Kurt Cobain: Keine Ruhe im Nirvana


Zwei Jahre nach dem Tod von Kurt Cobain brodelt es immer noch in der Gerüchteküche. War es vielleicht gar kein Selbstmord? Beauftragte Courtney Love am Ende einen Killer? ME/Sounds wühlte im Schlamm der Spekulationen und nennt die üblichen Verdächtigen.

Wenn Legenden sterben, gerät die Nachwelt ins Grübeln: Wer waren diese Menschen, die wir so bewunderten, eigentlich? Was bewegte sie, wie lebten sie, was dachten sie in ihren letzten Minuten und – am Ende aller Überlegungen – warum mußten sie sterben? Es liegt in der Natur des Menschen, zu zweifeln. Erst recht, wenn als Belohnung der Zweifel ein Mysterium entsteht, so spannend wie ein Krimi.

War Marilyn Monroes Tod Selbstmord? Oder hatten ihr Killer ein tödliches Zäpfchen verabreicht, um ihre Affären mit den Kennedy-Brüdern zu vertuschen? War Jimi Hendrix‚ Tod in London wirklich ein Unfall? Oder ließ seine deutsche Freundin zu, daß er sich vor ihren Augen ins Koma trank, sich übergab und erstickte? Starb Jim Morrison mit nur 27 Jahren an einem Herzinfarkt in der Badewanne seines Pariser Apartements oder hatte jemand nachgeholfen?

Antworten auf solche Fragen laufen unweigerlich in Spekulationen aus. Auch über Kurt Cobains Tod wurde und wird immer noch spekuliert. Für die meisten ein offensichtlicher Selbstmord mit neben der Leiche gefundener Schrotflinte und Abschiedsbrief als sichere Indizien dafür. Für andere ein rätselhafter Tod, umgeben von vielen Ungereimtheiten, die nur einen Schluß zulassen: Mord!

Das US-Magazin ‚High Times‘, eher für seine Glorifizierung der Kifferkultur als für seinen Enfhüllungsjournalismus bekannt, läßt jetzt, zwei Jahre nach Kurt Cobains Tod, diese andere Seite zu Wort kommen. Drei – zugegebenermaßen teils dubiose – Gestalten erzählen von ihren Entdeckungen, Überzeugungen und Ahnungen, die zusammengefaßt zwar nicht beweisen, daß Cobain ermordet wurde, die aber vielleicht Grund genug „sind, den Selbstmord anzuzweifeln – und weiter zu spekulieren…

TOM GRANT. DER SCHNÜFFLER

Tom Grant könnte der Held einer drittklassigen TV-Serie sein: 49 Jahre alt, siebenfacher Großvater, sieben Jahre Polizeidienst in LA. hinter sich, nun Privatdetektiv. Als er am 3.4.1994, Ostersonntag, den Anruf von Courtney Love bekam, in dem sie ihn damit beauftragte herauszufinden, wer mit der Kreditkarte ihres Mannes Kurt Cobain einkaufen ging, wußte er kaum, wer Cobain oder seine Band Nirvana waren. Für ihn war das bloß ein Auftrag von hunderten. Das sollte sich schnell ändern. Bereits am selben Nachmittag, als Grant mit Love im feinen Peninsula Hotel in Beverly Hills zusammentraf, wechselten die Vorzeichen. „Sie gab zu, daß nicht jemand anderes, sondern Cobain selbst die Kreditkarte benutzte, und daß sie ihn suche. Von da an ging das Verwirrspiel los.“

Cobain war zu der Zeit flüchtig. Er hatte den „Exodus Recovery Center“, eine Entziehungsklinik in Marina del Rey, verlassen lind niemand schien zu wissen, wo er war. Oder etwa doch?

Mindestens zwei Menschen hatten eine Ahnung, wo er stecken könnte: Cali De Witt, das Cobainsche Kindermädchen, hatte Kurt am 2,4.94 in seinem Haus in Seattle gesehen – und Courtney darüber informiert. Courtney enthielt diese Information ihrem Schnüffler vor und verzögerte damit absichtlich? – seine Untersuchungen entscheidend. Denn, so Grant: „Cobain starb am 3. oder 4.4.94. Ich aber kam erst am 6.4. nach Seattle – zu spät, um irgendetwas zu verhindern.“

Bei seinem Trip nach Seattle wurde Grant von Dylan Carson, einem Drogenfreund von Kurt, empfangen und durchs Haus geführt. Grant durchsuchte das gesamte Anwesen – bis auf das Gewächshaus. „Das ist nur ein dreckiger, kleiner Raum“, hatte Carson ihm beschieden, als Grant danach fragte. Zwei Tage später, am Morgen des 8.4.94, entdeckte ein Elektriker in diesem „dreckigen, kleinen Raum“ die Leiche Kurt Cobains. Eine Remington M-11 Schrotflinte lag noch in seiner Hand. Eine einzelne Ladung war ihm durch den Mund in den Kopf gedrungen. Ein Brief lag neben Kurt – eine typische Selbstmordszenerie. So sah es auch Seattles Mordkommision. Laut Grant war die „sauer“ darüber, überhaupt mit der Sache belästigt zu werden: „Wir würden das normalerweise gar nicht untersuchen, wäre der Tote nicht Kurt Cobain“, sollen sie ihm gesagt haben. Es verwunderte ihn daher nicht, daß die Polizei einen Monat später in einer Pressemitteilung jegliches „faule Spiel“ im Zusammenhang mit Cobains Tod ausschloß.

Tom Grant gab sich damit nicht zufrieden. Vielleicht war es pure Neugier. Vielleicht gekränkte Berufsehre, da nicht er, sondern ein Elektriker die Leiche gefunden hatte. Vielleicht bloßes Geltungsbedürfnis. Jedenfalls recherchierte Grant weiter in Sachen Cobain.

Acht Monate später ging er an die Öffentlichkeit: Mit einem Motiv für und einer These über den Mord an Kurt Cobain. Demnach hatte Courtney Love Grund genug, sich ihres Mannes zu entledigen – mit dem ältesten Mordmotiv der Welt: Geld. Grant fand heraus, daß Cobain sich von Love scheiden lassen und dem Musikbusiness für immer den Rücken kehren wollte. Cobain hatte sich bereits mit Rosemary Carroll, einer Anwältin des Ehepaares, getroffen und ihr eröffnet, daß er Courtney aus seinem Testament gestrichen haben wollte. Mehr noch: Grant ist überzeugt, daß es sich bei dem Abschiedsbrief nicht um den Brief eines Selbstmörders, sondern lediglich um den Brief eines Musikers handelte, der vor seinem Rückzug aus dem Geschäft seinen Fans „Good Bye“ sagen wollte. „Der Brief war nicht an Courtney oder Frances (seine Tochter) adressiert, und mit keinem Wort erwähnt Cobain darin Selbstmord“, stellt Grant richtig fest.

Kurts vorzeitiger Ruhestand hätte tatsächlich drastische Geldeinbußen für das Ehepaar Cobain/Love bedeutet. Schon durch seine Weigerung, mit Nirvana die 94er Lollapalooza-Tour anzuführen, hatte Kurt auf sichere 9,5 Millionen Dollar verzichtet. Hätten sich nun Nirvana ganz aufgelöst und Kurt sich von Courtney scheiden lassen, wäre das das Aus für deren Dolce Vita gewesen. Das Motiv geklärt, stellte Grant nun Überlegungen über den „Selbstmord“ als solchen an. Er hat keine Tatverdächtigen, aber er ist überzeugt, daß es sich nicht um Selbstmord gehandelt haben kann. Grants Theorie: Kurt Cobain wußte, daß ihn jemand ausschalten wollte. Er saß dort oben in seinem Gewächshaus wie in einem Wachturm, die Schrotflinte parat. Er hatte Angst, wollte Seattle in den nächsten Stunden, spätestens am nächsten Tag wieder verlassen. Dann bekam er Besuch. Drogen kamen auf den Tisch. Kurt fing an, Heroin zu spritzen. „Bei seinem Tod hatte Kurt das dreifache der tödlichen Dosis Heroin in den Adern. Das muß nicht unbedingt tödlich für einen erfahrenen Junkie sein. Aber es reichte allemal, um ihn auszuschalten. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß er sich in beide Arme spritzte, dann sein Spritzbesteck wegpackte und anschließend noch in der Lage war, sich zu erschießen. Er war entweder ohnmächtig oder so fertig, daß jeder ungehindert sonstwas mit ihm hätte machen können…“ „Sonstwas“ bedeutet natürlich: Die Schrotflinte nehmen, Kurt in den Kopf schießen, sie dem Leichnam in die Hand drücken und verschwinden – die saubere Arbeit eines Auftragmörders. Doch wer sollte das gewesen sein?

EL DUCE, DER HENKER

Einer, der es hätte gewesen sein können, ist El Duce, Leadsänger der Porno-Metal-Band ‚The Mentors‘. Gewaltig, mit fettem, entblößtem Oberleib und schwarzer Gesichtsmaske wirkt El Duce bei Auftritten mit seiner Band brutal und furchteinflößend einzig die Axt fehlt, um das Bild vom mittelalterlichen Henker zu vervollständigen. Stimmt El Duces Story, dann muß auch Courtney Love in ihm den Henker gesehen haben – sonst hätte sie ihm nicht das Angebot gemacht, das so gut war, daß El Duce es nicht ablehnen konnte.

Es war an einem Abend Ende Dezember 1993, als El Duce vor dem ‚Rock Shop‘, einem Plattenladen in Hollywood, herumhing. Plötzlich fuhr neben ihm eine Limousine vor und heraus stieg Courtney Love. El Duce und Love kannten sich seit den späten 8oern, als Hole-Drummerin Carolyn Rue und Mentors-Gitarrist Sickie Wifebeater ein Paar waren. „Hey El!“, soll Courtney gerufen haben. „Du mußt mir einen Gefallen tun. Mein Alter ist in letzter Zeit ein richtiges Arschloch. Du mußt ihm die Birne wegblasen. Ich zahle Dir 50.000 Dollar. Wo kann ich Dich erreichen?“ El hatte zu der Zeit kein Telefon und gab ihr statt dessen die Nummer des ‚Rock Shop‘: „Hier kannst Du Nachrichten für mich hinterlassen. Wenn Du’s ernst meinst, dann mach ich auch ernst“, verabschiedete er sich von Love. Karush Sepedjian, Manager des ‚Rock Shop‘, bezeugt den Vorfall: „El hing vorm Laden rum, als Courtney Love vorfuhr. Ich habe nicht alles mitbekommen, aber ich hörte sie fragen: „Kannst Du das erledigen? Kannst Du das für mich tun? Wieviel verlangst Du dafür?“ Sie unterhielten sich eindeutig darüber, Kurt Cobain umzulegen. Dann kamen sie rein. El flüsterte: ‚Sie hat mir 50.000 Dollar geboten‘. Ich gab ihr meine Nummer und sie versprach, in ein paar Monaten anzurufen und nach El Duce zu fragen.“

Im März rief Love tatsächlich an. Sepedjian war am Apparat, mußte Love aber mitteilen, daß El Duce gerade auf Tour war. „Sie schrie los: ‚Dieser Hurensohn! Wir hatten ein Abkommen. Was soll ich jetzt machen? Was mach ich bloß?‘ Sie war hysterisch. Ich hängte auf.“ Zehn Tage später war Cobain tot. Und beide, El Duce wie Sepedjian, hatten den gleichen Verdacht: „Sie muß jemand anderes gefunden haben, der den Job für sie erledigte.“ El Duce ist sicher, daß Love hinter dem „Selbstmord“ steckt: „Kurt wollte sich von ihr scheiden lassen, weil sie ihn ständig betrog. Sie ließ ihn umlegen, damit sie die Kohle behalten konnte.“

HANK HARRISON, DER VATER

So zweifelhaft dem einen oder anderen eine Figur wie El Duce erscheinen mag, ein Mann, der keine Hemmungen hat, mit seiner Theorie hausieren zu gehen und neben den ‚Mentors‘ eine zweite Band mit Namen ‚Courtney Killed Kurt‘ gründete, so glaubwürdig mag einem die letzte Gestalt in diesem Krimi vorkommen: Hank Harrison. Aus denkbar einfachem Grunde: Hank Harnson ist Courtney Loves Vater. Zugegeben: Das Verhältnis Courtney Love/Hank Harrison ist ein gespaltenes. Oft genug hat sich Courtney öffentlich vom Vater distanziert. Sie hat ihn als Rabenvater und Parasit bezeichnet, der davon lebt, seine alten Kontakte zu den Grateful Dead auszuschlachten (Harrison ist Autor zweier Bücher über die Band, ‚The Dead Book‘ und ‚The Dead‘). Es stimmt auch, daß Harrison und seine Tochter seit 1993 keinen persönlichen Kontakt mehr zueinander haben, daß Harrison weder Kurt Cobain noch seine Enkeltochter Frances jemals kennengelernt hat. Aber Fakt bleibt, daß er ihr leiblicher Vater ist, daß er sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr zusammen mit der Mutter Linda Carroll großzog und daß er sie von ihrem 15. bis 18. Lebensjahr bei sich aufnahm, nachdem sie wegen Ladendiebstahls in ein Heim gesteckt worden war. Fakt ist, daß Harrison nicht über eine Fremde, sondern über seine eigene Tochter spricht, wenn er von Courtney Love redet. Und Harrison redet. Unabhängig von Tom Grant kam er bald nach Kurts Tod zum Schluß, daß an dieser Sache etwas faul sein mußte. Als er dann von Grants Anschuldigungen gegen seine Tochter hörte, war er fast erleichtert: „Nicht, daß ich meine Tochter im Knast sehen will. Aber ich war froh, als ich hörte, daß ich nicht der einzige mit einem Verdacht war.“

Harrisons Verdacht begründet sich vor allem auf Kenntnis der Psyche seiner Tochter: „Es ist fast, als ob Courtney eine mehrfach gespaltene Persönlichkeit hätte – und eine davon ist extrem böse, wirklich krank. Zweimal hat sie bereits versucht, mich umzubringen. Und erst letzten Oktober versuchten wieder zwei Typen, mich zusammenzuschlagen. Ich habe gehört, daß ich auf ihrer Abschußliste stehe, daß sie eine Belohnung auf meinen Kopf ausgesetzt hat.“ Hank Harrison ist überzeugt, daß seine Tochter irgendetwas mit Kurts Tod zu tun hat. „Ich glaube, daß man ihn betäubt und umgelegt hat. Ich glaube nicht unbedingt, daß das Leute waren, die von Courtney gesteuert wurden. Aber auch wenn sie keinen direkten Einfluß auf den Mord hatte, so wußte sie doch zumindest davon und hielt ihre Klappe.“ Als möglichen Beweggrund nennt auch Harrison die drohende Scheidung: „Kurt wollte sich scheiden lassen. Sie nicht. Sie betrog ihn. Kurt hätte schon sehr liberal sein müssen, hätte ihn das nicht aufregen sollen. Es regte ihn auf. Er konnte sie nicht glücklich machen. Das machte ihn unglücklich. Selbst wenn er sich umgebracht haben sollte – was ich ernsthaft bezweifele – weiß ich zumindest, warum. Courtney hat ihn fertiggemacht.“

Grant, Harrison und El Duce hoffen, durch ihre Behauptungen die Öffentlichkeit so weit aufrütteln zu können, daß die Polizei von Seattle den Fall neu untersucht. „Dann“, so Grant, „wird das ganze Lügengebilde zusammenstürzen wie ein Kartenhaus.“

Vielleicht hofft Grant auch, durch seine neue Prominenz mehr Klienten zu bekommen. Vielleicht hofft Hank Harrison, durch die Kontroverse den Verkauf seines nächsten Buches ‚Beyond Nirvana: The Legacy of Kurt Cobain‘ anzukurbeln. Vielleicht hofft El Duce auf eine große Karriere für seine Bands mit geschmacklosen Namen und Gesängen über Fäkalsex. Courtney Love hofft, dem entgegenzusteuern, indem sie Grant bereits mehrmals mit gerichtlichen Schritten drohte, indem sie bereitwillig jedem Interviewer Dreck über ihren Vater entgegenschleudert und indem sie El Duce schlichtweg ignoriert. Und Kurt Cobain? Er braucht nicht mehr zu‘ hoffen. Er ist Legende.