KINO


SEX, LÜGEN UND KLAVIERFLÜGEL

BEHIND THE CANDELABRA

von Steven Soderbergh, USA 2013 mit Michael Douglas, Matt Damon, Rob Lowe

Zu viel ist eine gute Sache: Liberaces Liebesleben als Abschiedsbrief ans Independentkino.

Steven Soderberghs Biopic ist mit Geld des Kabelsenders HBO entstanden. Was nicht mehr und nicht weniger heißt, als dass das Fernsehen mittlerweile nicht nur das bessere Kino ist, zumindest wenn wir über amerikanische Serien reden, sondern jetzt auch noch offiziell das bessere richtige Kino macht. Denn die Adaption der Autobiografie von Scott Thorson, von 1976 bis 1982 Assistent, Chauffeur, Liebhaber und Lebensgefährte des exaltierten Vegas-Showpferdes Liberace, der mit den vielen Klunkern, der grotesken Papageifrisur (jetzt wissen wir: eine Perücke, darunter eine Glatze) und einem Kerzenkandelaber auf dem mit Strass verzierten Klavierflügel, ist Kino durch und durch. Wenn nicht das berühmte HBO-Logo vornweg wäre und die Tatsache, dass der Film nur wenige Tage nach seiner Weltpremiere in Cannes erstmals in den USA im Bezahlfernsehen lief (erfolgreich, by the way), würde nichts einen Hinweis geben auf die Herkunft. Nun kann „Behind The Candelabra“ mühelos auf eigene Beinen stehen. Als große Liebesgeschichte, deren Scheitern sich bereits in den ersten Bildern andeutet. Als maliziös aberwitziges Biopic über einen Mann, dessen Schwelgen in maximaler Maßlosigkeit doch nie darüber hinwegtäuschen kann, dass sein Leben eine Lüge ist. Als Sittengemälde einer singulären Zeit an einem singulären Ort, der an sich eine Feier des Exzesses ist. Als grell ausgeleuchtete Bühne für Michael Douglas und Matt Damon, die als schwules Paar furchtlos gegen ihr jeweiliges Image anspielen. Und dann ist da eben noch die andere Ebene, die den Film wie ein Ausrufezeichen wirken lässt hinter Steven Soderberghs bereits legendärer Keynote-Rede beim San Francisco Film Festival im vergangenen April. Mit gewohnt sardonischem Humor sezierte er dort den Zustand der amerikanischen Filmindustrie und setzte mit zwingender Logik auseinander, warum das Kino jenseits Comic-Helden, Franchises und Effektezauber vom Aussterben bedroht ist. Es entbehrt nicht einer zynischen Logik, dass Soderbergh seine Karriere als Filmregisseur mit „Behind The Candelabra“ vorerst als beendet erklärt hat: Mit seinem „Sex, Lügen und Video“ begann 1989 die Ära des amerikanischen Independent Kinos. Mit „Behind the Candelabra“ trägt er es nun zu Grabe. Mit einem Paukenschlag und Klaviergeklimper.

***** Start: 3. Oktober

RUSH – ALLES FÜR DEN SIEG

von Ron Howard, USA / Deutschland 2013, mit Chris Hemsworth, Daniel Brühl, Alexandra Maria Lara

Herr der Nürburgringe: ein Rennfahrerfilm, der weiß, wie man in der Kurve beschleunigt.

Bislang mussten sich noch alle Formel-1-Filme beim Vergleich mit dem unerreichten „Grand Prix“ geschlagen geben. Nun kann der erste unabhängig realisierte Film in der Karriere von Oscar-Gewinner Ron Howard nicht von sich behaupten, er hätte der ungewöhnlich erwachsenen Erzählweise von John Frankenheimers Meisterwerk von 1966 etwas hinzuzufügen. Aber Howard ist genug Hollywood-Pro, um zu verstehen, wie man Boliden-Duelle in diesem PS-Biopic über die Rivalität zwischen James Hunt und Niki Lauda Mitte der Siebziger so atemberaubend hautnah als ultimativen Actionthrill inszeniert: nicht einmal bei einer Liveübertragung vor dem heimischen Bildschirm ist man so nah dran. Aber das wahre Trumpfass ist Daniel Brühl als Lauda. Wenn er’s bisher noch nicht gewesen sein sollte: A star is born.

***** Start: 3. Oktober

UMMAH – UNTER FREUNDEN

von Cüneyt Kaya, Deutschland 2013 mit Frederick Lau, Kida Khodr Ramadan, Burak Yigit

Anfänger unter Türken: Die guten Muslimbrüder von Neukölln.

„Ummah“ ist der Erstling des jungen Berliner Türken Cüneyt Kaya, der erst einmal überzeugt: Die Geschichte eines V-Mannes mit Neonazi-Wurzeln, der vom Verfassungsschutz aus der Schusslinie genommen und ausgerechnet nach Neukölln geschickt wird, wo er wider Erwarten Freundschaft mit ein paar Türken von nebenan schließt, hat eine unmittelbare Energie, die packt. Kaya, der den Film unter eigentlich unmöglichen Umständen realisiert hat, ist wie ein Kind im Süßigkeitenladen, das sein Glück nicht fassen kann. Er lässt seinen V-Mann Monologe halten, als wäre er Brando in „Apocalypse Now“, und er hat Spaß, den Culture Clash mit Thriller-Elementen anzureichern. Das ist prima. Was schwierig ist, ist die völlig unkritische Haltung gegenüber dem Islam, dem Kaya – als Filmemacher ein echtes Talent – einen Persilschein ausstellt: Schuld sind immer nur die anderen.

**** Start: 12. September

METALLICA – THROUGH THE NEVER

von Nimród Antal, USA 2013 mit Dane DeHaan, James Hetfield, Lars Ulrich, Robert Trujillo

Damage, Inc: Metallica spielen live, während die vier Reiter galoppieren.

Die Idee, die Handlung eines Spielfilms um eine Rockband und ihr Konzertprogramm herum zu bauen, ist nicht neu. Phil Joanou hat das bei „Entropy“vor 15 Jahren schon mit U2 versucht. Und ist gescheitert. Metallica nehmen die Idee auf die Hörner. Nachdem man der Band bei der Doku „Some Kind Of Monster“, noch zusehen musste, wie sie Händchen halten und miteinander weinen, setzt sie hier auf ihre mythischen Qualitäten als Master of Puppets eines Actionfilms im Rhythmus ihrer größten Hits. „Through The Never“ – Titel eines Songs des schwarzen Albums – ist ein Konzeptalbum als Film, in dem ein Roadie mit einem Auftrag der Band während ihrer Show in Vancouver losgeschickt wird, nur um eine unmotivierte Apokalypse mitzuerleben, zu bluten und zu brennen. Und die Band rockt dazu. In 3-D. Alte Poser.

** Start: 3. Oktober

NOT FADE AWAY

Von David Chase, USA 2012 mit John Magaro, Jack Huston, James Gandolfini

Zurück nach New Jersey: Geschichte einer Rock’n’Roll-Jugend.

David Chase ist einer jener Leute, die kategorisch ins Abendgebet eingeschlossen gehören. Der Mann hat „Die Sopranos“ gemacht, die Serie, die, wenn man’s nüchtern betrachtet, bis heute der Maßstab ist, an dem sich alle anderen Serien messen lassen müssen. Jetzt wagt sich Chase ins Kino, um kurioser-, aber auch konsequenterweise auf der großen Leinwand eine deutlich kleinere Geschichte zu erzählen als sein ausuferndes Mafia-Fresko. Es ist Chases eigene Geschichte, die er in den Mittelpunkt gerückt hat, über eine Jugend in New Jersey in den 60er-Jahren, ein Film über das ganz unschuldige Versprechen Rock’n’Roll und die Reaktion einer verständnislosen Umwelt. Perfekt beobachtet, voller großartiger „Almost Famous“-Momente, und mit James Gandolfini in einer seiner letzten Rollen.

****1/2 Start: 26. September