Marilyn Manson: Marilyn Manson über Masken


Brian Warner hatte "nicht das Gefühl, als Person so spannend" zu sein. Deshalb wurde er Marilyn Manson. Ohne seine Maske will er heute nicht mehr leben. Nur einmal, da hat er sie gerne abgelegt: "ich stand nackt vor Patricia Arquette", verrät er Christoph Lindemann.

Es ist ein warmer, sonniger Vormittag in Berlin, doch in der „Villa Marilyn Manson“ – von Journalisten liebevoll „Villa Kunterbunt“ genannt – ist davon nichts zu spüren. Die riesigen Fenster sind abgedunkelt, und die rote Farbe, die an die hohen Wände gespritzt wurde, sieht im flackernden Kerzenlicht aus wie Blut. Das Gruselambiente ist albern, doch bleibt es nicht ohne Wirkung: „Der Holzboden knarzt so“, flüstert eine offensichtlich völlig eingeschüchterte Dame von der Plattenfirma und führt uns auf Zehenspitzen durch den langen Flur. Fast lautlos öffnet sie eine schwere Türe, linst in einen spärlich beleuchteten Raum und tritt dann beiseite. Marilyn Manson thront mit überschlagenen Beinen in einem imposanten Ledersessel. Er trägt eine Kappe, weiße Schminke, roten Lippenstift und eine große, halb durchsichtige Sonnenbrille. „Hallo“, sagt er mit seiner knarzenden Stimme und schüttelt nach einem kurzen Zögern die ausgestreckte Hand.

ME: Guten Tag. Ich mochte gerne die knappe Zeit nutzen, um über das Thema Masken zu sprechen.

Manson: (schweigt)

Du trittst deinem Publikum nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Warum die Maske?

Das hat einen einfachen Grund: Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich als Person so spannend bin. Als ich Musikjournalist war, wollte ich allein schon deshalb eine Band gründen, weil es sowas wie Marilyn Manson nicht gab. Heute bin ich übrigens überzeugt, dass auch „kein Image“ ein Image ist: Wenn ich jetzt keinen Lippenstift mehr tragen würde und mich so verhalten würde, wie sich die Menschen den „normalen Brian Warner“ vorstellen, das wäre ja noch irreführender. Natürlich spielt sich mein Leben zu einem Teil auf der Bühne und zu einem Teil abseits der Bühne ab – die zwei Hälften des Marilyn Manson. Aber ich habe herausgefunden, dass ich mich nicht von meiner Kreation trennen kann. Dann sterben beide Seiten.

Das heißt, du weißt nicht mehr, wer Brian Warner ist, wenn du die Maske Marilyn Manson ablegst?

Auf gewisse Weise ja. Das ist mir klar geworden. Ich bin so sehr zu dem geworden, was ich erschaffen habe, dass die zwei nicht ohne einander existieren können. In meinem Privatleben gibt es auch niemanden, der mich bei meinem richtigen Namen nennt.

Fühlst du dich unwohl, wenn du ohne Make-up das Haus verlässt?

Nein, ich versuche, das Haus nicht zu verlassen (lacht). Das sind alles nur Variationen davon, wie dich die Öffentlichkeit wahrnehmen kann. Und wenn ich keinen Lippenstift oder keine Kappe trage, dann macht mich das nicht zu einer anderen Person. Jeder entscheidet ja, wie er aussehen will. Das ist ein Teil des Lebens. Ich bin nur enttäuscht, wenn ich das Gefühle habe, nicht gut auszusehen. So wie jeder Mensch unsicher wird, wenn er sich hässlich fühlt. Das hat nicht immer was mit geschminkt oder ungeschminkt zu tun.

Bei dem neuen Album Eat Me, Drink Me geht es dir auch darum, „eine Verbindung mit Menschen herzustellen“. Isoliert dich die Maske manchmal?

Sie kann einen isolieren, ja. Ich habe gemerkt, dass einige der Menschen, die mich sehr stark geliebt haben, eher eine Vorstellung von mir geliebt haben – nicht mich. Das lag aber nicht daran, dass ich mich vor ihnen versteckt hätte. Die dachten einfach, dass die Maske und ich zwei verschiedene Personen wären. Sie haben gehofft, dass ich die Maske irgendwann ablegen würde. Es ist aber ein bisschen komplizierter. (lacht)

Spürst du, wie unangenehm es für deine Gesprächspartner ist, mit einer Maske zu sprechen?

Ich bin mir bewusst, dass ich Leute verunsichere, ja. Aber alles, was ich tue, dient ja nur einem Zweck: interessant und provokant zu sein. Ich will mir nicht Menschen vom Leib halten. Ich habe viel davon gelernt, wie Leute auf mich reagieren. Ich musste erst herausfinden, wie ich mit Leuten in Kontakt treten will.

Wenn du eine Sonnenbrille trägst, entsteht im Gespräch kaum zwischenmenschlicher Kontakt. Macht dich das einsam? Oder gibt dir das Sicherheit?

Manchmal war der Wunsch nach Sicherheit schon der Grund für die Maskierung. Aber ich kann so auch entscheiden, wie viel oder wenig ich Leuten erlaube, in mein Leben zu treten. Es geht nicht immer darum, ob ich eine Verbindung zu jemandem herstelle. Du musst dich in meine Lage versetzen: An Tagen wie heute treffe ich einen Fremden nach dem anderen über Stunden -, und alle stellen persönliche Fragen. Das bin ich gewöhnt, ich beklage mich nicht. Aber durch die Maske kann ich entscheiden, wie ich mich Leuten präsentiere und öffne. Man kann mich nicht einfach zerlegen und sich dann überlegen, wie man mich [in einem Artikel oder Beitrag] darstellt.

Du trägst also die Maske, um ein wenig Kontrolle darüber zu haben, was über dich gesagt wird?

Ich will meine Gefühle nicht vergeuden – ich war so nah dran, keine mehr zu haben. Ich will sie nicht sinnlos an Leute verschwenden, die sie objektivieren. Also öffne ich mich meiner Umwelt anders als die meisten Leute. Ich weiß nicht, ob ich da eine Maske trage.

Masken wurden von Menschen immer auch benutzt, um Angst einzujagen. Fühlst du dich missverstanden, wenn Leute deine Maske als furcheinflößenden Look des „Schockrockers“ betrachten?

Man kann gar nicht missverstehen, was ich tue. Man kann es nur unterschiedlich interpretieren. Es wäre schade, wenn es nur eine Interpretation gäbe.

Vielleicht musst du ja so oft als Sündenbock herhalten, weil deine Maske für verschiedene Leute so verschiedene Dinge bedeuten kann?

Das muss ich in Kauf nehmen, wenn ich mich selbst nicht erkläre. Man sollte alles über sich mit den Mitteln der Kunst erklären. Mir ist klar geworden, dass ich aber einen großen Teil meiner Karriere versucht habe, mich mit meiner Kunst zu verteidigen. Bei dieser Platte hab ich mir einfach erlaubt, ich selbst zu sein und Dinge zu sagen, die Menschen vielleicht jetzt als „menschlicher“ erachten. Diese Platte hat mehr mit meiner Persönlichkeit zu tun als alles zuvor.

Legst du dann in gewisser Weise deine Maske ab?

Man könnte das so interpretieren – der Mythos wird dadurch aber nur noch größer werden. Wenn ich heute das Album betrachte und feststelle, dass viele Menschen es als „menschlicher“ erleben, dann gebe ich wohl irgendwie zu, dass ich unmenschlicher bin, als ich dachte. Aber es war nicht geplant, dass die Platte so ungeschminkt wird. Ich wollte einfach nur meine Identität finden. Ich konnte mich sehr mit Lewis Carroll identifizieren – in „Alice im Wunderland“ geht es ja auch um die Suche nach Identität. Die Arbeit an diesem Album war meine Art, meine Identität zu finden so wie Carroll beim Schreiben zu sich gefunden hat.

Erinnerst du dich an das Gefühl, dass du bei den Dreharbeiten zu David Lynchs „Lost Highway“ hattest?

Das war eine sehr interessante Erfahrung. Die Arbeit hat sich angefühlt, als ob ich selbst in einem David-Lynch-Film wäre: Er hat ein Stroboskop angemacht und gesagt: „Okay, jetzt wirst du sterben!“

Du warst ausnahmsweise völlig demaskiert.

Ich stand nackt vor Patricia Arquette. Das Einzige, was ich in dieser Situation zu ihr sagen konnte, war: „Warst du nicht in ‚Nightmare On Elm Street, Teil 4‘?

Und sie hat gesagt: „Woher weißt du das?“

Und ich so: „Ich bin nackt – besser ist es, dass ich so was weiß!“

Ist es dir schwer gefallen, so lange nackt vor all den Leuten zu stehen?

Nein. Ich glaube, dass ich mich damals zum ersten Mal damit wohlgefühlt habe, extrovertiert zu sein.

www.marilynmanson.net

Marilyn Manson hat am 1. Juni 2007 sein neues Album veröffentlicht. Es heißt Eat Me, Drink Me und erscheint bei Interscope/Universal Music.