Lehrzeit noch nicht beendet


The Kooks haben ihr zweites Album aufgenommen. Es wird ein Hit werden - und Hits ab- werfen. Obwohl Konk ein bisschen unter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Was gar nicht den Jungs aus Brighton anzukreiden ist. Außer man möchte ihnen vorwerfen, dass sie ihre künstlerische Vision nicht hartnäckig genug durchgesetzt haben.

Es gibt nur selten Bands, deren Karriere so steil verläuft wie die von The Kooks. So steil aufwärts. The Kooks existieren gerade einmal drei Monate, da haben sie schon ihren Plattenvertrag in der Tasche. Genau ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung ihres Debüts Supporten sie die größte lebende Rockband des Planeten, die Rolling Stones. Sie spielen ausverkaufte Tourneen, deren Konzerte regelmäßig in größere Hallen verlegt werden müssen. Sie gewinnen den MTV Europe Music Award als beste britische Band. Die Musikexpress-Leser küren sie zum zweitbesten Newcomer 2006, und aus dem Stand landen sie bei den „Bands des Jahres“ auf Platz 10 (zwei Plätze hinter den Stones). Das Album inside in/inside out verkauft sich bis heute weltweit über zwei Millionen Mal.

Bevor wir uns hier jedoch in mehrstelligen Superlativen und Schwärmereien verlieren, belassen wir es mal dabei: Das erste Album der Kooks war eine ziemlich gute Platte. Unter anderem deshalb, weil diese Band nicht nur ausgetretenen Indierockpfaden folgte, sondern sich wie selbstverständlich Elemente aus Soul und Funk zu eigen machte. So entstand ein Sound mit hohem Wiedererkennungswert, der zwar in großer britischer Tradition (Kinks, Beatles, Stones etc.) stand, aber gleichzeitig eigen und besonders klang. Einen großen Anteil daran hatte das außergewöhnliche Gitarrenspiel von Hugh Harris, der früher in einer Funkband spielte, und die etwas nölige, leicht heisere Stimme mit Brighton-Akzent von Luke Pritchard.

Als wir die beiden im Sommer 2006 zum ersten Mal für ein Interview trafen, hatte Hugh Geburtstag – er wurde 19. Doch es gab keine Feier. Es war der Abend eines langen Interviewtags. Luke hatte inzwischen bedenklich abgebaut, den Tag über zu wenig gegessen, kaum Pausen. Im Interview schlief er ein. Hugh übernahm die Konversation und erwies sich als umso aufgeweckterer Gesprächspartner. Bis Luke endlich wieder aufwachte und ziemlich peinlich berührt dreinschaute. Ist ja nicht so schlimm. Oder vielleicht doch schlimm, weil: Womöglich ist das doch alles ein bisschen zu viel zu hart zu schnell für diese jungen… Jungs. Nein, man solle sich keine Sorgen um sie machen, entgegnete Hugh damals. The Kooks seien eine gut behütete Band.

Luke Pritchard, Hugh Harris, Max Rafferty und Paul Garred treffen sich 2003 eher zufällig am Brighton Institute of Modern Music. Sie studieren alle dort, allerdings unterschiedliche Fächer. Luke und Hugh, später der Kern der Band, begegnen sich regelmäßig. „Oft saß ich mit meiner Gitarre vor der Schule herum und spielte vor mich hin. Irgendwann kam Hugh herüber und fragte:,Was für ein Song war das?’Ich antwortete: ‚Einer von meinen.‘ Wir fingen an, gemeinsam zu spielen, er und ich, Paul, Max.“ Ihr erster Auftritt: die Aufführung einer Coverversion des Strokes-Songs „Reptilia“ auf dem Schulfest, der Bandname einem Bowie-Song entliehen („Kooks“ heißt ein Song auf hunky dory von 1971). Drei Monate und ein paar verschickte Demotapes später wird der Plattenvertrag mit Virgin unterschrieben.

„Danach haben wir erstmal nur getourt“, erinnert sich Hugh, dessen größter musikalischer Einfluss sein Gitarrenlehrer war: „Ich war elf Jahre alt, er hieß Joey Beerman, ein ziemlich cooler Typ. Wenn ich einen Song von Hendrix spielen wollte, hat er gesagt: , Cool, wenn du das magst, hör dir doch das hier mal an‘ und mir irgendwas anderes mit nach Hause gegeben. Meistens hat es mir gefallen.“

Luke, der mal mit der Popsängerin Katie Melua zusammen war, darüber aber nicht gerne spricht, wurde die Musik sogar in die Wiege gelegt. Sein Vater war Bluesmusiker und spielte mit John Lee Hooker. Der Vater starb allerdings schon, als Luke drei Jahre jung war, blieb ihm aber ein großes Vorbild und hinterließ ein wichtiges Erbe:

„In unserem Haus lagen überall Instrumente herum. Das war einfach irgendwie normal bei uns. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand nahm.“

Woran er sich noch gut erinnern kann, ist das erste Konzert, auf dem er war, und er lacht, als wir ihn danach fragen: „Das war Chuck Berry. Aber pass auf: That’s pretty fucking serious! Ich muss so etwa acht Jahre alt gewesen sein, der Freund meiner Mutter hatte mich mitgenommen. Chuck Berry machte immer noch den Duckwalk. Verrückt!“ Er lacht und schüttelt den Kopf: „Eine gute Erinnerung … Weißt du, ich wollte immer einfach nur Musik machen, denn das kann schon auch sehr schöne Seiten haben…“ Das Lachen verschwindet aus seinem Gesicht, sein Blick schweift durch den Raum, er denkt nach und spuckt beiläufig Satzfetzen aus: „Ich war niemals … ich bin nicht… also dieses Rockstarding…“

Sein Blick fällt auf das halbe Dutzend Medikamentenpackungen, das vor ihm auf dem Tisch aufgebaut ist wie ein Lunchpaket: „Wie um alles in der Welt kann man Braille lesen? Ich hab gerade darüber nachgedacht: Braille. Die Blindenschrift, weißt du? Ich versteh das nicht. Man muss so unglaublich sensible Finger haben, um das verstehen zu können. Wie soll das nur funktionieren, wenn man Gitarre spielt?“ Sein Blick verliert sich wieder, bleibt irgendwo hängen. Luke Pritchard kränkelt, er ist ausgelaugt, leidet an den Folgen eines Jetlags. Wir sitzen in einem Hotelzimmer in Berlin. Dies ist das 21. Interview an diesem Tag. Vor zwei Tagen war die Band noch in Kanada auf Tour, vor einer Woche zu Gast beim amerikanischen Late-Night-Talker Conan O’Brien, gestern in Köln, heute Abend geht es gleich weiter nach Oslo. Mehr Interviews. Und Luke sieht aus, als könnte er nichts besser vertragen als eine ergiebige Pause.

Was diesen Marathon nicht einfacher zu überstehen macht: Luke scheint im Moment nicht vollends zufrieden zu sein mit der zweiten Platte seiner Band. Das war vor sechs Wochen noch anders, als wir The Kooks in den Konk-Studios im Norden Londons besuchten (ME 3/2008). Da saßen uns zwei gut gelaunte Musiker gegenüber und spielten mit großer Freude ihre neuen Songs vor, klopften sich gegenseitig auf die Schulter, lachten sich über ihre eigenen Texte kaputt und waren hochzufrieden mit den Aufnahmen, die sie gerade fertig gestellt hatten. „Wir haben ein großartiges Album aufgenommen“, sagte Hugh, „und wir haben vieles anders gemacht als vorher. Das ist vor allem das Verdienst von Tony Hoffer.“ Hoffer (Beck, The Fratellis, Dave Gahan etc.) war zum zweiten Mal ihr Produzent. „Er hat uns ermutigt, neue Sounds auszuprobieren, elektronische Sachen, Streicher und sogar ein Casio-Keyboard.“ Spannende Songs sind daraus entstanden, eine Idee experimenteller, und doch eindeutig Kooks-Songs. Wichtiger Vermerk in unserem Notizbuch beim Studiobesuch: „Bei den neuen Stücken ,Brooklyn‘ und ,Vicious Dear‘ (auf YouTube als ,So Vicious‘ zu finden) funktioniert die künstlerische Weiterentwicklung besonders gut!

Nur: Genau diese Songs fehlen auf der fertigen Platte. Wo sind sie hin? Luke ist selbst traurig über ihr Verschwinden. Nun, die beiden Songs hätten am Ende nicht so richtig in das Gesamtbild des Albums gepasst… und bei der Songauswahl haben eben auch „unsere Manager und die A&R-Typen von der Plattenfirma“ ein Wörtchen mitzureden. „Das Problem ist, dass man nur zwischen elf und 14 Songs auf ein Album packen sollte“, gibt Produzent Tony Hoffer in einer E-Mail zu bedenken: „Sonst wird es zu viel. Ich nehme aber gerne mehr Songs auf, damit die Band noch Material für gute B-Seiten und Bonustracks hat.“ Das lehnt Luke wiederum kategorisch ab: „Diese Songs werden irgendwo ihren Platz finden, aber bestimmt nicht als B-Seiten.“

So viel zur Frage, wo die Songs abgeblieben sind. Doch wichtiger ist vielleicht noch die Frage nach dem Verbleib des Bassisten Max Rafferty. Am 30. Januar die knappe Nachricht, dass er nicht mehr dabei ist. Offizielle Gründe: keine. Dan Logan, ein Freund aus Brighton, springt ein. Was ist passiert? Luke zuckt die Schultern. „Das ist eine lange Geschichte. Die Kurzversion: Max und wir – das funktionierte nicht mehr. Eines Tages ließ er mich mit den Worten ,Es tut mir sehr leid, aber ich kann das nicht mehr. Wir sehen uns, ich brauch eine Pause‘ im Hotelzimmer sitzen. Mitten während der Tour! Er kam zehn Monate später zurück, aber alles ging von vorne los… Weißt du, wir nehmen alle Drogen, wir haben alle gerne Spaß, aber er… er konnte damit irgendwie nicht umgehen. Und damit konnten wir nicht mehr umgehen“, sagt Luke.

So, wie er da sitzt, seinen eigenen Worten nachsinnt und versonnen in die Leere schaut, hat er kaum mehr Ähnlichkeit mit dem Frontmann einer Rockband. Eine Figur, die Luke Pritchard sehr wohl und sehr gut auszufüllen weiß. Selbst im Vorprogramm der Stones, bei Rock am Ring oder Conan O’Brian – der Junge nimmt sein Publikum gefangen. Und doch: Vielleicht ist das alles gerade wieder etwas viel für einen 23-Jährigen. Soll er doch selbst mal sagen, wie er… Es klopft an der Tür. Hugh tritt ein. Der lange Leadgitarrist mit den roten Locken war nebenan zum Interview. Er ist angetrunken und bester Laune und erfindet eine absurde Geschichte über die Journalistin, die ihn interviewt hat. Luke ist sofort bei der Sache, der komischen. Besser nach einem anderen, weniger verfänglichen Thema fragen…

Wie ist eigentlich eure Beziehung zu Ray Davies-schließlich habt ihr in seinem Studio aufgenommen?

luke: (rutscht auf dem Stuhl herum und erzeugt furzende Geräusche)

beide: (Gelächter)

Luke: Hugh und Ray haben geheiratet!

hugh: Wir lieben uns!

beide: (lachen sich tot) Nun, vielleicht ist „Beziehung“ das falsche Wort…

hugh (ernst): Stimmt. Wir sind nur fuck buddies. (bricht wieder in Gelächter aus)

luke (deutet mit den Fingern eine Schlagzeile in die Luft): „Hugh Harris fucks Ray Davies!“

Die beiden kriegen sich nicht mehr ein. Dann will Hugh Champagner trinken. Luke ruft den Zimmerservice an und freut sich wie ein Schneekönig darüber, dass die Frau am Telefon so freundlich „Yes, of course“ sagt. Vielleicht lässt man sie besser allein im Hotelzimmer zurück – etwa mit diesen Worten: „Es tut mir sehr leid, aber ich kann das nicht mehr. Wir sehen uns, ich brauch eine Pause.“

Professionell wäre das allerdings nicht. Und vielleicht auch nicht nachsichtig genug mit Luke und Hugh, an denen fast die komplette uns bekannte Popwelt zupft und zerrt. Und das Management und die Plattenfirma, die alles besser wissen wollen, selbst wenn es um die Musik geht. Vielleicht hätten sie tatsächlich mal mit Ray Davies sprechen sollen, der hätte bestimmt ein paar gute Tipps parat. (Haben sie auch, aber nur für einen kurzen Plausch in der Studiotür.) Vielleicht sollte man sich aber einfach nicht zu viele dunkle Gedanken machen über diese Burschen aus Brighton. Die haben am Institute of Modern Music nicht zuletzt auch so einiges über das Geschäft Popmusik gelernt, denen passiert schon nichts. Wollen wir lieber auf Tony Hoffer hören, der am Ende seiner Mail geschrieben hat: „Ich liebe The Kooks, sie sind eine Band, die noch lange existieren und viele Platten verkaufen wird.“

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