Kunst, Cops und Chaos


Er spielte mit Thurston Moore in einer Band, gehört zur Künstler-Generation von Keith Haring, malt realistische Ölgemälde und bereichert mit 53 Jahren noch immer die Straßen mit cleverer Street Art. Ein Hausbesuch bei Dan Witz.

„What? He does graffiti? I can’t believe it!“ Die ältere Dame in der DFN-Galerie in New Yorks Upper East Side wollte sich kaum wieder einkriegen. Eben noch hatte sie das 60 mal 50 Zentimeter große, stimmungsvolle Bild „Lantern with Flashlight“ von Dan Witz bewundert, und nun erzählte ihr die Galeristin, dass Witz eigentlich ein Street Artist sei. Wie anrüchig! Sie murmelte noch ein paar unverständliche Worte, dann eilte sie aus der Galerie. Dan Witz lacht, als er die Episode hört: „Ja, das passiert manchmal. Dabei stimmt es noch nicht einmal: Ich mache gar keine Graffiti …“

Graffiti vielleicht nicht, aber so ziemlich jede erdenkliche Form von Street Art: Aufkleber, Airbrush, sinnestäuschende Trompe-l’x{0153}il-Gemälde, 3-D-Installationen in allen Größen und Formen, vom winzigen, fotorealistisch gemalten Kolibri bis hin zu Häuserfassaden, denen er riesige rote Ballons zwischen die Fenster klebte, wie eine gigantische Clownsnase. Seit Ende der 70er ist Witz aktiv, als seine Mitstreiter noch Basquiat und Keith Haring hießen und nicht Shepard Fairey oder Banksy. Witz ist zwar weniger bekannt als diese, doch unter Kennern der Szene gilt der 53-Jährige als einer der ganz Großen: „El Godfather del Arte Urbano“ nannte ihn kürzlich das spanische Kunstblog Movimientosartisticos, den Paten der Street Art.

Aber Witz ist mehr als das: Er ist ein umfassend gebildeter Old-School-Künstler. Er studierte Kunst an New Yorks feiner Cooper Union Akademie und produziert neben seiner oft augenzwinkernden Street Art überraschend ernste und, sieht man mal von Motiven wie Mosh Pits oder kämpfenden Hunden ab, manchmal fast bieder wirkende Ölgemälde, die stilistisch irgendwo zwischen Rembrandt und Edward Hopper angesiedelt sind – und auf dem Kunstmarkt mit Preisen bis zu 20.000 Dollar gehandelt werden.

Gerade erschien im Verlag Ginko Press das Buch „Dan Witz – In Plain View: 30 Years of Artwork Illegal and Otherwise“. Wir besuchten Dan Witz in seinem Zuhause in Brooklyn.

Wie hätten Sie der älteren Dame Ihre gespaltene Künstlerpersönlichkeit erklärt: Auf der einen Seite ein Maler, der in der Tradition alter holländischer Meister malt, auf der anderen Seite ein Street Artist mit Punk-Attitüde …

Dan Witz: Ich bin von Natur aus rastlos, und ich würde verrückt, wenn ich ausschließlich Bilder malen würde. Das geht ja vielen Malern so: Manche beschäftigen sich dann mit Bildhauerei, oder drucken Lithografien, oder zeichnen mit Kreide. Es ist immer ein Balanceakt, und ich könnte weder auf die Malerei noch auf die Street Art verzichten. Es ist natürlich auch eine Geldfrage: Meine Gemälde verkaufe ich für ordentlich Geld, meine Street Art kostet mich ordentlich Geld. Aber ich brauche sie, denn sie ist mit Adrenalin, Risiko und einer Art Einzelgängertum verbunden, was mir sehr liegt. Sobald es Frühling wird, zieht es mich auf die Straße, am Ende des Sommers bin ich dann wieder froh, wenn ich mich in mein warmes Studio zurückziehen kann, ohne Angst vor den Cops haben zu müssen.

Dabei sind Sie nie verhaftet worden, richtig?

Nun, mir wurden schon des Öfteren Handschellen angelegt, aber ich konnte mich bislang immer wieder rausreden. Es hilft, dass ich weiß bin. Meine schwarzen Freunde werden von den Cops automatisch als Vandalen abgestempelt und bekommen kaum eine Chance, sich zu rechtfertigen. Dafür kann ich als Weißer nicht in bestimmten Gegenden New Yorks arbeiten, ohne Angst zu haben, vertrimmt zu werden: Bedford-Stuyvesant ist so eine Nachbarschaft. Ich habe mich dort nur ein paar Mal reingetraut und sehr schnell gearbeitet. Inzwischen kann ich meine Arbeiten innerhalb von 30 Sekunden anbringen. Früher habe ich teilweise Stunden an einem Stück gearbeitet, an den Kolibris zum Beispiel, und die Cops haben mir dabei zugeschaut. Das geht heute nicht mehr.

Woran liegt das?

An den gestiegenen Grundstückspreisen, an bereinigten Wohnvierteln. Sobald die Preise hochgehen, passen die Cops besser auf. Ich finde das aber nicht weiter schlimm: In meiner Nachbarschaft entstanden wunderbar hässliche Neubauten, die habe ich mir natürlich sofort vorgenommen. New York verändert sich nun mal ständig, es nutzt nichts, sich darüber zu beschweren. Dann könnte man sich auch über Erosion durch Regenwasser beschweren.

Mal abgesehen von den Cops: Worauf muss ein Street Artist achten?

Niemals das Werk eines anderen Street Artist übermalen oder überkleben, das ist eine Todsünde! Fast so schlimm, wie mit der Ex-Freundin eines Kumpels zu schlafen. Und man muss guten Kleber benutzen, damit das Kunstwerk nicht gleich wieder abmontiert werden kann. Es hilft auch, die Werke an entlegenen, nur schwer erreichbaren Stellen zu installieren. Meine Serie „What The Fuck?“, die ich im Sommer in Los Angeles entlang der Highways installiert habe, besteht aus Stickern, die aussehen wie vergitterte Mauerdurchbrüche, hinter denen Skurriles zu sehen ist: seltsame Sado-Maso-Kreaturen, oder ein paar baumelnde Füße, als ob sich dort jemand erhängt hat. Und wenn das ein Autofahrer sieht, denkt er sich: What the fuck?

Fühlt man sich nicht irgendwann zu alt für solchen Schabernack?

Ich würde das nicht als Schabernack bezeichnen. Ohne jetzt zu pathetisch klingen zu wollen: Kunst muss uns die Augen öffnen, muss uns anregen, die Welt in anderem Licht zu sehen, und das hoffe ich auch mit meiner Street Art zu erreichen. Und zu alt? Als ich in den 70ern anfing, hätte ich zwar auch nie gedacht, dass ich mit 53 noch auf der Straße arbeiten würde, aber ich produziere heute sogar viel mehr als früher. Das haben wir unserem ehemaligen Bürgermeister Rudy Giuliani zu verdanken. Der hat dafür gesorgt, dass Graffiti oder das Anbringen von Street Art heute als schweres Verbrechen gilt, auf das Knast steht. Und das hatte ironischerweise zur Folge, dass Street Art geradezu explodierte: Der Reiz war auf einmal viel stärker, auch für mich.

Sie haben eine Zeit lang als Keyboarder in Punkbands und mit dem Avantgarde-Musiker Glenn Branca musiziert: Hätten Sie auch als Musiker Karriere machen können?

Ich glaube nicht, dafür war ich nicht besessen genug von Musik. Ich war eher mittelmäßig. Aber es war eine wertvolle Erfahrung, die auf meine Kunst abgefärbt hat. Bei Branca spielten auch Thurston Moore und Lee Ranaldo mit, die später Sonic Youth gründeten, und wir tourten durch Europa. Unsere Auftritte waren eindrucksvolle Erlebnisse, voller Energie, fast wie Performance Art. Ich habe später versucht, diese Energie des Augenblicks in meinen Gemälden zum Ausdruck zu bringen, vor allem in den Mosh-Pit- und Nightclub-Bildern, aber das ist mit einem zweidimensionalen Medium gar nicht so einfach.

Hören Sie denn zumindest noch Musik?

Beim Malen? Ständig! Ich habe über 8.000 Songs auf meinem iPod und stelle den dann einfach auf Shuffle. Ich liebe alten Blues, und ich mag frühen Ambient-Sound, Steve Reich und Brian Eno. Das ist dreidimensionale Musik, die hilft mir beim Malen.

Sie haben einmal gesagt, dass alle Künstler ein dunkles Geheimnis haben: Sie verwenden ihre Zeit darauf, Produkte für wohlhabende Leute herzustellen. Wie kommt man als Künstler damit zurecht?

Mich würde interessieren, wie andere Künstler damit zurechtkommen. Ich habe meinen Weg gefunden: Ich male Bilder für wohlhabende Leute – und meine Street Art ist umsonst und für alle.

Dann sind Sie komplett mit sich im Reinen?

Nicht ganz. Ich bin niemals mit dem Ergebnis meiner Arbeit zufrieden. Irgendwie kommt immer etwas anderes heraus als ursprünglich geplant. Das ist erst einmal frustrierend, aber ich freue mich dann eben auf das nächste Projekt, und erhole mich so recht schnell.

Vor Kurzem erschien ein Buch über Ihr Gesamtkunstwerk: Was änderte sich für Sie?

Wenig. Ein paar Interviews mehr. Mit etwas Glück lädt mich bald jemand ein, in den Straßen von Moskau oder Berlin zu arbeiten. Erzählen Sie es also ruhig weiter: Ich bin genügsam und ich will einmal nach Berlin!