Man kennt ihn als den Gitarristen der Ärzte. Nun aber gibt Farin Urlaub ein Solo. Und das soll keine Ausnahme bleiben. Vom Ende der Ärzte kann aber keine Rede sein.


Promotion für ein neues Ärzte-Album zu machen ist das eine, die Werbetrommel für ein Soloalbum zu rühren jedoch etwas ganz anderes. Denn der blonde Arzt Farin Urlaub alias Jan Vetter-Marciniak (37) ist allein, hat also zum ersten Mal bei Interviews keine Rückendeckung von seinen Bandkollegen Bela und Rod – und er ist nervös. Viel nervöser, als er zugeben möchte. Warum eigentlich? Sein eigenes Werk, „Endlich Urlaub!“ betitelt, besticht ebenso wie die Ärzte-Alben durch absurden Wortwitz und ein amüsantes Gefledder aller nennenswerten Stile der Popmusik. Und trotzdem ist es kein neues Ärzte-Album.

Farin, ist es etwas anderes, Songs für ein Soloalbum anstatt für die Ärzte zu komponieren?

Ich habe sechzig unveröffentlichte Stücke, die ich für die Ärzte geschrieben habe – drei CDs, randvoll mit Ideen. Die wollte ich zuerst aufnehmen. Aber als ich im Studio war, hat sich das total schal angefühlt. Wie altes Mineralwasser. Letzten Endes habe ich dreizehn Stücke neu geschrieben und nur drei alte Ärzte-Songs benutzt. Welche das sind, verrate ich nicht. Ich mache später auf meiner Webseite einen Wettbewerb, und wer’s errät, bekommt einen Superpreis.

Worin besteht nun der Unterschied zwischen den Ärzte-Songs und Farin Urlaub solo?

Ich war freier. Druck ist zwar nie da, wenn die Ärzte produzieren, aber ich weiß, was die anderen beiden an meinen Songs nicht mögen. Ein vier Minuten langes Instrumentalstück wäre auf einem Ärzte-Album nur schwer vorstellbar. Allein aus Eitelkeit, weil es ein Stück weniger wäre, bei dem ich singen kann.

War es ein befreiendes Gefühl, ohne Rod und Bela zu arbeiten?

Nein. Denn schon nach vier Stücken kam die Krise. Da habe ich mir die Sachen angehört und mich gefragt: ‚Alter, ist das jetzt hier kompletter Scheiß?‘ Natürlich haben mir Bela und Rod gefehlt. Die beiden sind gute Gegengewichte und sagen ihre Meinung zu den Songs, die ich anschleppe. Ich war total unsicher und habe Freunde angerufen, die sich das dann anhören mussten. Die Meinungen reichten von einem saloppen ’sehr gut‘ bis hin zur totalen Euphorie. Von da an war befreites Tanzen im Regen angesagt.

Lebst du so eine Art Narrenfreiheit aus, die du dir über lange Jahre mit den Ärzten erspielt hast?

Sicherlich. Jeder hat bei den Ärzten seinen Zuständigkeitsbereich, da lässt sich keiner reinquatschen. Ich bin aber ein kleiner Diktator. Wenn ich die Drums bei den Ärzten anders haben will, muss ich mich lange mit Bela auseinander setzen. Solo mache ich es einfach so, wie es mir gefällt. Für dieses Album habe ich Schlagzeugspielen gelernt.

Du verarbeitest Einflüsse von Ska bis Punk. Kann man sich als Mitglied der Ärzte alles erlauben?

Auf jeden Fall. Ich habe mir erlaubt, mich auszutoben. Schau dir Rod an,der macht aus der Kiss-Nummer „I’ll Fight Hell To Hold You“ einen Discosong – respektlos, aber gut. Tatsächlich hatte ich den Plan, ein Depeche-Mode-Violator-Spätphase-Stück mit sehr ernstem Text aufzunehmen. Das fand ich für dieses Album aber doch zu aufgesetzt. Dann hätte jeder gesagt: ‚Farin Urlaub macht ein Soloalbum und gibt sich Mühe, anders zu klingen als bei den Ärzten.’Also habe ich es gelassen. Aber das kommt dann aufs zweite Solo-Album drauf.

Das planst du also schon?

Sicher. Ich will mit dem Material ja auch touren, und das geht mit nur einem Album im Rücken schlecht. Ich will weder nach sechzig Minuten von der Bühne runter noch Songs von den Hosen covern müssen.

Bei dir klingt immer alles so fröhlich. Hast du nie ernste Gedanken?

Doch, selbstverständlich. Aber soll ich so tun, als hätte ich Selbstmordgelüste? Ernste Gedanken sind auch in mir drin, aber darüber singe ich nicht. Und zu einer richtig ohrwurmmäßigen Melodie kann ich nicht singen, wie schlecht das Leben ist.

Politische Aussagen in der Musik erleben besonders im HipHop eine Renaissance. Auch der Punk hatte einst ähnliche Ziele. Ist das für dich nicht ein Anreiz, mal ernster zu werden?

Punk war viel eindimensionaler. Im HipHop hat man fünf Minuten Zeit pro Song, die labern ja nur. Da kann man komplexe Zusammenhänge viel besser darstellen. Ich mache Musik nur aus Spaß und hasse es zu belehren. Ich gebe lieber nur Denkanstöße. Thomas D und seine Musik zum Beispiel sind mir zu belehrend, so sehr ich ihn auch schätze. Seine Musik mag zwar für ihn gut sein, ebenso seine Philosophie. Aber ich empfinde es als anstrengend, mich ein ganzes Album lang belehren zu lassen. Der ist ja nicht Reflektor Falke, sondern Lehrer Falke. Er reflektiert weniger, als dass er doziert. Ich persönlich hätte mir ein bisschen mehr Entertainment gewünscht, wobei man ja nicht nur ‚Dicke Titten und Alkohol sind geil‘ singen muss.

Rod nimmt solo eine Single auf, du ein ganzes Album, und Bela, der Dritte im Bunde, steckt in Filmprojekten. Sind die Ärzte am Ende?

Natürlich nicht. Auch wenn es auf der letzten Tour Momente gab, wo wir uns am liebsten Strychnin in die Getränke geschüttet hätten. Aber wenn wir live spielen, sind wir einfach unschlagbar, und da gibt es sicherlich Momente,die alles andere wettmachen.

Ihr habt euch immer dagegen gesperrt, in großen Hallen aufzutreten. Auf der letzten Tour jedoch gab es nur größere Locations. Geht es jetzt sogar den Ärzten nur noch um den Kommen?

Uns wollen einfach super viele Leute sehen. In Berlin haben wir zweimal die Wuhlheide ausverkauft, das sind zweimal 17.000 Menschen. Wie willst du das in Clubs hinkriegen? Hundert Mal spielen?

Fragt man sich nicht, was passiert ist, wenn man auf der Bühne einer riesigen Halle wie etwa der in Dortmund steht?

Tatsächlich gab es diesen Augenblick. Ich bin nicht nah am Wasser gebaut,aber da war ich sehr gerührt. Am zweiten Tag in der Wuhlheide kam Bela während des Konzerts an meine Seite, nahm mich in den Arm und meinte: ‚Alter, weißt du noch? 1980, Übungsraum Spandau. Und jetzt guck dir das hier an.‘ Da habe ich echt ’ne Träne verdrückt.

Wie lange kannst du dir noch die Haare rot oder blond färben, ohne peinlich zu sein?

Das ist der letzte Rest Punker in mir. Außerdem habe ich bekanntlich zwei Freunde, die mir sagen, wenn es peinlich wird. Wenn wir verkrampft auf jung machen, dann hören wir auf. Aber offensichtlich gelingt es uns noch ganz gut, cool zu sein.

Warum geht jemand, der rhetorisch so begnadet ist wie du, nicht in die Politik?

Dann wäre ich eines von den Schweinen, die ich so hasse. Die Welt ist viel zu komplex für simple Lösungen. Notgedrungen würde ich eklatante Fehler machen. Das will ich nicht. Für Veränderungskonzepte müsste ich zehn Jahre lang studieren. Will ich das? Ich will ein schönes Leben haben.Ich bin gern in der Situation, dass ich sticheln kann. Meckern ist viel einfacher.

www.farinurlaub.de