Let the children boogie!


Indie-Popstars haben einen neuen Spielplatz entdeckt: Die Generation 30+ nimmt gerade den Markt für Kindermusik in Angriff. Wer hat die schönsten Lieder?

Der dreijährige Alek singt besonders gerne das Lied von der geklauten Kokosnuss, vor dem Schlafengehen möchte er Weihnachtssongs von der „blauen CD“ (von Sufjan Stevens) hören. Amelia (5) findet das Trommel-Stück von Guem toll, das sie aus dem Kindergarten kennt, Clara (4) singt „Yellow Submarine“ oder „Auf dem Donnerbalken saßen zwei Gestalten“. Und Luis (6) hört nonstop die Berliner C-64-Punks Egotronic mit „Luxus“. Diese kleine Umfrage unter Aleks Freunden („Was ist dein Lieblingslied?“) mag selbst eingefleischten Kulturpessimisten ein Lächeln auf die Lippen zaubern: Kann es sein, dass die frühkindliche Musikwelt doch noch nicht komplett von Werbung und Kids-TVin Beschlag genommen worden ist?

Fakt ist, dass Erwachsene auch im Zeitalter omnipräsenter Berieselung über Musik, Audio-Konserven und erste Hörerlebnisse für ihre Kinder entscheiden.

Frühgreise Musikproduzenten werfen CDs mit bekannten Kinderliedern auf den Markt, deren Soundausstattung an Körperverletzung grenzt: Mit voreingestellten Keyboardklängen und rhythmisch so hölzern, dass es die Sau graust. Derart einfallslos können Kinder gar nicht sein. Ein Krokodil namens Schnappi aus Ägypten direkt am Nil stürmte vor zwei Jahren samt konfektioniertem Popsong die Charts, ein Stück knallhart kalkulierte Naivität für Millionen Regressionswillige. Wer nach Kinderliedern sucht, trifft ansonsten auf den unvermeidlichen Rolf Zuckowski, Singsang-Guru mit Freunden und eigener Stiftung, bekannt von Film, Funk, Fernsehen, Buch und Bühne.

Aber es tut sich was in der vorwiegend quietschigen Welt des Kinderliedes, die hin und wieder noch von ein paar gutmeinerischen Liedermachern heimgesucht wird. Popmusik für Kinder, was und wie könnte das sein? Antworten geben jetzt Künstler aus der Indie-Szene, sie verstehen ihre Songs als friedensstiftendes Projekt, das Kleine und Große gemeinsam vor den CD-Player holen will, mit Neuinterpretationen bekannter Kinderlieder und Eigenkompositionen, fern von den strapaziösen Klischeeproduktionen, die jeder kennt. Nachzuhören auf der wunderschönen Zusammenstellung SONGS fortheyoung at heart, die Stuart A. Staples und Dave Boulter von Tindersticks ins Leben riefen.

Höhepunkt der Compilation ist Will Oldhams Version des Peter, Paul &. Mary-Klassikers „Puff The Magic Dragon“. Dave Boulter berühren besonders die traurigen Momente in den Kinderliedern. „Bei ,Puff The Magic Dragon ‚glaubte ich als Kind immer, der Drache kehrt am Ende in seine Höhle zurück,um zu sterben. Das ist der Moment, in dem dich der Songpackt, gleich, ob du ein Kind bist oder ein Erwachsener.“

Alle Lieder auf dem Album haben mitErinnerungen an die eigene Kindheit zu tun. Mit dem, was Staples und Boulter aus Strumpfhosentagen kennen: der Soundtrack aus der Mittsechziger-Fernsehserie „Robinson Crusoe“, die Geschichte vom „Inch Worm“ (geflüstert von Lambchops Kurt Wagner) und „Florence’s Sad Song“, gesungen von Stuart Murdoch (Belle and Sebastian). Dass songs for the young at heart erstmal ein Album für den Club der Pop-affinen Väter und Mütter ist, wollen Staples und Boulter gar nicht abstreiten, „oberes soll eben auch ein Angebot an Kinder sein, in die musikalische Welt der Drachen und Löwen einzutauchen, die uns schon fasziniert hat“.

Marktsegment Indie-Kindie. Kinderplatten haben schon zahlreiche Musiker gemacht, von Donovan bis Nena – seit zwei, drei Jahren aber mehren sich die Alternative-Pop-Produktionen für die Kleinen. They Might Be Giants veröffentlichten 2005 ihr Album HERE COME THE abc’s, der Berliner Elektronik-Musiker Ekkehard Ehlers sammelte auf childishmusic Materialien für ein experimentelles Kinderzimmer, Stephin Merritt vertonte mit seiner Drittband The Gothic Archies die fabelhaften Grusel-Geschichten seines Freundes Daniel Handler (the tragic treASURY: SONGS FROM A SERIES OFUNFORTUNATE

Events). Und Mick Cooke von Belle & Sebastian versammelte gleich ein paar Headliner des Indierockjahrgangs für die Kids-Charity-CD COlours ARE brighter 2006 (mehr im Kasten).

Der Schwung an inspirierten Kinderpopplatten aus der Indieszene ist auch schlicht dem Ticken der biologischen Uhr geschuldet. Dem Umstand, dass genügend Sängerinnen und Gitarristen aus der Generation 30+ sich irgendwann für Band und Kind(er) entschieden. „Zwei von uns haben inzwischen Kinder, und wir konnten diese schreckliche Kindermusik einfach nicht mehr hören „, sagt Sarah Cracknell von Saint Etienne. „Grässliche Keyboardsounds undgrässliche Stimmen – davon gibt es eindeutig zu viel. „Von Saint Etienne gibt es inzwischen natürlich auch eine schöne Kinderplatte mit Abzählreimen und Tierliedern: UPTHE WOODEN HILLS (2OO5).

Ob das die Musik ist, die Dreibis Sechsjährige hören wollen? Ob da ein bisschen zu viel Tastemaker durchscheint? Stuart Staples erinnert sich, wie das mit seiner Tochter war. „Wie ich ihr bestimmte Songs empfahl. Einmal gab ich ihr das Sex-Pistols-Album, das mir früher so viel bedeutete, sagte: ,Geh hoch, hör dir das an understatte mir Bericht!‘ (lacht) Sie meinte später nur:,Der Mann hat aber eine lustige Stimme.'“

Alek hat schon längere Zeit einen erklärten Favoriten: „Alle meine Entchen „, allerdings in der Version der Papa-Band aus der Kita. Der Text geht so: „Alle meine Entchen schwimmen im Spinat, rutschen übers Spiegelei und landen im Salat.“ Das muss man sich jetzt zur Melodie von „We Will Rock You“ vorstellen. Ein Live-Hammer. Im Indie-Pop aber wird mit feinstem Instrumentarium und größtmöglicher Sensibilität am Kinderlied gedreht und geschraubt. Dass das freilich die Musikist, von der Indie-Pop-Fans sich wünschen, dass ihre Kinder sie (eines Tages) auch hören, liegt auf der Hand. Mit Belle & Sebastian, Tindersticks und Sufjan Stevens im Kinderzimmer wäre der Stressfaktor „Blödelmusik für Kinder“ glatt abgeschafft. Doch mal weitergedacht: Was tun, wenn die Eltern schon coole Musik hören? Die Frage hat sich Charlotte Röche einmal in einem Interview gestellt. Antworten gibt darauf die Playstation oder die nächste Welle dessen, was heute definitiv bad taste ist. Let the children boogie! —