Limp Bizkit: Ora et labora


Fred Durst hat alles dafür getan, Limp Bizkit ohne Wes Borland wieder auf Kurs zu bringen. Ob Mike Smith aber als Ersatz akzeptiert wird, liegt nicht mehr in seiner Hand.

Du musst anfangen, zwischen den Zeilen zu lesen“, mahnt Fred Durst, verwackelt und wird kurz ein bisschen unscharf. Streng fixiert er uns von der riesigen Leinwand im Konferenzzimmer von Interscope Records im kalifornischen Santa Monica und schüttelt schließlich den Kopf wie ein enttäuschter Zen-Meister. „Ich lasse euch so viel Raum, meine Arbeitsweise zu verstehen. Wenn du einen Schritt zurücktrittst und die Augen aufmachst, dann fügen sich die Teile wie in einem Puzzle zusammen“, tönt es aus den Lautsprechern. An einem Montag im März hat uns der umstrittene Nu-Metal-Held und Vizepräsident von Interscope in sein mit Nirvana-Postern geschmücktes Büro zum Interview eingeladen, um uns statt in persona dann doch nur als blasses Imago zu begrüßen. „Fred musste kurzfristig nach New York, um noch am Album zu arbeiten“, müssen wir erfahren. Doch die Satelliten-Leitung steht, und als die Kamera nach der ersten Frage ruckelnd auf Fred zoomt, vergisst man schnell die Männer in Anzügen, die in New York an seiner Seite sitzen. „Alles fertig“, sagt der Meister zufrieden und weiß vermutlich selbst noch nicht, dass er etwa zwei Monate später ohne Rücksicht auf Verluste – darunter Absagen bei Rock am Ring/im Park – die ganze Platte nochmal neu einspielen wird. Alles Teile eines Puzzles? Oder doch die Unsicherheit eines wackelnden Giganten, der seine Nu-Metal-Vorherrschaft ohne Beistand des kongenialen Partners Wes Borland in die nächste Legislaturperiode retten will? „Ich habe [bei Limp Bizkit] immer die ganze Produktion, das Songwriting und die Arrangements gemacht“, wiegelt Durst ab. „Wes war mein Outlet an der Gitarre, der sehr innovativ war und entweder spielen konnte, was ich vorgesungen habe, oder Sachen vorschlagen konnte, bis ich was davon geeignet fand, um es in meine Formel einzubauen.“ Auch wenn viele Experten die Rolle des stets maskierten Wes Borland als weitaus bedeutender einschätzen – Durst beansprucht in Interviews heute die kreative Urheberschaft fast aller Gitarrenparts. „Wes wollte seine Freiheit, weil ich ihm immer gesagt habe, was erspielen soll. Ich hab‘ alles geschrieben und alles gemacht“, behauptete er auch gegenüber dem englischen Kerrang!-Magazin.

Als wir Wes Borland mit der Bitte anrufen, diese Aussagen zu kommentieren, ist er lange still. „Ich muss glauben, dass Fred da falsch zitiert wurde. Das ist so weit von der Wahrheit entfernt… das muss ein Irrtum sein“, sagt er schließlich leise. Dass der begnadete Gitarrist in diesem Sommer – fast zwei Jahre nachdem er im Oktober 2001 Limp Bizkit verließ – noch immer nach einem geeigneten Sänger für seine neue Band Eat The Day sucht, macht die Trennung des symbiotischen Teams Durst-Borland zu einem der dramatischsten Bandinfarkte der jüngeren Rockgeschichte. „Wir waren tatsächlich ein perfektes Team – für ungefähr sechs Jahre“, überlegt Borland. „Aber dann hab ich gespürt, dass mir das alles keinen Spaß mehr machte. Mir hat die Musik nicht mehr gefallen. An so einem Punkt muss man weiterziehen.“ So gespannt man auf Eat The Day sein darf – Wes verspricht, „definitiv“ wieder Make-Up zu tragen, da die Band „noch viel Theater-mäßiger als alles in der Vergangenheit“ sein soll -, dass sie die Bedeutung von Limp Bizkit erreichen werden, ist höchst unwahrscheinlich. Hört man die neue LB-Single, ist jedoch auch fraglich, ob das Mutterschiff je wieder die Kräfte der Borland-Ära wecken kann. Verglichen etwa mit der Single „Rollin'“ – einer durchgedrehten Komposition von 2000, in der Durst zu versponnenen Riffs jault, als hätte er einen Justin Timberlake verschluckt -, wirkt „Eat You Alive“ wie das überproduzierte Nu Metal-Gelöt einer besseren Schülerband. Der spät engagierte Gitarrist Mike Smith, mit dem Durst in aller Eile neue Songs aufnahm, wirkt zwar souverän, doch ob er auch eigenwillig und innovativ genug ist, den millionenschweren Geschäftsmann Durst zu inspirieren, wird erst das Album zeigen. Und Informationen über das für die Zukunft von Limp Bizkit so bedeutsame Werk sind wenig verlässlich. Allein den Albumtitel änderte Durst von „Less Is More“ über „Bipolar“ und „Fetus More“ zu „Panty Sniffer“, um kürzlich noch einen drauf zu setzen: Wie die Plattenfirma jetzt bekannt gab, wird es am 22. September mit dem Namen RESULTS MAY VARY erscheinen. Verwirrspiele, die laut Durst zum Konzept gehören, aber auch Ausdruck seiner Unentschlossenheit sind: „Das ist schon alles Absicht. Aber gleichzeitig empfinde ich auch wirklich so. Wenn ich mir heute denke, dass ,Crack Addict‘ die erste Single sein wird, dann glaube ich das wirklich. Und morgen entscheide ich mich vielleicht wieder um.“ Auf Results May Vary ist weder ein Song, der „Crack Addict“ heißt, noch das viel diskutierte „Just Drop Dead“, das Durst im Frühling auf limpbizkit.com zum Download freigab. Angesichts des papierdünnen Sounds und der Milli-Vanilli-haften Raps war der Aufschrei der Fans über diesen amateurhaften Track verständlich. „Ich war [im Forum] auf MTVNews.com und konnte nicht glauben, wie viele Weicheier ein Problem mit meiner Musik haben“, maulte Durst sofort wenig souverän auf seiner Website.

Die Kritik muss ihn getroffen haben, hatte er doch selbst sein Bestes getan, um Limp Bizkit aus der Krise zu führen. Nach dem erfolglosen Casting von über 6.000 Gitarristen im ganzen Land war er im Frühling verzweifelt genug gewesen, die meisten Gitarrenparts selbst einzuspielen. „Manchmal hat mir mein Gitarrentechniker Elvis geholfen“, gibt er zu. „Ich kann keine Noten lesen und auch nicht meine Hände wild verrenken. Deshalb haben wir versucht, dass die Songs nicht wie früher oft auf einem Riff oder Sound aufgebaut waren, sondern dass sie für sich selbst stehen konnten und auch akustisch funktionierten.“ Hatte das Album vor dem Beitritt von Mike Smith das Niveau des „Just Drop Dead“-Demos – das in einer nachgebesserten Version auf der Single „Eat You Alive“ erscheint – dann hat der neue Gitarrist Limp Bizkit ein Waterloo erspart.

Als sich Fred Durst in einer Gesprächspause Essen bringen lässt, befolgen wir seinen Ratschlag und treten einen Schritt zurück. Mit etwas Abstand sehen wir einen bulligen Mann, der in seiner Rolle als großmauliger Bandleader zu lange zu ernst genommen wurde. Durst ist nicht dumm, spricht aber „die ganze Zeit“, bevor er denkt, wie er eingesteht. Für eine gewisse emotionale Naivität spricht zum einen die Tatsache, dass er einst einen Monat im Gefängnis verbrachte, weil er den Liebhaber seiner jungen (inzwischen Ex-)Frau verprügelt hatte, zum anderen sein Umgang mit der „Affäre“ mit Britney Spears: Nachdem sie bestritt, mit Durst näher bekannt zu sein, erzählte er in der Howard-Stern-Show von angeblichem Sex ist der ersten Nacht. Aus seiner Sicht ein Racheakt: „Ich bin zu Howard Stern gegangen, weil ich nicht verstehe, warum jemand lügen muss. Es gibt einfachere Wege, als die Unwahrheit zu sagen. Das hat mich verletzt. Mehr musst du darüber nicht wissen.“ Und mehr, um ehrlich zu sein, wollen wir darüber auch gar nicht wissen. Ebenso würden wir uns lieber nicht an den hämischen Spekulationen darüber beteiligen, ob es das Wort „agreeance“, das Durst in seiner Oscar-Rede gegen den Krieg benutzte, wirklich gibt (in aller Kürze: ja, geschrieben tauchte es zuletzt im Jahr 1714 auf). In verbissenen Diskussionen um die Glaubwürdigkeit, das Talent und den Intelligenz-Quotienten von Fred Durst haben schon zu viele Menschen ihr Lachen verkauft. Limp Bizkit ist eine Rock’n’Roll-Band, die ihren Job für Geld, vor allem aber zu unserer Unterhaltung tut. Mag es auch immer wieder Gründe geben, sich über den Mann mit der Kappe zu ärgern – ein Verlust wäre es doch, sollte sich Results May Vary als Anfang vom Ende von Fred Dursts musikalischer Karriere entpuppen.

www.limpbizkit.com