Lenny Kravitz: Ein Mann macht sich frei


Power und Posen. So kennt man Lenny Kravitz. Meist hinter einer Sonnenbrille versteckt, blieb der Mensch hinter dem Musiker bisher stets im verborgenen. In einem Gespräch mit ME/Sounds aber ließ Lenny die Hüllen nun endgültig fallen

Im 6. Stock des Kölner Hyatt Hotels herrscht vornehme Gediegenheit. Aus luxuriösen Ledergarnituren heraus genießt der Gast den einzigartigen Blick auf Rhein, Dom und Altstadt. Ganz schön alt sieht an diesem Nachmittag aber nicht nur die Kulisse aus, sondern auch der Künstler, mit dem wir hier in Köln verabredet sind. Erst in den frühen Morgenstunden ist Lenny Kravitz mit dem Tourbus aus London eingetroffen. Die strapaziöse Fahrt nimmt er auf sich, weil er nur dann fliegt, „wenn es gar nicht anders geht“. Eingewickelt in eine alte Lederjacke und mit Bob-Marley-Mütze auf den daumendicken Dreadlocks schlurft Kravitz (31) denn auch entsprechend übernächtigt zum Interview:

Ruhm hin, Reichtum her – hat man die ständige Reiserei, das dauernde Konzertgedröhne nicht doch manchmal satt?

Jeder Job hat seine negativen Seiten, was immer man tut. Damit muß man leben. Immerhin bin ich in der glücklichen Lage, machen zu können, was ich wirklich mag – Musik eben. Andere sind da längst nicht so gut dran. Das ist für mich Grund genug, wirklich mehr als zufrieden zu sein.

Was aber, wenn das Publikum einen aufgeräumten Rocker erwartet, jedoch nicht weiß, daß dieser gerade versucht, über den Tod seiner Mutter hinwegzukommen?

Meine Mom und ich, wir standen uns sehr nahe. Daher habe ich auch nach ihrem Tod ein paar Wochen freigenommen, um mit dem Verlust fertigzuwerden. Doch nach ihrem langen Krebsleiden und den schlimmen Schmerzen war es für meine Mutter am Ende eine Erlösung, daß Gott sie zu sich nahm. Physisch vermisse ich sie natürlich ganz fürchterlich. Im Geiste aber ist sie mir so nah wie noch nie.

Aber um dich herum herrscht doch fast nie Ruhe. Kannst du denn überhaupt mal in dich gehen?

Das geht auch unterwegs. Auf der anderen Seite bin ich ja auch manchmal zu Hause in New Orleans. Nicht oft zwar, nur ein paar Wochen im Jahr, aber immerhin.

Und dort, im Franzöischen Viertel, wird dann aus dem Bühnenberserker ein biederer Hausmann?

Ob du’s nun glaubst oder nicht – genauso ist es. Wenn man so lebt wie ich, ist es manchmal verdammt wichtig, stinknormale Dinge zu tun. Ich repariere das Klo, packe den Müll zusammen und wasche das Geschirr ab. Wirklich, das gibt mir das Gefühl, zu Hause zu sein. Und es macht Spaß.

Sag‘ bloß, du gehts auch noch selber einkaufen.

Aber klar. Einige Leute kennen mich zwar und wissen, was ich mache. Aber in New Orleans ist man cool. Angequatscht werde ich höchstens schon mal von den Touristen, die sich aus der Bourbon Street zu mir herüberverirren. Die brüllen dann auch schon mal quer über die Straße. Aber sonst habe ich bei mir im Viertel im Grunde genommen meine Ruhe.

Apropos Ruhe: Ist es einfach, mit Lenny Kravitz unter demselben Dach zu leben?

Das hängt ganz davon ab, wen du fragst (lacht). Nein, mal im Ernst: Wenn der richtige Mensch mit mir zusammen ist, bin ich durchaus ein spaßiger Typ. Auf der anderen Seite – unsere Macken haben wir doch alle.

Sind deine denn so tief, daß du dich selber als ungewöhnlichen, vielleicht sogar schwierigen Menschen bezeichnen würdest?

Was heißt schon ungewöhnlich? Das sind wir doch alle. Nimm dir einen x-beliebigen Passanten, einen anscheinend ganz normalen Menschen, hefte dich an seine Fersen, schleich‘ dich in seine Wohnung, und du wirst dich wundern, auf wieviel ungewöhnliche Scheiße du dort stoßen wirst.

Mag sein. Aber wir sind an Lenny Kravitz Interessiert. Und der ist offenbar nicht jener Exzentriker, für den man ihn halten könnte.

Das liegt an der Art, wie ich aufgewachsen bin – abnormal normal eben. Meine Mutter war zwar ein Fernsehstar, abgehoben aber hat sie trotzdem nicht. Im Gegenteil. Sie war ständig bemüht, eine besonders gute Hausfrau und Mutter zu sein. Bevor sie morgens ins Studio ging, hat sie mein Essen gekocht und mit einem Briefchen auf den Herd gestellt. Dienstmädchen oder so was gab’s bei uns nicht.

Dann war Little Lenny also immer bestens behütet?

Absolut. Ich hatte eine glückliche Kindheit – was sicher auch ein Grund dafür ist, daß ich später, als sich der Erfolg einstellte, nie den Boden unter der Füßen verloren habe. Bei uns zu Hause hieß es: Ein Star zu sein bedeutet noch nicht viel. Diese Meinung habe ich schon als Kind verinnerlicht.

Nicht alle in deinem Business sind so bescheiden. Mancher Rapper beispielsweise kauft sich ’nen Benz und markiert den dicken Maxe, lebt dabei aber von verbalem Müll. Daß die Situation so ist, wie sie sich nun mal darstellt, ist mit Sicherheit nicht die Schuld der Gangsta-Rapper. Man kann ihnen höchstens vorwerfen, daß ’ne Menge von ihrem Zeug den Verstand vieler Kids versaut. Für die eigentliche Gewalt aber sind sie nicht verantwortlich. Auf dieser Welt werden viele gute, aber auch viele schlechte Dinge gezeigt. Wofür man sich entscheidet, liegt letztlich bei jedem einzelnen. Nachdem du dir ein Gangsta-Video angesehen hast, verlangt doch niemand, daß du dir auch eine Knarre kaufst.

Trotzdem üben prominente Amerikaner wie zum Beispiel der republikanische Präsidentschaftskandidat Bob Dole Druck aus, um dem Gansta-Rap ein Ende zu bereiten.

Druck dieser Art ist purer Unsinn, weil nämlich jeder das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern. Und so muß es auch bleiben.

Interessierst du dich für Politik?

Nun, ich verfolge, was in diesem Bereich so passiert. Aber fast alles, was ich da sehe, macht mir angst. Damit meine ich gar nicht mal so sehr den Präsidenten X oder den Premierminister Y, sondern alt das, was an solchen Ämtern dranhängt. Das meiste davon, glaube ich, ist korrupte Scheiße.

Das kann aber doch nicht der Grund dafür sein, daß angeblich 75 Prozent der amerikanischen Bevölkerung offen oder verdeckt für die Todesstrafe sind.

Erst neulich haben sie wieder drei Häftlinge umgebracht —- einen haben sie gehängt, den anderen erschossen, und der dritte hat, glaube ich, eine Injektion bekommen. Das alles ist so eine Art Vorwarnung. Davon wird noch mehr kommen. Das ist der direkte Weg zurück in die Barbarei.

Würdest du, ähnlich wie Michael Stipe von R.E.M. in Zeiten der ersten Clinton-Kampagne, für einen Politiker direkt oder indirekt Wahlwerbung machen?

Nur für eine wirklich außergewöhnliche Person. Aber so jemand fällt mir, zumindest in der amerikanischen Politik, im Moment nicht ein.

Die allermeisten Politiker, ob sie nun Alkohol trinken oder nicht, wettern kräftig gegen Drogen. Wie ist dein Verhältnis dazu?

Nun, es gibt natürliche Drogen wie Marihuana, aber eben auch diese schmutzigen, widerlichen Sachen. Von mit selbst kann ich Gott sei Dank sagen, daß ich mit Drogen kein Problem habe. Ich fühle mich rundherum gut.

Glaubst du, daß Drogen die Kreativität steigern können?

Mag sein. Nur, wenn nichts da ist, kann auch nichts gesteigert werden. Kreativität kommt aus der Seele, aus dem Herzen. Wenn dort Leere herrscht, kann selbst mit noch so vielen Drogen keine Kunst entstehen.

Du lieferst seit Jahren neue Songs ab, brauchst dir also um die eigene Kreativität keine Sorgen zu machen. Trotzdem muß auch Lenny Kravitz Ängste haben. Welche davon ist die größte?

Nicht mehr in der Lage zu sein, Musik zu machen. Das ist ein ganz fürchterlicher Gedanke.

Und was ist für dich die größte Freude im Leben?

Musik zu machen, und – das muß ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen – mit meiner siebenjährigen Tochter Zoey so viel Zeit wie möglich zu verbringen.