepa und D Mob führte über ein gewaltiges Arbeitspensum, ein paar zeitgeistige Glücksfälle und einen Riecher dafür, im rechten Moment den rechten Beat aus der Tasche zu zaubern. Nach jenen ersten DJ-Versuchen buchte er sich zunächst ein Plätzchen in der damals florierenden Szene der Piraten-Radios. Daraus erwuchs ein legaler und prestigereicher Job bei der Lokalstation „Radio London“, daraus wiederum ein Redakteursposten bei dem damals rhythmusangebenden Magazin „Blues & Soul“ („DJ zu sein war zwar ganz nett – ich wollte aber die Sicherheit eines Ganztagsjobs haben“).

Parallel dazu bewies er in seiner DJ-Karriere das erstaunliche Talent, just da die Teller zu bedienen, wo der Volksmund gerade daran war, diesen Club in die Rubrik „legendär“ einzuordnen. „Wir waren eine Gruppe von DJs und operierten unter dem Namen ‚Special Branch‘. Wir legten weniger Wert auf die Örtlichkeiten als darauf, wer einen jeweiligen Clubabend organisierte. Nicky Hollowax zum Beispiel hat fast immer Erfolg mit seinen Projekten. Mein Name begann sich herumzusprechen aufgrund meiner Arbeit in einigen Clubs außerhalb von London in Canvey Island. Das war noch zu den Glanzzeiten des Disco-Booms Ende der 70er Jahre. In den 80er Jahren war dann etwa der ‚Barracuda Club‘ in der Baker Street angesagt, wo jeden Freitag und Samstug 1000 Leute kamen, oder aber der ‚London Zoo‘.“

Legendär sind auch Tongs schweißtreibende Auftritte bei den jährlichen „Soul Weekends“ von Prestatyn, wo sich 6000 Wahnsinnige vier Tage lang um die Uhr dem Tanzbazillus opfern. Heute ziert Tong den samstäglichen „Alphabet City-Club im Astoria Theatre mit 2000 Partygästen („Derzeit spielen wir 80% House, 15% Rap und 5% Kuriositäten wie die Rolling Stones„). Dazu präsentiert er am frühen Samstagabend eine dreistündige Tanzsendung auf Londons meistgehörter Radiostation „Capital Radio“. Und dies alles neben seinem eigentlichen Brötchen-Job – der Führung des Labels ffrr, das im Moment mit den Titeln „Welcome“ von Gino Latino. „Put Your Hands Together“ von D Mob und „I Called You“ von L’il Louis das Tempo der englischen Charts forciert und den Trend bestimmt.

Daneben gehören zum derzeitigen Label-Katalog eine bunte Mischung von US-Künstlern verschiedener House und HipHop-Schattierungen (Salt-n-Pepa. Mr. Fingers, Joyce Simms, Frankie Knuckles. The Truth) sowie von britischen Dance-Attraktionen wie Cookie Crew. Smith & Mighty und das – wie D Mob – als Mixer und Interpreten vielbeschäftigte Trio Blacksmith. Außerdem gibt ffrr eine Serie von Sammel-Alben von House-Hits (neueste Auflage: „The House Sound Of Europe – Casa Latina“) und Reggae-Knüllern heraus (die jüngste Ausgabe, das Doppelalbum „Massive Volume 3“. befindet sich Ende Februar an der Spitze der britischen Reggae-Charts). Platz für konventionellere Pop-Sounds gibt’s in der Form von Shakespear’s Sister und Lois Lane ebenfalls.

Pete Tons, der als „A&R Director“ fürs Finden und nachfolgende Wohlergehen seiner Künstler verantwortlich ist. erklärt die Taktik hinter seiner Künstlerjagd wie folgt: „ffrr umschreibt eher eine Attitüde als einen Mitsikstil, so wie Elektra in den Anfangszeilen, oder wie DefJam, die ja nicht nur Rap herausgeben, sondern auch Heavy Metal und Soul. Du letztlich mein Geschmack bestimmt, was auf ffrr erscheint, zeigt unser Programm einen starken Einfluß schwarzer Musik aller An. Dabei ist der Grundgedanke der, daß wir ein aggressives, in die 90er Jahre weisendes Label sein wollen. Und als solches ist es angesichts der derzeitigen Wichtigkeit der Tanzszene ganz klar, daß diese Musik unser Repertoire bestimmt.“

Klar ist auch, daß Tongs Arbeit als DJ ihm bei der Talentsuche enorm hilft. Durch diese Beschäftigung hat er über die Jahre hinweg nicht nur ein internationales Netz von Nasen im Wind geknüpft, durch das frische Studioklänge bereits im Frühstadium sein Ohr erreichen: er kann das Erfolgspotential einer Nummer auch an der Reaktion im eigenen Klub ablesen: „Wenn ich die Reaktionen auf L’il Louis ‚French Kiss‘ nicht hätte am eigenen Tanzboden austesten können, wäre ich wohl nicht mit derartiger Überzeugung und Aggression an die Werbekampagne herangegangen.

Tongs Erfolg ist in zweifacher Hinsicht kein Einzelfall – und gerade deswegen bemerkenswert. Erstens: Stichwort „Konkurrenz“. Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich in Britannien ein ganzer Strauß von Labels ähnlicher Triebrichtung entwickelt. Zweitens: ffrr ist kein unabhängiges Label, sondern ist 1988 aus dem Schatten von London Records (die Firma wiederum gehört zum Polygram-Konzern) herausgetreten. Tong war schon 1983 als Talentsucher zu London gestoßen, wurde wenig später zum A&R-Mann befördert, bevor man ihm dank seiner Erfolge (insbesondere mit Run DMC. deren RAISING HELL-Rap sie erstmals auch in die LP-Charts Europas brachte) ffrr zur umsatzsteigernden Verfügung stellte. Wie ffrr zu London verhalten sich beispielsweise auch Cooltempo zu Chrysalis, 4th & Broadway zu Island, Syncopate zu EMI oder 10 zu Virgin.

Innerhalb erstaunlich kurzer Zeit hat damit eine Umschichtung in der britischen Schallplattenindustrie stattgefunden, die eine direkte Konsequenz des erstarkten Selbstbewußtseins der britischen Tanzszene, besonders aber der schwarzen britischen Musikszene ist. Noch 1976. als die Punks entdeckten, daß sie mit ihren spontanen Indie-Labels den schwerfalligen Multis problemlos einen Schritt voraus waren, bestand die schwarze Musikszene in England aus desperaten Versuchen. „es“ den amerikanischen oder jamaikanischen Vorbildern nachzumachen. Außerdem fand Tanzmusik kaum Zugang zu Radio und TV, denn die Programmgewaltigen waren überzeugt, der Tanzboden lasse sich nicht in die gute Stube versetzen.

Statt über solche Attitüden apathisch zu stöhnen, ließ Tong Pop-Acts wie eben Shakespear’s Sisier unterschreiben: „Wenn ein Label nur mit Tanz identifiziert wird, hören gewisse Radio-Produzenten gar nicht erst hin. Wenn sie hingegen nicht wissen, was sie da antreffen werden, sind sie zum Anhören gezwungen.“

Die Punks entdeckten damals bekanntlich den Geist der Selbsthilfe. Das hieß einerseits Indie-Labels, andererseits Piratenradiostationen. Die „Dread Broadcast Corporation“ oder „kiss fm“ bewiesen im Dancefloor-Bereich nun ebenso, daß Funk, Soul und Reggae tatsächlich massive Einschaltquoten auslösen konnten, die ihrerseits wiederum zu einer Steigerung der Verkaufszahlen führten. Bands wie Hi-Tension, Light Of The World und Central Line lieferten bald darauf derart gute Kopien von US-Funk, daß der Ausdruck „Brit-Funk“ zu einem mit Stolz getragenen Etikett wurde. Lokale Reggae-Bands kreierten mit dem zuckerigen „Lovers Rock“ zudem einen Stil, der gänzlich unjamaikanisch war und so die neugewonnene Eigenständigkeit unterstrich.

Der Werdegang von Blacksmith ist typisch: Man ging zur selben Schule, wuchs in die Session-Szene‘ hinein: Lovers Rock, Sugar Minott, Maxi Priest. Es folgten eigene Gruppen (wo einmal auch Sängerin Caron Wheeler dabei war) und kleinere Tanzboden-Hits. Die warfen genug Tantiemen ab für ein kleines Heimstudio, und diese Freiheit wiederum brachte Expenmentierlust mit sich. Tim Atkins, drummendes Drittel von Blacksmith: „So entwickelte sich unter jungen schwarzen Musikern, die in London geboren waren, ein gewisser Stolz. Daß dann Künstler wie Junior Giscombe (ein Tong-Schützling) und Loose Ends in den USA Anklang fanden, zeigte uns, daß wir eigene Wege gehen konnten und trotzdem Erfolg hatten. Der Hauptunterschied zwischen den USA und hier ist der, daß drüben die einzelnen Musikstile in den Medien so isoliert sind wie einzelne Bevölkerungsgruppen. In London erlebst du alles nebeneinander. Als wir zur Schule gingen, hörten wir Kraftwerk, Matumbu Augustus Pablo und Philly Sound, ohne Grenzen zu ziehen.“

Welche Konsequenzen das mit sich bringt, glaubt Pete Tong bereits zu wissen:

„Die New York-Szene hat sich mit ihren endlosen Plünderungen des Rare Groove ausgelaugt. Die Londoner Kids, die näher beim Reggae stehen, werden in die Bresche springen. Ragga-HipHop („Ragga“ ist die Abkürzung von „Raggamuffin“, einem Schlagwort der Reggae-Tanzhallen) bringt eine aufregende Fusion. Auch Soul II Souls neues Album wird sehr viel reggaehaltiger werden, sich an jamaikanische Künstler wie King Tubby anlehnen. Ich glaube, die besten Fusionen von Reggae, Soul und Hip Hop werden dieses Jahr aus den Straßen von London kommen.“

Hat Tong recht – oder wird er mit seinen neuesten Schützlingen Smith & Mighty und Carlton ein Vermögen verspielen?

Fortsetzung folgt.