Lichter der Kleinstadt


Erst hat er ihn besungen, nun gar im Kino verewigt: John Mellencamp liebt den Kleinen Mann. Aber ist die Zuneigung gegenseitig?

Der Japaner vor mir wippt fingerschnippend auf dem Klapphocker herum. Karaoke in Bloomington/Indiana, schießt es mir durch den Kopf. Ich sehe den Mann schon ans Studiomikro springen und als fernöstlicher Meilencamp die Tracks der neuen LP „Whenever We Wanted“ mitsingen. Unqualifizierte Gedanken, maßregele ich mich selbst. Hat der kettenrauchend neben mir sitzende Mellencamp mein Grinsen bemerkt? Er hat es nicht, sondern nuckelt gedankenversunken an der x-ten Marlboro des Nachmittages. Was hier im Studio vor 25 Teilnehmern des internationalen Phonogram-Managements abläuft, faßt der Künstler später in einem bemerkenswert kommerziellen Statement zusammen: „Wenn wir die erste Single in die Charts boxen, ist der Rest gelaufen.“

Wir fünf handverlesene Journalisten kleben wie dekorative Petersilie zwischen der geballten Marketing-Power. Denn hier geht’s um Marktstrategien, Absatzschienen und den zu vermeidenden Knick in der Karriere des einstigen enfant terrible des „Heartland Rock“ — des sperrigen Einzelkämpfers, der die Sorgen des Kleinen Mannes artikulierte und sich prompt den Ruf des „Springsteens der Bauern“ einfing.

Als Chronist der bäuerlichen Idylle hat der hemdsärmlige Farmer-Freund nach der Malerei nun gar eine weitere Ausdrucksmöglichkeit entdeckt: John Mellencamp, der Bauern-Fellini. „Falling From Grace“ heißt der Spielfilm um den Countrysänger Bud Parks, der mit Frau (Muriel Hemingway) und Kind zum 80. Geburtstag des Großvaters ins Heimatdorf zurückkehrt. Regie und Hauptrolle: John Mellencamp. Da krachen die Beziehungskisten, da wird fremdgegangen, gesoffen und ähnlicher Ingmar Bergman-Dinge mehr.

Wer von ihm saftiges Volkstheater auf Celluloid erwartet, hat von Mellencamps Selbstverständnis nichts kapiert. „Einer der stolzesten Augenblicke meines Lebens war es, als der Präsident von Columbia Pictures nach der Vorführung auf mich zukam und immer wieder sagte: ,Unglaublich! Wie hast Du so einen ambitionierten Film für nur drei Millionen Dollar auf die Beine stellen können?“‚, berichtet Meilencamp mit sichtlichem Stolz, als wir allein in der Garage neben dem Studio sitzen.

Dem Kompliment zum Trotz — den Platz für den „Oscar“ braucht der frischgebackene Regisseur dennoch nicht freizuräumen. Für seine kleinstädtische Klientel zu künstlerisch verquast, für großstädtische Cineasten zu bieder, dürfte „Falling From Grace“ wenig Wellen schlagen. Dabei sind Mellencamps Kino-Ambitionen durchaus kein kurzfristiger Spleen. Schon 1984 wollte er sich auf der Leinwand beweisen.

„Überall in Hollywood lief ich offene Türen ein. Bis ich dann ganz beiläufig bemerkte, daß ich eigentlich keinen Popstar spielen, dafür aber Regie führen wollte.“ -— Peng. Die Studiotüren flogen zu.

Der Ur-Ur-Urenkel jenes deutsch-holländischen Bauernsohnes Johann Heinrich Möllenkamp, der sich 1851 im Städtchen Seymour niederließ, gab jedoch nicht auf. Mellencamp bat den Drehbuchautoren des Filmklassikers „The Last Picture Show“, Larry McMurty, um Hilfe. Als Gegenleistung verschaffte der Popstar wider Willen McMurtys Sohn einen Plattenvertrag. Gesunde Bauernwirtschaft.

Das Drehbuch wurde umgeschrieben. Wieder und wieder. Mal war Mellencamp ein Filmstar, dann wieder ein Bankier. Nichts paßte. Man einigte sich auf einen Countrysänger — wobei Mellencamp größten Wert auf das Wort Country legt, um den Filmgriibler Bud Parks unmißverständlich vom Popsänger Mellencamp zu trennen.

Die demonstrative Unterscheidung erweist sich jedoch als aussichtsloses Unterfangen. Bud trennt sich von Frau und Kind, Mellencamp ließ sich von seiner zweiten Ehefrau Vicky samt Kindern scheiden. Bud beginnt ein Verhältnis zu einer verheirateten Frau, Mellencamp erzählt bei einer Gartenparty auf seinem 23 Hektar großen Grundstück, wie er diese aufregende Blondine kennenlernt. Die war mal Miss Schweden und zu dem Zeitpunkt mit Tennis-As Yannick Noah verheiratet. Der verheiratete Mellencamp ließ sich nichtsdestotrotz den Schwedenhappen sieben Monate lang munden. Aber nichts da! Parallelen zum Film seien absolut zufällig.

„Bud Parks ist ein viel besserer Mensch als ich“, grübelt Mellencamp mit vollmundigem Weltschmerz.

Die Nummer zieht bei Frauen bestimmt ungemein, denke ich mir, frage dann aber doch lieber, welche Schauspieler und Regisseure er bewundere. „Marion Brando und Paul Newman.“ Bei Regisseuren fällt ihm nichts ein, nur die Bemerkung: „Seien wir doch mal ehrlich: Die meisten Regisseure sind unkreativ. Die wollen nur den lermin und das Budget einhalten. Alles andere ist sekundär. „

Derartige Komplimente werden in Hollywood sicher gerne gehört.