Kurz & Klein


Was ist denn da los? Mit vollen Händen scheint der Plattenmeister diesen Monat die Folkpopplatten in die Kurz8tKlein-Kiste geschaufelt zu haben. Ist da Boom, odet was? Fangen wir mit dem niedlichsten Namen an, The Gentle Lurch aus Dresden. Die spielen auf ihrem Debüt from around a fire (Schinderwies/Broken Silence) recht eigenwillig knisteriges, sprödes LoFi-FoIkzeugs, das ganz reizvoll daherperlt und -purzelt, mit Banjo, Melodika, Örgelchen und Klavier. Es ist nur dieser monoton murmelnde, irgendwie posige „ich war so gern Howe Gelb„-Halbsprechgesang, der es einem letztlich schwermacht, die Platte wirklich lieb zu gewinnen.

Aus Boston kommt der Songwriter Jude, der früher mal auf Madonnas Maverick-Label war. Sein Album REDEMPTION (Naive/Indigo) beginnt schulkellerfolkig, entfaltet sich dann allmählich mit gefalligem Bandsound, Harmoniegesang und klebrigen „funky“ Passagen – während Jude zum Blunt mutiert. „Yougo to work/l amajerk“, singt er gegen Ende der Platte, „only stay around the house andplay“, aber dafür sitzt er dann daheim und schreibt „this lovesong“ füt’s Schatzi. Das Lied heißt „Stay“. Bisher gab es 43.342 Lieder dieses Titels; sind’s eben jetzt 43.343. Und der nächste Song, kein Flachs: „Money“, Zitat: „Money makes the worldgo ‚round, money tnakes, money takes, money breaks, Money, wou-ouh“. Grundgütiger.

Und noch so einer. MUSIC fortourists (Absolutely Kosher/Cargo) von dem New Yorker Chris Garneau lässt sich vielversprechend an, mit zauberigem Folkpop mit Piano und Cello und einem Sänger, der sich sogleich in melodramatische Jeff-Buckley-Höhenaufschwingt. Leiderentpuppt sich Garneau bald als eine Art männliche Isobel Campbell und säuselt sich so hemmungslos rehäugigverletzlich-süßlich rein mit seiner affektierten Mädchenstimme (grundsätzlich nichts gegen Mädchenstimmen, gern auch bei Herren), dass einem schier die Nackenhaare ausfallen. Wenn einer so nah und „intim“ ans Mikro geht, dass man auch noch die glibbernden, schmatzenden Nebengeräusche hört, die sein Mund beim Singen macht, wissen Sie was ich meine? Das ist eine Spur zu intensiv.

Ah, endlich. Smarte, junge, gefühlige, aber kitschferne Engländer (und eine Isländerin): die erst letztes Jahr gegründeten Fields aus London und ihr Minialbum FROM the village (Black Lab/Warner), Vorbote des demnächst erscheinenden Vollalbums, auf das man sehr gespannt sein darf. Die fünf verbinden (derzeit ja wieder in Mode kommendes) Shoegazer-Dings mit britischer Psyche-Folk-Sptnnerei und Indierock-Dringlichkeit, akustisch-traumiges Zupfen und flirrende Harmoniegesänge mit elektronischen Sprengsein und klingen im Zuge der sämtlich tollen sieben Tracks wie ein exquisit gelungenes Klonexperiment aus Espers, Velvet Underground, Ride, Pentangle, Sigur Ros, Boards Of Canada und, ja, Bloc Party. Aber eben viel besser als ein Klonexperiment. In der Tat viel besser alles andere hier in diesem Kasten. Fast.

Aus gegebenem Anlass ein Wort zut schaumschlägerischen „Verkaufe“ von Popprodukten. Es ist ein Unding, dass jede Band, die unfallfrei „ba baba ba baaa“ singen kann und ein paar Beach-Boys-Versatzstücke bemüht, immer gleich dem armen Brian Wilson angelastet wird. Beispiel Irene. Irene sind neun Schweden in Ringel-T-Shirts, und natürlich schreiben sie ihren doofen Bandnamen in der „Pet-Sounds-Schrift“ (a.k.a. Cooper Black) aufs Cover ihres Albums APP-LE BAY (Labrador Records/Broken Silence). Aber wenn DAS eine Platte ist mit „unwiderstehlichen Popmelodien, wie sieeigentlich nur ein Gene Clark, Brian Wilson, Surf Bacharach und Phil Spector schreiben konnten „, dann kann man nur hoffen, dass der offenbar leicht zu beeindruckende Autor dieses Pressetextes nie wirklich eine Platte von Bacharach, Wilson oder zum Beispiel Belle &. Sebastian zu hören kriegt. Weil er sonst nämlich stirbt oder so. Im Gegenteil sind Irenes Melodien sogarausgesprochen widerstehlich, weil unmemorabel und beliebig. Und ihr Leadsänger Bobby kann nicht singen. Das ist schon okay, von wegen Freiheit des Ausdrucks und so. Aber können tut er’s nicht, liefert stattdessen mit eitern Gebrummel Zeilen ab wie „lady, lady want you to stay“ oder auch zwei Songs weiter „baby I love your way, baby I want you to stay“. Gottlob ist nach bereits 24 Minuten Ruhe.

Von Irene ist der Weg nicht weit zu Kitty, Kitty Solaris. Die ist angenehmer als Irene, aber man fragt sich schon, wie die Berlinerin und ihr Partner Steffen Schlosser in den Ruf kommen, etwas mit Avantgarde zu tun zu haben – der Begriff taucht jedenfalls auf bei der Internetsucherei. Vielleicht waren die früher ja mal voll krass drauf. Der schwer nach Apricot-Easy-Listening-Kitsch riechende Titel des Albums fu-TURE AI R HOSTESS (kommt aber bei Solaris Empire/Broken Silence) deutet jedenfalls an, was hier geht: Enorm harmloser, keimfreier Gitarrenpop, „frech“ und „charmant“, mit Akuscikgitarre hie und Örgelchen da und einer Gesamtatmosphäre, die micunterins Juiianewerdinghafte kippt. Musik, wie man sie sich in einer der melancholischen Berlin-Komödien der 90er vorstellen könnte. Und schon wieder geht’s los: „I loueyou, I want you, stay by my side.“ Und: „You have toshave, Mister, before I kiss you.“ Herrgott. Nein, das geht nicht, dann könnten wir ja gleich Julie Delpy hören.

Jetzt bitte mal Rock. Hier: die (mir bislang anonymen) dänischen Garagenrocker The Blue Van. Nach ellenlanger Ochsentour mit ihrem „full-throttle booze-driven rock n‘ roll“, erzählt das Presseinfo, lassen es die vier auf ihrem zweiten Album dear independence (TVT Europe/Edel) ein Stück gemächlicher angehen. Und machen halt auch wieder so Garagenrock (sie sind wohl geboren dafür), aber mit weniger Wumms, dafür mehr gemütvoller Schweineorgel. Das geht dann so in Richtung Jet und Mando Diao in langsam und ist wirklich ausgesprochen nichtssagend.

Damit zu einer Band, bei der sich das Problem im Namen, äh, spiegelt: So wie sich dieser Autor nicht sicher ist, ob Rockformation Diskokugel nun der abgeschmackteste gestelzte Bandname der Welt ist oder eigentlich wirklich ganz spaßig, fällt es beim Hören ihres Albums-Vorsicht, noch ein witziger Name -Anarchie und MONTAG (Ata Tak/Broken Silence) schwer zu entscheiden, ob man es hier mit präpotenten Wichtigtuern zu tun hat oder mit Leuten, von denen man sich ganz gern mal einen erzählen lässt. Ihren recht eigenwilligen Provinzcharme (no offence) hat die Band aus Schlüchtern am Spessartrand auf jeden Fall, wie sie so zwischen souligem Getröte, elektronischem Synthrock, orgelig-jazzigem Easy-Listening-Gelöt, Indiepop etc.pp. herumchangiert (manchmal wird sogar gerappt), mit ihren zwischen Ärzte-Kindsköpfigkeit und Fehlfarben-Intellektualität pendelnden Texten, denen immer etwas seltsam ungelenkes anhaftet. A mixed bag.

So. Noch mal kurz zurück zum Folk, aber jetzt ist Schluss mit flockig. Arbouretum. eine Band um Dave Heumann, Ex-Mitspieler von Bonnie „Prince“ Billy und Papa M, langen auf ihrem Album rites of uncovering (Thrill Jockey/Rough Trade) grob hin und bewirken wundersam Zartes. Laden ihre mit großen Themen wie Religion und Existenzialismus hantierenden bluesig-folkigen Songs mit einer unbrachialen Heavyness auf, als würden Bohren & Der Club Of Gore Appalachen-Folk spielen oder Kyussein paar nie gehörte 16-Horsepower-Kompositionen zum Besten geben. Noch ein paar kakophonische Noise-Gewitter, ein Schuss Psychedelic, ein magisches Vibraphon und etwas Zauberstaub dazu – fertig ist die zweite wirklich gute Platte in diesem Kasten. Happy End?