Kraftwerk


Sogar das Dekor und die Videospots sind die selben wie vor zehn Jahren“, meckert der Stehplatznachbar mit der Ich-hab’s-ja-gesagt-Miene. Aber dann muß auch er gleich ein ozeanisches Grinsen draufsetzen und zugeben: „Wunderbar ist’s trotzdem!“

Nicht daß es unter den 4000 Konzertgängern allzu viele treue Seelen gab, die schon damals unter Strom gestanden hätten: Kraftwerk gelten im heutigen Britannien als noch cooler als vor einem Jahrzehnt. Denn erst im Hip Hop- und Elektro-Tanzboom der letzten Jahre ist der Einfluß des Hochspannungs-Quartetts so richtig klar geworden. So tummelt sich denn von pilzköpfigen Ravers über silberhaarige Depeche Mode-Fans bis hin zum sauberen Klassenprimus und sogar einem gelegentlichen Gary Numan-und Bowie-Clone so ziemlich alles im trendigen Publikum. Nur die schwarzen Hip Hop-Kids sind zuhause geblieben.

Aber auch sie hätten schon beim Anblick des in makelloser Eleganz auf die hiesige Bühne transportierten „Klingklang“-Studios gestaunt: im Halbkreis die vier Technoinstrumente, dahinter ebensoviele Videowände und darüber — wie ein überdimensionierter Couchtisch — das Scheinwerfergeriist, das selbst gelegentlich wie von innen heraus golden aufleuchtet. Die visuelle Präsentation läuft parallel zu der akustischen Konzeption: Ihr Talent, Gegensätze spielerisch zu vereinen, bringt luftig-lustige Klimpereien zusammen mit brachialem Tanzrhythmus oder kombiniert mechanische Plip-plops mit lyrischer Melodik. Und ebenso stößt im Bühnenbild klischeekalte Futuristenlogik auf die seltsam enthusiastisch wirkenden Menschlein an ihren Hebeln und Tasten, was eine geradezu rührende Mischung ergibt.

Dabei ist der Show-Anfang nicht eben überzeugend: „Louder, louder“

brüllen nicht nur die Fans, die zum Tanzen ein gehirnerdrückendes Klangvolumen brauchen. Der Zahlensong („Eins, zwei… sieben, acht“) und „Computerworld“ gehen drum etwas unter. Mit „Tour de France“ geht der Tanz dann aber richtig los, und schon brausen wir mit Bleifuß die „Autobahn“ herunter. Gerade der trockene Charme dieser Hymne ans Straßen-Surfing hat über die Jahre hinweg keinerlei Wirkung eingebüßt — eher sogar noch gewonnen: Wie auch die anderen „Stücke“ wird „Autobahn“ im neuen, modernisierten Modell präsentiert, und ausnahmsweise tut der „Re-Mix“ weder dem Original noch der Gegenwart Gewalt an.

Auch „Radioactivity“ gelingt vortrefflich: beinhart, teuflisch und bedrohlich, dazu ein subtil buntes Schimmern am Klanghorizont. „Trans Europe Express“ ist nicht weniger gelungen. Insbesondere hier, wo wir im vielfach vervielfältigten Endlos-Video über die Schienen Europas sausen, zeigt sich das symbiotische Verhältnis von Kraftwerks Musik und Bilderwelt (jedes Stück eine abgerundete Einheit von Klang und Bild) in atemberaubender Konsequenz.

Und schon folgen die Zugaben — voneinander durch einen schlichten und doch theatralisch wirksamen schwarzen Vorhang getrennt. Zuerst „The Robot“, komplett mit den Robotermodellen, deren übermenschliche Bühnenpräsenz mit Papier und Worten leider nicht einzufangen ist. Die verrückten Piepser von „Pocket Calculator“ bringen nochmal das Tanzbein so richtig zum Rotieren. Und „Music Non-Stop“ schließlich ist ein derart raffiniertes Stück Mega-Funk, daß unsere Ohren im Geklapper der heimwärtsrollenden U-Bahn noch immer ganz euphorisch nur das „Boom Tschak Boing“ hören. So gegenwärtig hat Nostalgie noch selten gewirkt.