Low


Der Soundtrack zum Bewusstloswerden - auch wach eine Offenbarung.

Irgendwann während des Konzerts habe ich eine Vision: Der Moshpit vor der Bühne bewegt sich träge wie Schweröl in der Dünung. In Superzeitlupe diven die Die-Hard-Fans von der Low Army vom Bühnenrand. Eine Ewigkeit schweben die Leiber durch die Luft. Langsam strecken sich Arme aus der Menge. Aufgerissene Münder stoßen stumme Schreie hinaus. Nichts ist zu hören außerdem glasklaren Sound der Band, die eine Slowcore-Hymne nach der anderen raushaut.

Wie gesagt, eine Vision. Es ist schwer, die Begeisterung bei einem Low-Konzert angemessen zu zeigen, denn sie geht tief nach innen. Am besten hält man es wie die Frau im Publikum, die nach dem fünften Song „Sunflower“ lauthals eingesteht, dass sie nun schon dreimal weinen musste. was der Saal mit Heiterkeit quittiert. Leider findet auch dieses Low-Konzert nicht in einer Kirche oder einem anderen bestuhlten, atmosphärischen Hallraum statt. So muss man stehen und weiß nicht recht, wohin mit den heftigen Eindrücken, die da auf einen einströmen. Netterweise ermahnt Alan Sparhawk die Zuhörer, dass sie sich im Sinne einer ausreichenden Blutzirkulation doch ab und zu bewegen möchten -und sinniert dann darüber nach, ob die Musik seiner Band vielleicht am besten klänge im Augenblick des Bewusstloswerdens.

Aber wer sich arrangiert mit den Umständen, der erlangt Erleuchtung-einen Zustand, den die beiden gläubigen Mormonen Sparhawk und Mimi Parker bewusst herbeiführen wollen. Eine ähnlich sakrale und gespannte Stimmung war zuletzt nur bei CocoRosie zu erleben. Deren träumerischer und surrealer Neofolk mag den blues-gospeligen Americana-Sound Lows in Sachen Originalität übertreffen. Doch wenn Parker und Sparhawk ihre zweistimmigen Choräle anstimmen, ist um die Seele kein Halten mehr. Archaische Klagelieder, die einen mit Empathie erfüllen, aber auch seltsam einsam lassen. Ich liebe meinen Nächsten, aber scheint der nicht unerreichbar weit weg? Und ist die Welt nicht eh verloren? Doch Trauerarbeit heißt nicht umsonst so und bedeutet nicht Hoffnungslosigkeit. Low spielen Drums And Guns fast komplett, verzichten dabei weitgehend auf die elektronische Ebene des Albums. Dafür entschädigen die spärlich gesetzten kurzen Gitarrensoli Sparhawks, die durch Mark und Bein gehen. Leider musste die Band auf ihre Reiseorgel aus derzeit des Zweiten Weltkriegs verzichten, die sonst in den Staaten zum Einsatz kommt. Bei der letzten Zugabe „That’s How You Sing Amazing Grace“ schießen wieder die Tränen in die Augen. Praise the Lord – und wenn’s nur der Musikgott ist.

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