Maschinen machen mich zum Menschen


Im Oktober 1978 gab John Foxx mit ULTRAVOX noch Konzerte in Deutschland; wenige Wochen später trennte er sich von der Band. Seinen Freunden schickte er Briefe, Kurzgeschichten, Zeichnungen — der ziemlich desillusionierte Foxx entwickelte Einmann-Aktivitäten. METAMATIC, sein erstes Solo-Album, führte ihn wieder an die Öffentlichkeit und nach München. Er machte POP STOP. Was war nach ULTRAVOX geschehen? IIch wollte schon immer eine elektronische Band ohne konventionelles Instrumentarium, stellte aber fest, daß eine Band zu unflexibel ist. Denn du mußt immer Kompromisse eingehen, dich bei jeder Entscheidung mit fünf Leuten einigen. Die Band verstand meine Ideen aber oft erst ein Jahr später, zu spät, und das war frustrierend. Und ich hatte mir schon ein paar Maschinen gekauft und was ich damit zuhause spielte, gefiel mir wesentlich besser als die Musik mit der Gruppe. Da waren meine Lieblingsstücke ohnehin die, die ich fast alleine bestritt, also „My Sex“, etc. Und ich wollte unabhängig sein. Das Leben, das ich bei Ultravox führte, war mehr als irrsinnig. Die Band tendierte aber zum Rockstar-Trip, was mich überhaupt nicht interessierte“. Noch nie hat man John Foxx so offen, entspannt und unproblematisch erlebt wie augenblicklich. Er grollt nicht mal seiner Band, die noch immer mit seinem Namen seine Kompositionen spielt und böse Geschichten über ihn verbreitet. „Ich hoffe, daß sie sich über Wasser halten können“, meint er freundlich. Warum sich in den beiden letzten Jahren so viele Musiker selbständig gemacht haben, eigene Labels gründen oder Privatlabels bevorzugen, frage ich ihn. „Musiker wie ich, die nicht ständig im Mittelpunkt stehen, sind für Plattenfirmen ein schwieriger Fall. So ist man mehr oder minder dazu gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wie es schon Brian Eno getan hat. Es ist weniger eine klare Entscheidung, als die Erkenntnis, da ist keiner, der wirklich begreift, was ich will“. So hat John Foxx nicht nur sein Album selbst produziert, er hat alles darauf gespielt und auch das Cover gemacht. Spielt da nicht noch eine andere Überlegung eine Rolle, die, nicht mehi abhängig zu sein von einer Gruppe, einer Firma, einem Vertrag? „Das ist schon wahr. Die Plattenindustrie ist, generell gesagt, eine Konsumindustrie, ein Apparat, der mit Konsumgütern handelt. Wenn du nicht gerade in eine Kathegorie paßt, hast du Probleme. Nimmt dich so eine Firma unter Vertrag, bist du abhängig, hast du Verpflichtungen. Du machst mehr Tourneen als dir gut tun. Dieser ganze Lebenswandel ist ziemlich zerstörerisch. Denn die Firma muß aus dir einen Star machen, um ihr Geld zurückzugewinnen. Und schon kommt die ganze Maschinerie in Gang. Ich wollte das alles auf eine gesunde Basis zurückschrauben, ohne großes Kapital auskommen. Natürlich brauche auch ich Geld für meine Sachen, aber nicht solche Summen, die einen unmenschlichen Prozeß auslösen. Das mag paradox klingen, wenn ich auf der anderen Seite jetzt mit Maschinen arbeite. Aber die interessieren mich nur insofern, als daß sie dem Menschen Arbeit ersparen. Das ist eine sehr elegante Arbeitsweise, viel weniger destruktiv, als zehn Monate auf Tour zu sein und keine Ideen mehr zu haben“. Fast eineinhalb Jahre arbeitete John Foxx im stillen Kämmerlein vor sich hin. War das nicht schwierig ohne das Korrektiv einer Band, oder eines Produzenten, die Distanz zur eigenen Arbeit zu bewahren? „Ich gebe dir recht, man kann schnell unkritisch werden. Nun bin ich allerdings schon fast krankhaft kritisch und analytisch. Und vielleicht würde ich neurotisch werden, wenn ich nicht Platten machen würde. Das ist fast eine Therapie. Ich hatte noch nie Probleme, Abstand zu meinen Sachen zu gewinnen. Das ist ja auch die Idee von „Quiet Man“, dem Song, dem Buch und der Graphikserie. Das ist so eine Figur, so eine innere Stimme, die, wenn du betrunken bist oder sonst irgendwas machst, immer noch ganz klar analysierst und sagst: was hast du denn jetzt getan? Und dann ist mein Toningenieur Gareth Jones sehr kritisch. Und auch einige Freunde, denen ich immer wieder mal ein fertiges Stück vorspiele, sind da eine große Hilfe. Trotzdem verlaß ich mich am Schluß immer auf mein Urteil“. Und John hat vieles an sich selbst entdeckt: „Wenn du allein arbeitest, dann entwickelst du gewissen Marotten, die sehr hinderlich sind. Oft denke ich, ich muß das völlig perfekt machen — aber warum eigentlich? Ich selbst bin doch überhaupt nicht perfekt.Dadurch erkennst du manchmal selbst viel zu spät die wirklich guten Dinge in deiner Musik. Ich muß lernen, meinem Instinkt zu vertrauen und nicht irgendwelche Neurosen entwickeln. Es ist ein Lernprozeß, drei oder vier Leute gleichzeitig zu sein“. Davon handeln seine Kurzgeschichten „Quiet Man“: „Ich fühlte mich beobachtet, suchte nach Privatsphäre. Und zwar durch andere Persönlichkeiten, die ihr ganzes Leben zurückgezogen lebten, Maler, Schriftsteller,Leute wie Beckett oder James Joyce. Dann fing ich an, stundenlang in London herumzuirren, in kleine Cafes zu gehen und Leute zu beobachten, die niemanden interessierten, denn ich wollte so wie sie sein. Damals wußte ich noch nicht warum, heute weiß ich es natürlich. Ich mußte meine Persönlichkeit demontieren, jemand anderer werden – ich selbst“. Die Geschichte vom „Quiet Man“ hat er auch in Graphiken festgehalten. Außerdem malt John Foxx. Heißt das, daß ihm die Musik als Ausdrucksform nicht reicht? „Nein. Ich war immer visuell orientiert, betrachte auch meine Songs als Kurzfilme. Ich sehe sogar im Studio die Klänge: eine große sphärische Baßtrommel, einen Himmel aus synthetischen Saiten. Für mich sind die Songs wie eine fiktive Straße, die man entlangfährt. Und was dabei passiert, wird zum Inhalt des Songs. Das ganze Album ME-TAMATIC ist eigentlich aus der Sicht eines Kameraauges geschrieben worden, wie auch meine Kurzgeschichten und Zeichnungen entstehen. Sie sind wie Stadtpläne oder Landkarten. Die zeigen dir ja nicht wirklich die Gegend, aber sie führen dich durch das Territorium. All diese Prozesse sind sehr aufregend, ich beginne erst jetzt,mich selbstzuentdecken.“ Nun ist das ja alles nicht so neu, eine ganze Reihe von Musikern, vorwiegend in England, arbeiten in diese Richtung. Hat das bestimmte Gründe? „Genau kann ich das nicht sagen. Aber ich glaube, wenn heute jemand etwas von sich veröffentlichen möchte, der ein künstlerisches Talent besitzt, dann bietet ihm die Musikindustrie die besten Voraussetzungen, weil sie schnell und mit viel Energie arbeitet. Kunstformen wie Film oder Malerei sind entsetzlich lange, schwierige, schmerzhafte Prozesse. Deshalb tendieren die Leute jetzt eher dazu, über die Musik einzusteigen, die gottseidank auch nicht mehr eine Sache für Virtuosen ist. Ich finde das sehr gesund, weil sich dadurch die ganze starre Form dieses Mediums langsam verändert. Leute wie Throbbing Gristle, Thomas Leer, The Normal, Human League oder Wire sind kein weiterer Konsumartikel wie Margarine. Die Szene wird menschlicher und ich finde die augenblickliche Periode sehr aufregend“. John Foxx hat eine Philosophie, die Musikern der alten Schule die Haare zu Berge stehen läßt, wenn es um die Rechte an Ideen, um Originalität geht. Er selbst ist ja ein „Opfer“ von Plagiatoren geworden, die, während er zurückgezogen arbeitete, aus den Ideen von Ultravox Kapital schlugen. Ich denke an die Pressekampagne um Gary Numans Erfolge. Doch John strahlt beinahe überglücklich: „Ich finde das gut, daß sich Musiker plötzlich nicht mehr als Konkurrenten betrachten, und wenn, dann nur auf gesunde Weise, aber nicht geschäftlich orientiert. Plötzlich tauscht man Ideen aus, freut sich darüber, wenn ein anderer den gleichen Riff benutzt. Ich habe immer geglaubt, daß Ideen ein Allgemeingut sind, das man nicht mit einem Monopol oder Copyright schützen sollte. Denn nur dadurch kann eine geistige Weiterentwicklung der Zivilisation stattfinden. Solange du heranwächst, adaptierst du fremdes Gedankengut. Das ist doch ganz normal. Früher haben sich die Gruppen gegenseitig verklagt, weil ihnen eine Idee geklaut wurde. Das hat die ganze Sache getötet, zum Stillstand gebracht. Und ausgerechnet die Punk-Bands haben das noch unterstützt. Denn die wurden so schnell konservativ, ja fast reaktionär, daß ich es gar nicht fassen konnte. Und deshalb kommen wohl jetzt so viele gute Leute. Das sind die, die durch Punk total desillusioniert wurden, aber auch widerstandsfähiger“. Ich möchte doch noch mal auf die Geschichte mit Gary Numan zurückkommen. Das wird ja diskutiert wie der Gelehrtenstreit: war zuerst das Huhn da oder das Ei? „Ich glaube, daß Gary sehr ehrlich zugegeben hat, woher seine Ideen stammten. Und da das meiner Philosophie vom Allgemeingut der Ideen entspricht, war das völlig in Ordnung. Ich war sogar froh, daß die Ideen von Ultravox nicht verschwendet waren, daß sie jemand aufgegriffen hat. Zu unserer Zeit waren wir ja nicht gerade in Mode damit, jetzt ist daraus eine ganze Musikströmung entstanden. Und außerdem sind das nicht allein meine Ideen. Mich haben deutsche Bands wie Kraftwerk und Neu stark beeinflußt. Das ist ein Prozeß. Es wird Bands geben, die von Gary Numan beeinflußt wurden, von mir, und ich von anderen. Mir gefällt das. Ich erinnere mich noch, als ich Gary das erstemal traf. Er war unheimlich nervös und dachte wohl, ich sei sehr ärgerlich. Aber ich finde, er hat ein paar gute Sachen gemacht, da gibt es keine Ressentiments“. Kehren wir nochmals zu METAMATIC zurück und „Metal Beat“, das nicht nur der Name seines Labels ist, sondern auch der eines Songs. „Metamatic ist eine Kombination. Zuerst nannte ich das Album „Automatic“, aber dann fand ich „Metamatic“ einfach besser, weil es eine Steigerung darstellt. Ich mag diese Wortsysteme und ich wollte beschreiben, wie ich meine Musik empfinde. „Metal Beat“ ist eine Art Motto geworden für meine Arbeit. Z.B. habe ich immer den Begriff Beat-Musik sehr gemocht. Denn „beat“ bedeutet im Englischen eine ganze Menge, z.B. rumstreunen, ausgehen, aber auch, wenn ein Polizist seine reguläre Runde macht. Und wenn du abends ausgehst und eine bestimmte Runde machst, also verschiedene Lokale aufsuchst, dann heißt das „you’re on the beat“. Und wenn du einen „metal beat“ unternimmst, heißt das, daß du Lokale aufsuchst, in denen Metal Music gespielt wird. Und diese Art von Nachtleben Wollte ich beschreiben“. Dabei geht John Foxx in London so gut wie gar nicht aus, wie er mir treuherzig erzählte. Umsomehr hingegen, wenn er unterwegs ist. „Da fühl ich mich anonymer“. Und so mischte er sich abends im „Rigan-Club“ unters Volk, um Zeltinger zu hören, mußte aber erstaunt feststellen, daß in einer anderen Ecke Joe Jackson stand und das Electric Light Orchestra. Verfolgungswahn bekam er deswegen aber nicht. „Die Zeiten sind vorbei“. Heißt das auch, daß er vielleicht doch mal wieder auf Tournee gehen würde? „Doch, aber sowas muß besser vorbereitet sein, als wenn man mit einer festen Gruppe geht. Ich könnte einen Computer einsetzen, der das Musikprogramm von allein abspielt und dann singen. Lieber würde ich ein paar Freunde miteinbeziehen, die nur für einige Zeit zusammenarbeiten. Das könnte eine Band werden, aber sie müßte flexibel und offen bleiben. Ich möchte gerne Videos und Filme einsetzen, aber sehr präzise. Und drum warte ich noch eine Weile, bis mir genügend Zeit bleibt, um alles gründlich vorzubereiten. Die Musik hat sich so verändert, daß auch das alte Konzertmuster geändert werden muß. Ich glaube, die Sache muß mehr in Richtung Kino gehen. Interessant finde ich zum Beispiel den Weg, den Leute wie Wire oder Human League eingeschlagen haben, obwohl sie einen starken Widerstand vom Publikum zu spüren bekamen. Aber vielleicht war die Zeit noch nicht reif dafür. Wer innovative Dinge ausprobiert, muß wohl erst mal leiden, denn es dauert eine Weile, bis sich das Publikum zu einer eigenen Meinung durchringen kann, Neues anerkennt. Warum sollte es auch? Ich kann das ganz gut verstehen. Das menschliche Gehirn ist sehr schwerfällig. Sogar ich ertappe mich bei solchen Gedanken. Das ist ganz menschlich“. John Foxx, ein Mensch, der durch die Arbeit mit Maschinen erst menschlich wurde? Es hat den Anschein.