Laute Denker


Mit intellektuellen Nullnummern können Damon Albarn und Blur nichts anfangen -was eine tönende Zwischenbilanz deutlich zeigt.

Damon Albarn hängt tief im Ledersofa und nölt unter seiner Kappe im Stil eines Bauern aus Yorkshire hervor: „You really got me dancing, you really got me dancing in my head now baby!“ Es ist eine Melodie, die entfernt an George Clintons „Brides Of Funkenstein“ oder Labelle erinnert. „Das ist mir gerade recht so“, freut Albarn sich und schlägt einen Akzent an wie ein lethargischer Texaner: „So will ich klingen, es soll Soul haben. Know wha‘ aah mean?“

Die Rede ist von der ersten neuen Blur-Single seit dem Album “ 13″. Mit ihm hatte das Quartett seiner altbekannten Ironie den Rücken gekehrt, unter Mithilfe von Madonna-Produzent William Orbit vermehrt Computer eingesetzt und intime, persönliche Texte gesungen. „13“ hatte zwar nicht den überraschenden kommerziellen Welterfolg des dreckigen, gitarrendominierten Lo-Fi-Werke „Blur“ wiederholen können, aber als Neustart schien es etliche hoffnungsvolle Wegweiser zu enthalten. Die neue Single „Music Is My Radar“ ist mit ihren fünfeinhalb Minuten zwar fast so lang wie „Tender, aber der Groove ist ein ganz anderer: funkige Refrains werden unterbrochen von jaulenden und verzerrten Gitarrenriffs, gegen den Schluss hin kitzelt gar eine An Zahnarztbohrer den Gehörnerv.

Eine Stunde vorher hatte Gitarrist Graham Coxon (31) in einem anderen Sofa in einem anderen Zimmer dieses für Interviews und Fotosessions gemieteten Hauses ganz in der Nähe des schicken Privatclubs „Groucho’s“ – übrigens die liebste Tankstelle von Bassist Alex lames (31) – den Klangcharakter der neuen Single ebenfalls zu beschreiben versucht: „Ich wollte einen schweren, altmodischen Fuzz-Sound, ähnlich wie auf John Lennons ‚Cold Turkey‘. Mit etwas Can beigemischt. LlndParliament.Und Disco.“ Albarns Radar aber ist auf einen ganz anderen Sound, ja Kontinent, ausgerichtet: Afrika nämlich. „Was für mich am meisten drinsteckt, ist die Freiheit, die man sich dort mit den Tönen und Tonleitern gönnt. Ich verbrachte neulich einige Zeit in Westafrika…“ Und setzt zu einer vollblütigen Schwärmerei an, wie man sie von ihm in derart ironiefreier Unbefangenheit vor zwei Jahren bestimmt noch nicht erwartet hätte. „‚Hotel Tennessee‘ hieß der Laden in Bamako. Welch ein Name, mitten im afrikanischen Mali. Der Trip war von der Hilfsorganisation Oxfam organisiert worden. Ich reiste herum und spielte mit vielen Musikern zusammen. MitToumani Diabate etwa, und Ali Farka Toure. Es war schlichtweg fantastisch.“ Albarn hatte seine Melodica dabei – ein Instrument, dessen Entdeckung er dem Reggae-Meister Augustus Pablo verdankt: „Jetzt ist es mein liebstes Spielzeug“, sagt er. Mit diesem Teil gesellte er sich zu allerhand Jam-Sessions und ließ jeweils den DAT-Recorder mitlaufen. Am Ende des lahres soll aus den Resultaten ein Benefizalbum entstehen.

Im Januar noch hatte Oamon Albarn (32) auf der Blur-Website erklärt: „Ich sträube mich dagegen, eine ‚Best Of-Sammlung herauszugeben. So was markiert doch jedes Mal eine Sackgasse, das Ende.“ Dass jetzt eine Greatest Hits-CD veröffentlicht wird, scheint den vier Bandmitgliedern beinahe peinlich zu sein. „Nichts weiter als ein Status-Symbol. Ein musikalischer Rolls-Royce sozusagen“, urteilt Graham Coxon. Schlagzeuger Dave Rowntree (37) pflichtet ihm bei: „Das wurde nur von der Marketing-Abteilung der Plattenfirma vorwärtsgetrieben.“ AJbarn selber greift bei dem Thema doch noch auf seinen berühmten Sarkasmus zurück: „Das Album ist eine tolle Gelegenheit für all jene Leute, die unsere Musik mögen, jedoch noch nichts von uns gekauft haben, dieses Manko wettzumachen. „Alex James, dem die Freuden des Vorabends noch tief in die Ringe unter den Augen und die zerknitterten Wangen geschnitten sind, nickt dazu nur müde. Selbst ein Lob für die den ersten paar Tausend CDs beigelegte, lange Live-CD (sie enthält den Mitschnitt eines Konzertes in der Londoner Wembley Arena Ende 1999) löst keine Freude aus: „Das war nun wirklich nur eine Marketing-Sache! „stöhnt AJbarn. „Wenn wir ein Live-Album zusammengestellt hätten, wäre etwas ganz anderes rausgekommen. Aber was soll’s. Eigentlich will ich darüber gar nicht reden.“ Selbst über die runde Dekade, welche die Hitsammlung umspannt, möchten sich die Herren Musiker nicht gross auslassen. „Es ist mir praktisch unmöglich, mich mit meiner Vergangenheit auseinander zu setzen“, entschuldigt sich Albarn. „Ich bin so darauf erpicht, immer wieder Neues zu probieren, dass mich das Alte einfach langweilt. Mein einziger Beitrag zu dieser CD war es, darüber zu wachen, dass der neue Track drauf toll ist und das Cover stimmt.“

Was beim Durchhören von „Greatest Hits“ sogleich auffällt, ist die erstaunliche stilistische Vielfalt. Dämon Albarn: „Wenn das Album etwas unterstreicht, dann ist es unsere positive Einstellung zur Bildung. Fast überall trifft man auf irgendeine Art von diese nihilistischer Einstellung. Das klingt dann zum Beispiel so: Bücher? Sind doch doof! Probleme? Sind uns egal! Engagement? Fuck off! Wir dagegen lesen Bücher, sprechen darüber, zeigen, dass uns interessiert, was in unserer Umgebung geschieht. Unsere Musik spiegelt diese Einstellung wider.“ Kein Wunder also, dass Albarn die Bedeutung von Blur für die britische Musik nicht unterbewertet wissen möchte: „Ohne uns hätte es den Britpop nicht gegeben! Wir gaben der Sache eine gewisse Würde. Eine Komponente, die der Britpop brauchte, um nicht an der Oberfläche hängen zu bleiben. Nur auf Bier und einer groben Sprache kann man keine Bewegung aufbauen.“ Alex, der sonst schweigt, wenn Dämon spricht, fällt seinem Kumpel ins Wort: „Seltsamerweise löst eine solche Selbstverständlichkeit in gewissen Kreisen regelrechte Kontroversen aus.“

Die Rückblende mittels der „Greatest Hits“ entlockt den Blur-Boys keinen grossen Enthusiasmus. Dennoch sind alle vier an diesem regnerischen Mittwochmorgen in allerbester Stimmung. Dafür sorgt „Music Is My Radar“. Der Song ist neben einem weiteren neuen Lied, das die Band für Marianne Faithful und deren nächstes Album komponiert hat, das Resultat eines ersten Teamworks nach längerem Diensturlaub. Jeder hatte die Ferien für eigene Projekte genutzt. Doch dann kam man wieder zusammen, und die Arbeit im Studio machte offensichtlich Spass. Albarn: „‚Music Is My Radar‘ wurde an einem Donnerstag fertig. Am darauffolgenden Dienstag wurde der Song schon im Radio gespielt. Das nenne ich schnell.“ Das Ergebnis ihrer jüngsten Zusammenarbeit hat die Band so begeistert, dass sie spontan beschloss, die Nummer auch auf ihre nicht sonderlich geliebte Greatest-Hits-Sammlung zu packen. Aus gutem Grund: „DerTitel ist vollkommen anders als alles, was wir vorher gemacht haben“, meint Albarn, „aber es wirkt total stimmig. Ich wage sogar, einen Hit zu prophezeien.“ Womit alle Split-Gerüchte um Blur ad aeta gelegt wären.

» www.blur.co.uk Reif von der Insel