„Komische Elemente machen ein Stück oft noch stärker“


Die Acher-Brüder haben nicht nur mit The Notwist einen weiten Weg zurückgelegt, sondern auch mit ihren Nebenprojekten Jazz, Improvisationsmusik und experimentellen Pop ergründet. In ihrem Plattenschrank geht es entsprechend bunt zu.

Sonny & Cher

Look At Us (1965)

Markus Acher: Das war die erste Platte, die wir als Kinder ständig gehört haben. Als ich sie nach ein paar Jahren wieder aufgelegt habe, wurde mir klar, wie toll das alles produziert ist. Da hört man Percussions weit vorn, dann wieder irgendwo ganz hinten, es eiert herrlich herum, man hört ständig komische Instrumente – genial.

Pitchfork

Eucalyptus (1990)

Markus: Als wir damals anfingen, gab es diverse Bands, die uns beeinflusst haben: Dinosaur Jr., Wipers – und auch Pitchfork aus San Diego. Sehr intensive Musik, bei der man das Gefühl hat, sie könnte jeden Moment explodieren, und sie tut das dann ja auch, doch gleichzeitig ist es Popmusik. Das wollten wir auch, unsere Musik sollte Energie haben, die Gewalttätigkeit, Lautstärke, das Verzerrte des Hardcore und des Punkrock, jeder Song sollte aber auch wie ein Folkstück funktionieren, das man ganz anders spielen könnte.

The Microphones

Mount Eerie (2003)

Markus: Phil Elvrum macht das alles solo, lädt sich aber viele Leute ein, die mit verteilten Rollen singen und sprechen. Die Musik besteht hauptsächlich aus Gitarre und Percussion. Alles sehr LoFi-mäßig, gleichzeitig geht er jedoch sehr kontrolliert mit Klang und Räumen um. Das Album ist eine irrsinnige Tour de Force durch eine konzeptalbumartige Geschichte, manchmal fast wie eine Oper. Und doch ist jedes Stück für sich einfach wunderschön und erinnert sogar ein bisschen an Bonnie „Prince“ Billy. Das ist eine Form von experimenteller Popmusik, die für mich damals total neu war, ähnlich wie das, was Talk Talk mit Laughing Stock gemacht haben. Man erkennt daran: Ungewöhnliche Elemente können helfen, ein Stück noch deutlicher zu machen, obwohl sie eigentlich dagegen arbeiten.

Mark Hollis

Mark Hollis (1998)

Micha: Auch hier: tolle Melodien, die durch ungewöhnliche Elemente noch intensiver werden.

Markus: Da steckt so viel drin, die kann man sich 100.000-mal anhören. Wir haben durch Talk Talk auch so viel entdeckt, z. B. Morton Feldman. Außerdem haben sie unsere Arbeitsweise enorm beeinflusst: viel aufnehmen, improvisieren und daraus dann bestimmte Teile verwenden.

Flaming Lips

The Soft Bulletin (1999)

Micha: Das haben wir viel gehört, als wir Neon Golden aufgenommen haben. Allein die tollen Streicher- und Bläserarrangements! Und die Platte klingt auch heute noch zeitgemäß.

Markus: Dave Fridmann wurde als Produzent durch diese Platte ja zu einer eigenen Marke. Sein Sound hat uns fasziniert. Dass man solche Klangextreme wagen kann, die eigentlich total unpoppig sind, wie verzerrtes Schlagzeug, all die komprimierten Sounds. Und trotzdem wurde The Soft Bulletin zu einer so zugänglichen Platte.

Clouddead

Clouddead (2001)

Markus: Das hat mir damals besonders gefallen, gerade weil es so untypisch ist für das Label Anticon. Da ist Hip-Hop drin, aber auch sehr viele Geräusche und Collagen, nicht zuletzt der Indiepop-Ansatz. Bei einem Konzert der Nachfolgeband Themselves habe ich diese Leute dann angesprochen. So ist die Zusammenarbeit als 13 & God entstanden. Es war sehr interessant, mal etwas mit Musikern zu machen, die einen ganz anderen Background haben. Wobei sich aber ja herausgestellt hat, dass der so anders gar nicht ist.

Marvin „Hannibal“ Peterson & The Sunrise Orchestra

Children Of The Fire (1974)

Micha: Eine meiner Lieblingsplatten. Deshalb war es so toll, dass Billy Hart mit uns und dem Tied & Tickled Trio aufgenommen hat. Er hat damals auf dieser Platte mitgespielt und ist quasi unser Jazz-Schlagzeug-Hero. Dieses Album ist so unglaublich intensiv, teilweise auch anstrengend und frei. Es gibt ganz lange Stücke mit ganz langen Bögen, sogar Streicher sind dabei. Und wenn man es sich anhört, denkt man immer wieder: Das lässt sich nicht mehr steigern, die sind am obersten Level – aber es geht immer noch weiter. Wenn man Musik mit so einer Power mag, flippt man wirklich aus.

François De Roubaix

Les Plus Belles Musiques De François De Roubaix Vol. 3 (1979)

Markus: De Roubaix hat seine Sachen homestudiomäßig gebastelt, mit viel Elektronik, ungewöhnlichen Instrumenten. Ein Genie, das unglaublich viel an Ideen und Klängen in seine Stücke packt. Bei uns ist das inzwischen ein feststehender Begriff: Man überlegt, was könnte man bei einem Stück noch machen – so „François-de-Roubaix-mäßig“. Und probiert dann was mit Xylofon, Spinett oder seltsam gesetzten Streichern. Auch hier geht es wieder um eine experimentelle Herangehensweise, bei der Filmmusik und letztlich sehr oft einfach Pop entsteht.

CD im ME S. 19

Biografie

The Notwist, 1989 von Markus und Micha Acher in Weilheim gegründet, sind eine der renommiertesten deutschen Bands. Zusammen mit den US-Hip-Hoppern Themselves spielen die Achers im Electro-Hop-Projekt 13 & God. Mit wechselndem Personal bilden sie auch die Jazz-Dub-Kombo Tied & Tickled Trio.