Ein Gläubiger in der Stadt der Sünde


Der Killers-Frontmann Brandon Flowers bringt sein erstes Soloalbum heraus, und es klingt doch wie eine Platte seiner Band. Bis auf die Texte, die sind ambivalenter, gerade wenn es um Las Vegas geht, die Heimat des praktizierenden Mormonen Flowers. Ein Gespräch über Moral und Musik, Neonlichter und Nacht, Stadionrock und Glück, Kinder und Ehefreuden, ja, den lieben Gott – und den Teufel Rock’n’Roll.

Ein Sommertag in Manhattan, im legendären Gramercy Park Hotel – düsteres Inneres, Gotham City, Bohème und so, an den Wänden Warhols und Basquiats. Julian Schnabel hat die Umgestaltung des Hotels besorgt, als der einstige „Studio 54“-Mitgründer und heutige Hotelmogul Ian Schrager das Haus vor ein paar Jahren übernahm, und Schnabel hat ganze Arbeit geleistet: als wären die späten 80er-, frühen 90er-Jahre und ihre Kunstmode nie vergangen. New York hat halt nicht immer Recht, Geschmack auch nicht immer, und wenn das ein Revival sein soll, braucht es ein Blinder.

In einem der historisierend bunt eingerichteten Doppelzimmer im siebten Stock sitzen ein paar Musikjournalisten, sie hören Musik, jeder für sich. Beim Betreten des Zimmers bekamen sie einen iPod-Mini in die Hand gedrückt, einen Kopfhörer sollten sie selbst mitbringen, darauf wurde bei der Einladung extra hingewiesen. Nicht wegen des individuell bevorzugten Klangs, sondern wegen der Hygiene. Rührender amerikanischer Sauberkeitsfimmel. Die durchweg männlichen Musikjournalisten gucken beim Musikhören ins Leere, bis die erste weibliche Kollegin auftaucht, da haben sie dann endlich was zum Angucken. Niemand macht Notizen.

Am Ende des knalldunklen Gangs sitzt in einer Art Studierstube hinter einem großen Holztisch Brandon Flowers, im normalen Leben Frontmann der Killers, und wartet auf die Fragen zu seinem ersten Soloalbum Flamingo. Das klingt, jedenfalls nach einmal hören, eigentlich ziemlich genau, als sei es ein neues Killers-Album. Das wird deren Fans freuen, dürfte aber eben genau der Grund dafür sein, dass sich die Musikjournalisten im Gramercy Park Hotel keine Notizen machen: Diese Platte wirft wenig Fragen ab, die Brandon Flowers noch nicht gestellt wurden.

Wobei interessant ist, dass Flowers bislang fast nie Einzelinterviews gab, meist saß mindestens noch ein anderes Killers-Mitglied dabei. Wenn Bands das so halten, dann üblicherweise, weil sie eifersüchtig darauf achten, dass ihr Frontmann nicht durch die Promotion eine noch herausgehobenere Stellung erhält. Bei den Killers hingegen war der Fall offenkundig komplizierter. Brandon Flowers ist im Umgang mit ihm fremden Menschen einerseits scheu, fast schüchtern, möglicherweise auch einfach maulfaul; anderseits ist er in der Vergangenheit bei den Gelegenheiten, bei denen er sich mal zu Wort meldete, gern übers Ziel hinausgeschossen – seine Beleidigungen und Abfälligkeiten gegenüber anderen Bands, von The Bravery bis Green Day, erschienen umso erstaunlicher, als dass sie von einem ansonsten so stillen jungen Mann stammten. Insofern konnte man sein betreutes Interviewgeben immer auf zwei Arten verstehen: Seine Bandkollegen mögen sich ebenso gesorgt haben, ihr Sänger könne wenig zu sagen haben, wie darum, dass das Wenige umso heftigeren Ärger bedeuten könnte.

Man setzt sich Brandon Flowers an diesem Sommernachmittag also mit einer gewissen Spannung gegenüber an den dunklen Holztisch in der Studierstube. Knapp vier Jahre sind vergangen, seit man ihn das letzte Mal persönlich gesprochen hat, und diese vier Jahre waren auch äußerlich gut zu Flowers: Das Milchbubige, leicht Nerdige, das er noch zu Zeiten von Sam’s Town hatte, ist verschwunden; es ist einer noch immer etwas scheuen, aber entspannteren Männlichkeit gewichen. Flowers, Ehemann und zweifacher Vater, ist dünner, als man ihn in Erinnerung hatte und erheblich hübscher. In Hemd, Weste und Anzughose hat er an diesem Tag etwas entschieden Westernhaftes: Er sieht ein bisschen aus wie Horst Buchholz in „Die glorreichen Sieben“.

Mr. Flowers, Sie sind 29 Jahre alt – ist das nicht ein bisschen früh fürs erste Soloalbum? Andere Sänger von Bands des Formats der Killers warten damit, bis sie Ihre Bandkollegen wirklich nicht mehr ausstehen können.

Brandon Flowers: Ich liebe Musik, und jetzt ein Album zu machen hatte vor allem damit zu tun, weiter Musik zu schreiben, aufzunehmen, zu spielen. Mehr als die Tatsache, dass es ein Soloalbum ist. Meine Bandkollegen wollten eine Pause einlegen. Ich wollte weitermachen. Ich hätte es tatsächlich vorgezogen, wenn das ein Killers-Album wäre.

Ihre Kollegen arbeiten nun auch an Projekten …

Zum Teil ja. Jedenfalls genießen wir alle die Freiheit.

Wenn man sich Ihr Soloalbum anhört, dann wären fast alle Songs auch auf einem Killers-Album vorstellbar, nicht? Es ist also keine Platte, mit der Sie Ihre Eigenständigkeit beweisen wollen.

Richtig, es ist nicht so, als hätte ich etwas völlig anders gemacht. Ich hatte nicht den Ehrgeiz, mich neu zu erfinden, mir etwas Ungeheuerliches, Verstörendes auszudenken. Ich schreibe einfach Songs, so gut ich es kann. Das tue ich bei den Killers, und das habe ich auch bei diesem Soloalbum so getan.

Eine andere übliche Erklärung für so ein Soloalbum wäre, dass einem die Zeit, die man als Mitglied einer mittlerweile so groß gewordenen Band wie den Killers mit der Aufnahme eines Albums und der anschließenden endlosen Welttournee verbringt, einfach zu lang sind; dass man dann mal was Schnelles, Unkompliziertes zwischendurch machen will.

Die Zyklen sind enorm, richtig. Dazu kommt das Ausmaß an Planung, das nötig ist, um so ein Bandalbum live aufzuführen. Und die Verantwortung, die man trägt, für all die Menschen, die mit einem unterwegs sind auf so einer Tour. Auch der Druck, den man verspürt, etwas wahrhaft Großes zu produzieren: Man will die Fans nicht enttäuschen, und den Leuten, die einen nicht mögen, unbedingt beweisen, dass sie falsch liegen. Tatsächlich aber hat das Soloalbum dann wesentlich länger gebraucht, als ich vorher angenommen hatte. Ich dachte: Ach, ich geh mal schnell ins Studio … Es wurde dann doch ein ganz schöner Angang. Doch nun bin ich mit den meisten Songs glücklich. Ich hoffe, dass sie ewig halten.

Ist Ihnen angesichts der Tatsache, dass erstmals Ihr eigener Name vorne auf einem Plattencover steht, dann doch bange geworden?

Erst dachte ich, es ginge nur um die Freiheit, die man gewinnt. Da habe ich mich vertan. Die Last aller Entscheidungen lag nun ganz allein auf meinen Schultern, das hatte ich unterschätzt. Aber letztlich sind an den Songs nun auch so viele Menschen beteiligt, dass es im Grunde von einer Band eingespielt wurde, nur dass die keine feste Struktur besitzt.

Warum zog sich der Aufnahmeprozess so in die Länge?

Ich habe die ganze Zeit weiter neue Songs geschrieben, habe verschiedene Produzenten ausprobiert, anderthalb Jahre kamen so zusammen … Begonnnen habe ich mit Stuart Price als Produzenten, der auch die letzte Killers-Platte gemacht hat. Die einfachste Lösung wäre gewesen, Flamingo mit Stuart auch zu Ende zu machen. Aber dann hatte ich die Idee, neue Leute dazuzuholen, und die Musik entwickelte sich weiter, zum Besseren, glaube ich.

Zunächst kam Daniel Lanois dazu, der langjährige Produzent von U2, der aber auch mit Brian Eno und Peter Gabriel viel gearbeitet hat. Weshalb setzten Sie dem 32-jährigen Price den 58-jährigen Lanois vor die Nase?

Ich war immer ein Fan von den Sachen, die er mit U2 gemacht hat und Bob Dylan. Ich suchte nach einem etwas amerikanischeren Gefühl für mein Album, und da dachte ich an ihn. Ich wusste, dass er eher der Gospel- und Roots-Tradition verhaftet ist, doch es stellte sich heraus, dass er keine Angst davor hatte, auch mal einen Synthesizer zu benutzen … Er war der richtige Mann.

Als Dritter stieß Brendan O’Brien dazu, mit 50 ein weiterer Veteran im Produzentensessel, der ursprünglich dem Grunge-Umfeld der Neunziger entstammt, bevor er viel mit Bruce Springsteen arbeitete.

Ich habe mich mit denjenigen Stücken an Brendan O’Brien gewandt, die ich relativ spät, also mitten im eigentlichen Produktionsprozess, noch geschrieben habe. Ich schätze Brendans Arbeit mit Springsteen und Pearl Jam sehr und dachte: Ja, es muss jetzt noch ein bisschen Fleisch- und-Kartoffel-Rock auf diese Platte.

Das Klischee würde besagen, dass Stuart Price derjenige der Drei ist, der am meisten über moderne Popmusik, Sounds und Ästhetik weiß – während man Lanois und O’Brien eher für Produzenten hielte, die sich um Arrangements kümmern, um die vermeintliche Tiefe von Songs statt ihre Oberfläche … Stimmt das?

Das Klischee stimmt. Es war ein ziemlicher Kulturclash am Anfang, als Stuart und Daniel zusammen im Studio saßen. Ich habe selbst gesehen, wie Daniel die Augenbrauen hochzog, wenn Stuart wieder mal was am Computer herumfummelte – und irgendwann war er doch interessiert. Daniel hat wohl die Neugier gepackt, wie man auf ganz andere Weise Musik aufnehmen kann, eben wie Stuart: sehr schnell, mit immer neuen Ideen, den verschiedensten Sounds. Während Daniel natürlich ein viel organischer arbeitender Produzent ist, der nach der Seele von Musik sucht. Gute Kombination, fand ich.

In den Texten ist Las Vegas ein Hauptthema. Natürlich haben Sie sich auch bei den Killers damit schon beschäftigt, aber hier, so scheint es, auf etwas andere Weise: Man glaubt, mehr Ambivalenz herauszuhören. Ist Hassliebe das passende Wort für das Verhältnis zu Ihrer Heimatstadt?

Ich wollte Las Vegas jedenfalls nicht romantisieren oder verteidigen. Ich wollte diesmal auch auf die Dinge schauen, die für mein Empfinden dort falsch laufen, ich wollte die Idee von „Fabulous Las Vegas“ wahrheitsgemäß beschreiben.

Las Vegas ist schwer zu lieben?

Sagen wir so: Ich kann verstehen, wenn Leute die Stadt nicht mögen. Doch das ist der Ort, an dem ich lebe, den ich trotz allem liebe. Wo ich mich auskenne. Aber ich kann mich der negativen Seiten nicht verschließen, richtig.

In Ihren neuen Texten ist es fast immer Nacht in Las Vegas, überhaupt fällt auf, dass Dunkelheit und alles Urbane bei Ihnen ein geradezu festes Begriffspaar bilden. Empfinden Sie die Stadt als Nachtwesen?

Das Besondere an Las Vegas ist ja, dass die Neonlichter Tag und Nacht angeschaltet sind. Im Grunde ist Las Vegas also metaphorisch eine permanente Stadt bei Nacht – nur dass es zwischendurch mal hell wird. Ein magischer Ort, einer der farbenfrohesten auf der Welt. Die Aufgeregtheit weicht nie. Hey, die pumpen Sauerstoff in die Kasinos, um die Leute wach zu halten! Und ihnen das Geld aus den Taschen zu holen. Trotzdem macht mich die Idee unmittelbar nostalgisch.

Nostalgisch in dem Sinne, dass Sie sich daran erinnern, wie Sie als Kind draußen die Neonlichter sahen – und noch nicht hineindurften in die Welt des Glücks, die diese Lichter versprechen?

So funktionierten diese Lichter tatsächlich, als Glücksverheißung. Als Kind wird man schon in Versuchung geführt: Man geht ins Kino, das darf man ja schon, dann steht da in der Lobby ein einsamer einarmiger Bandit, und natürlich versuchst du, dich von den Eltern wegzuschleichen und ein Vierteldollarstück reinzuwerfen in den Automaten. Oder wenn Verwandte zu Besuch kamen: Dann durfte ich mal mit, wenn meine Eltern denen den Las Vegas Strip gezeigt haben.

Wenn man dann alt genug ist, um ins Casino zu dürfen oder ein Striplokal, ist dann die Ernüchterung umso größer? Weil man sehr schnell begreift, wie Las Vegas funktioniert?

Es ist seltsam … Als ich 21 wurde und überall reindurfte … Also, meine Religion … Ich spiele nicht, aber das bedeutet nicht, dass ich kein Casino betreten würde. Ich gehe ins Casino, so wie ich auch ins Kino gehe.

Sie sind seit Ihrer Kindheit Mitglied der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, Sie sind also Mormone. Ihre Glaubensgemeinschaft hat einen strengen Gebotekodex, der strikte Enthaltsamkeit fordert. Das gilt für Genussmittel wie Alkohol und Tabak, aber auch für Sex – Keuschheit ist Pflicht, und Pornos gelten als Sünde. Im Grunde widerspricht jedes Glücksversprechen, das Las Vegas macht, Ihrer Religion.

Das bedeutet aber nicht, dass ich von der bloßen Existenz solcher Dinge beleidigt würde. Ich bin da nicht hochnäsig. (Flowers macht eine lange Pause.) Seit meiner Geburt gehört die Kirche zu meinem Leben, sie war immer da – und sie hat eine Meinung dazu, was in Las Vegas passiert, wofür es steht. Trotzdem fühle ich mich nicht abgestoßen von Las Vegas. Ich schaue nicht herab auf die Menschen, die dort ihrer Art von Vergnügen nachgehen.

In Las Vegas gibt es auffällig viele Kirchen und Kapellen – nicht solche, wo man in zehn Minuten heiraten kann. Sondern Räume, wo wirklich gebetet wird. Bedingt das letztlich nicht sogar einander: Wo die vermeintliche Sünde groß ist, da ist halt auch der Glaube groß, nicht? Und irgendwie teilen sich in Las Vegas die Sünde und der Glaube schiedlich-friedlich die Seelen der Menschen, auf ihre jeweilige Art …

Das mag so sein, und es ist seltsam, ein bisschen weird. Man kann aber auch als gläubiger Mensch ein Barmann sein in Las Vegas, das ist etwas anderes als …

… Prostituierte? Sie haben als Jugendlicher eine Weile als Hotelpage gearbeitet. Haben Sie da nicht auch an der Sünde verdient, indirekt?

Ich habe eine Jahr im „Gold Coast“ gearbeitet, richtig.

Auf der Flamingo Road – ein eher mittelständischer Laden, verglichen mit den Großcasinos auf dem Strip …

Richtig. Und dann habe ich noch als Bedienungshilfe in einem Restaurant gearbeitet. Ich habe also niemandem Schaden zugefügt und niemandem dabei geholfen, etwas Falsches zu tun.

Sie haben Menschen die Tür aufgehalten zu einem Ort, an dem sie laut den allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Casinos durchaus etwas für Ihre Religion Falsches tun sollten, nicht?

Das wäre eine sehr strenge Auslegung meiner Religion. Ich habe mich darauf verlassen, dass die Menschen brav waren, was immer sie auch im „Gold Coast“ gesucht haben: Die haben da bestimmt nur geschlafen und gegessen. (lacht)

Was bedeutet Ihnen der Glaube?

Er gibt meinem Leben Sinn und Richtung.

Mr. Flowers, Sie sind 29 Jahre alt, sind seit fünf Jahren verheiratet und haben mittlerweile zwei Kinder. Sind Sie ein braver Ehemann?

Ja.

Was haben die Kinder geändert?

Das, von dem man immer hört, und dann doch überrascht ist, wie sehr es zutrifft: Kinder verleihen dem Leben eine neue Bedeutung, sie füllen es aus.

Sie singen auf Ihrem neuen Album von der Sehnsucht nach „old-fashioned love“ unter vermeintlich ziellosen Menschen „with holes in their heart“, die sich nie alt genug fühlen, um sich einzurichten im Leben – darf man das als Statement zu Liebe und Erwachsenwerden heute verstehen?

Natürlich, man darf. Die Weigerung, erwachsen zu werden, ist ein allgemeines Phänomen, nicht? Enddreißiger reden davon, dass sie sich noch zu jung fühlen, um eine Familie zu gründen. Das ergibt keinen Sinn für mich. Ich möchte niemanden vorschreiben, wie er sein Leben zu führen hat, aber warum sagen solche Leute nicht einfach: Ich habe mich entschlossen, keine Kinder in die Welt zu setzen. Ist doch okay. Ich würde das niemals verurteilen – nur weil wir Menschen Nachwuchs zeugen können, müssen wir es ja nicht unbedingt tun. Ich kann nur von mir sagen, dass ich mich vor der Geburt meiner Kinder noch nicht als vollständiger Mensch gefühlt habe.

Sie haben in Ihrem Leben fast alles sehr früh für heutige Verhältnisse getan und geschafft – Sie waren 22, als das Debütalbum der Killers erschien, was für eine richtige Rockband dieses Zuschnitts früh ist; und Sie waren 26, als Ihr erstes Kind auf die Welt kam. Waren Sie immer der Jüngste?

Zunächst mal bin ich das jüngste von sechs Kindern in meiner Familie. Der Altersabstand zu meinen Geschwistern ist groß, meine ältesten Schwestern zogen schon von zu Hause aus, als ich in die Schule kam. Vermutlich deshalb wurde ich als Kind schon behandelt, als sei ich älter, und ich habe mich damit nie unwohl gefühlt. Also ja: Ich bin in vielen Dingen der Jüngste gewesen, doch das erschien mir nicht ungewöhnlich. Ich meine: Ich bin mit vier Jahren zum ersten Mal Onkel geworden, stellen Sie sich das mal vor! (lacht)

Haben Sie Ihre relativ frühe Heirat, das frühe Gründen einer Familie je als Reaktion auf Ihr Berühmtwerden betrachtet? Oder wäre alles genauso gekommen, wenn Sie nicht in einer Band gespielt hätten? Sind Sie vielleicht einfach ein konservativer Mensch?

Sagen wir so: Meine kleine eigene Familie erdet mich, sie gibt mir Halt. Denn mein Beruf böte mir durchaus Gelegenheit, sehr leicht den Verstand zu verlieren.

Hat Rock’n’Roll heute noch so eine Zerstörungskraft?

Durchaus. Man erwartet von einer Rockband nach wie vor, dass deren Mitglieder einem gewissen Lebenswandel frönen. Der kann viel Spaß machen, und man selbst kann sich davon leicht mitreißen, aber eben auch fortschwemmen lassen. Es gibt noch immer sehr viele Opfer des Rock’n’Roll.

Bis vor gar nicht langer Zeit galt Rock’n’Roll in der Glaubensgemeinschaft, der Sie angehören, als Musik des Teufels, und zwar im Wortsinn. Auch wenn das nicht mehr offiziell so dargestellt wird: Befinden Sie sich in einem permanenten Gewissenskonflikt?

Es liegt bestimmt ein Widerspruch darin, Mormone zu sein, Familienvater – und gleichzeitig Sänger einer Rockband. Ja, Rock’n’Roll galt bei den Mormonen als Teufelsmusik. Aber ich habe darüber in diesem Sinne nie viel nachgedacht. Die Religion war immer da, doch sie hat beispielsweise meine Texte nie beeinflusst.

Beeinflusst aber die Tatsache, dass Sie Vater sind, heute Ihr Schreiben in dem Sinne, dass Sie ein bestimmtes Verantwortungsgefühl spüren?

Schon eher. Weil ich weiß, dass meine Kinder eines Tages meine Lieder hören und verstehen werden.

Würden Sie heute irgendeinen Ihrer alten Texte umschreiben wollen?

Schon. Ich würde das auch im Hinblick auf meine Religion tun wollen. Wenn ich in die Kirche gehe, drehe ich mich manchmal um zur Gemeinde und denke: Hoffentlich kennen diese Leute nicht alle meine Lieder.

Bestimmt Ihr Glauben heute Ihre Texte?

Bestimmen ist das falsche Wort. Aber der Glaube hat sich in die Texte hineingeschlichen, ganz sicher. In dem Sinne habe ich das Gefühl, heute etwas Gutes zu tun, das Richtige.

Propagandieren Sie also in der Musik Ihren Glauben?

Nein. Er ist das Fundament meines Daseins und insofern auch das Fundament der Texte, die ich schreibe.

Musik ist für Sie keine Missionsarbeit?

Ist sie nicht, nein.

Müssen Sie fürchten, dass andere Gemeindemitglieder verabscheuen, was Sie tun?

Es gibt diesen Konflikt nicht. Und nein: Mittlerweile müsste ich nichts mehr befürchten.

Sie sind so brav wie die Leute, denen Sie früher im „Gold Coast“ die Tür aufgehalten haben?

(sagt nichts, lacht aber)

Sie wollen mit dem Soloalbum auf Tour gehen. Fühlt sich das dann nicht an, als würden Sie Ihre eigentliche Band ein wenig betrügen?

Ach, nein. Das bestimmendere Gefühl beim Gedanken an die Tour ist eher Verunsicherung: Ich weiß noch nicht, wie sich diese Lieder live anfühlen werden. Aber es ist auch ein gutes Gefühl, sich nicht zurücklehnen zu können.

Weil Sie keine Killer-Songs spielen werden?

Das ist die Idee, richtig. Und das macht dann schon Angst: Wieder wie ganz am Anfang der Karriere vor ein Publikum zu treten, ohne ein Arsenal an Hits bereit zu haben.

Ist das schon ein trip to memory lane – ein 29-jähriger Stadionrocker geht zurück in die kleinen Clubs? Sie wären schon wieder der Jüngste, der ein solch typisches Musikerbedürfnis hätte.

Natürlich ist das ein wenig nostalgisch. Doch die Erinnerung an das Gefühl ist erfrischend: Wie wir damals mit den Killers allen beweisen wollten, dass wir wirklich so gut waren, wie unser großmäuliger Frontmann es überall herausposaunte. (lacht)

Sie.

Ich.

Sie haben vor dessen Erscheinen über das zweite Killers-Album Sam’s Town gesagt, es werde das beste Album der nächsten 20 Jahre sein. Würden Sie solche Sprüche heute noch mal wiederholen?

Eines der besten, habe ich gesagt – man muss da schon genau zitieren.

Hatten Sie Recht?

Sagen wir so: Glücklicherweise wurde es so erfolgreich, dass die Aussage heute nicht mehr ganz so anmaßend klingt. Nicht mehr ganz, wie gesagt. Nachdem unser Debüt Hot Fuzz so gut verkauft worden war, hatte ich damals einfach das Gefühl, man müsse ein selbstbewusstes Statement setzen. So viele Bands ziehen nach einem Erstlingserfolg den Schwanz ein und werden bescheiden – sie akzeptieren freiwillig, dass sich ihr zweites Album nicht so gut verkaufen wird. Wir wollten stattdessen einen Anspruch formulieren: Das war gut, aber nun gehen wir weiter. Wir hatten das Selbstvertrauen, weil wir die Songs dazu hatten.

Ihr Ehrgeiz schien schon damals enorm. Man glaubte ihn schon in den ersten Songs zu hören – dass die gemacht waren, um eines Tages in Stadien gespielt zu werden.

Ehrgeiz war da, aber wir haben nie zusammengesessen und uns überlegt, wie man einen Stadionsong schreibt.

Sie haben einfach in übergroßen Liedern gedacht?

In dem Sinne, dass man große Gefühle beschreibt, die natürlicherweise eine entsprechende Form nach sich ziehen.

Und die Songs suchen sich dann im besten Fall ein Auditorium, das ihrer Größe entspricht – die Riesenhalle, das Stadion?

Womöglich, ich weiß es nicht. Es gibt da einen Rest … (macht eine Denkpause)

Einen Rest?

Es braucht Glück.

Nicht Gott?

Glück.

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