Betörend anders


Ihre Musik gibt viel, ihre Personen wenig: Belle & Sebastian sind zurück und verweigern sich den Interviews. Die Frage, warum die Band so verehrt wird, lässt sich dennoch beantworten.

Es gibt eine Menge Menschen, die Gruseliges von ihren Begegnungen mit Belle & Sebastian erzählen können. Davon etwa, wie die Band bei einem Konzert ihr höriges Publikum zum Darniedersitzen auf dem Hallenboden gebeten habe – ein Wunsch, dem die rund 2000 Zuschauer auch folgsam nachgekommen seien. Oder davon, wie Songwriter und Sänger Stuart Murdoch bei einem Interview die Dünnhäutigkeit in Person gewesen sei. Andere hingegen beginnen von den Erweckungserlebnissen zu berichten, die ihnen das erste Hören dieser zarten Musik und dieser nicht minder zarten, dabei jedoch immer referenzprallen Texte bereitet habe. Hysterie mischt sich dann in den verzückten Tonfall, und bald ist deutlich festzustellen, dass hier weniger Fans sprechen als Verliebte. Menschen eben, die sich von ihrer Lieblingsband auch bereitwillig zum Hinsetzen bitten lassen.

Anlässlich der Veröffentlichung ihres neunten regulären Albums belle and sebastian wRITE ABOUT LOVE geben Belle & Sebastian keine Interviews. Das passt zum Image der schwierigen Schüchternen, zum Ruf der verzärtelten Diven. Stattdessen findet sich auf der Homepage ein Promotionfilm, der alles an der Band – das Betörende, das Enervierende, das Große und das Grässliche – bündelt. Nach Bildern aus dem sonnigen Glasgow wendet sich der TV-Moderator Dougie Anderson, ein gut aussehender Gentleman im schwarzen Anzug, an die Zuschauer: Häufig, so Anderson, dächten die Menschen darüber nach, was Musik zu einer bestimmten Situation, etwa einer Party, hinzufügen könne, ganz so, als handele es sich bei Musik um eine Atmosphäre spendende Beleuchtung. Dabei sei doch viel wichtiger, was Musik geben könne. Aufregung, Genugtuung, Empathie und Trost. Dann spielen Belle & Sebastian live im Fernsehstudio-Setting ihre neue Single „I Want The World To Stop“, und man ist geneigt, das Stück für das aufregendste, empathischste und tröstlichste zu halten, das diese Meister der empathischen Trostmusik je veröffentlicht haben. Danach hält die Band Hof: Fans dürfen wie bei einer Niedlich-Version einer Pressekonferenz Fragen an die Musiker stellen und wirken allesamt, als wären sie von einem Ausstatter nach der Maßgabe eingekleidet worden, möglichst Belle-&-Sebastian-esk auszusehen. Ihre Fragen dampfen vor Beflissenheit, und Stuart Murdoch lobt: „It is a really good question indeed.“

Es folgen Parodien auf Meetings, die der vermeintliche Bandmanager Douglas D. Cockfoster (dargestellt von Moderator Anderson) mit der Gruppe abhält und ein von Murdoch moderiertes Gespräch junger Glasgower Musiker über die musikindustrielle Krise. Doch auch wenn manch ein Journalist fürchten mag, derlei Promofilmchen könnten die bisherigen Interview-Ochsentouren von Bands nicht ersetzen, gibt es doch keine Frage, die in dem Film nicht auf die eine oder andere Weise beantwortet würde.

Belle & Sebastian sind anders. Doch diese diffuse Feststellung erklärt keinesfalls die Verehrung, die der Band entgegenschwappt. Trotzdem ist die Antwort vergleichsweise einfach – auch weil sie davon erzählt, was viele andere Bands nicht haben: Belle & Sebastian bedeuten deshalb vielen Menschen so viel, weil sie einen kulturellen Mikrokosmos geschaffen haben, der in seiner freundlichen Schüchternheit, Sixties-Studentenhaftigkeit und nouvelle-vague-Verliebtheit jenseits aller Entwicklungen des sonstigen Pop-Betriebs funktioniert.

Vom ersten Moment an waren Murdoch, die 2002 ausgeschiedene Isobel Campbell und Co. die sympathischen Leisetreter mit Attitüde, die dennoch eine stilvolle Distanz zu wahren wussten. Die Musik gab viel, die Personen wenig; aufgeladene Stilismen überragten zu Beginn die Persönlichkeiten der Musiker. Sie klangen wie der klassenübergreifende Musik-Instrumental-Kurs eines Provinz-Gymnasiums und sangen von juvenilen Unzulänglichkeiten, Herumlungerei vor der Pfarrbücherei und ihren kulturellen Präferenzen. In den besten Momenten schafften sie es, ihre Verhuscht- und Verletztheiten hymnisch werden zu lassen. Nie ganz so wie die Smiths (mit denen sie ja gerne ver-glichen werden), aber dennoch auf eine Art, die einzigartig – und 1996 angenehm anti-britpoppig – war.

Auch der notwendige Wandel, der spätestes mit dem 2003er Album DEAR CATASTROPHE WAITRESS erfolgte, hat daran nichts geändert. Sie sind seither zwar deutlich poppiger und auch für rabaukigere Naturen zugänglich geworden, haben aber letztlich nichts von ihrem Bücherwurm-Appeal aufgegeben. Wie wenig sich wirklich geändert hat bei Belle & Sebastian, zeigt die famose neue Single, eines ihrer bislang besten Stücke. Der Gegenwartspessimismus, der schon „A Century Of Fakers“ und andere frühe Songs durchwehte, steht hier in voller Blüte. Und ganz nebenbei erklären sie ihren eigenen Erfolg: „Let me step out of my shell / I’m wrapped in sheets of milky winter disorder / Let me feel the air again, the talk of friends / The mind of someone my equal“. Wer wollte da noch Fragen stellen?

Albumkritik S. 90

www.belleandsebastian.com