Mehr als ein Beatle


Er schrieb einige der besten Beatles-Songs und hinterließ auch sonst seine Spuren in der Popgeschichte. Am 29. November erlag George Harrison in Los Angeles seiner Krebserkrankung.

Vielleicht lebe ich noch zwei jähre, vielleicht auch nur noch zwei Monate.“ So äußerte sich der Ex-Beatle im letzten Sommer zu seinem alten Freund Klaus Voormann. Ein Statement, das typisch für die philosophische Gelassenheit ist, mit der Harrison sein Schicksal auf sich nahm. Der Leadgitarrist der legendären Popgruppe galt als der Spirituellste der Fab Four. Seine intensive Beschäftigung mit fernöstlicher Philosophie, die beim Pop-Publikum nicht immer auf Verständnis stieß, verschaffte dem introvertierten Musiker dauerhafte Orientierung. Und doch galt der Mann, der als Kriegskind in bescheidensten Verhältnissen aufwuchs, zeitlebens als bodenständig und mit typisch-lakonischem britischem Humor gesegnet.

Schon in den sechziger Jahren hatte ihn der indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar mit der hinduistischen Religion bekannt gemacht. Harrison, der Shankar 1966 im Haus des Schauspielers Peter Seilers in London kennengelernt hatte, war zunächst nur an der Sitar interessiert, die er als exotische Klangfarbe in Beatles-Songs wie „Norwegian Wood“ verwendete. Schnell entwickelte der im Schatten des Songwriter-Teams Lennon/McCartney stehende Gitarrist ein tiefes Interesse für indische Musik. Prompt erschien auf „Sgt. Pepper“ mit „Within You Without You“ ein völlig neuartiges Stück Musik, das fernöstliche Musikstrukturen mit psychedelischen Pop-Appeal zu verbinden suchte. Ein Experiment, das Harrison nachhaltig ins künstlerische Epizentrum der Fab Four rückte. Fortan glückten dem jüngsten Beatle Klassiker, die zum Besten gehören, was die Band zustande gebracht hat. Etwa “ Here Comes The Sun“ und das seiner Frau Patti gewidmete „Something“, das Frank Sinatra zwar fälschlich Lennon/ McCartney zuordnete, immerhin aber als „schönstes Liebeslied der letzten 50 lahre“ erkannte und deshalb erfolgreich coverte.

Fast unbemerkt hatte sich Harrison auch zu einem der kompetentesten und fantasiereichsten Gitarristen entwickelt. Vor allem sein makelloses Slidespiel verlieh vielen Beatles-Songs ihren ganz eigenen, schwermütigen Schimmer. Legendär die Session für das „White Album“, in der bei „While My Gently Guitar Gently Weeps“ Harrisons enger Freund Eric Clapton mitwirkte. George selbst kommentierte seinen Status bei den Beatles einmal sarkastisch: „Ich hab‘ mich oft gefühlt wie Pauls Sessionmusiker.“ In den späten 80er Jahren erzählte Harrison seinem Biografen Geoffrey Guiliano, dass er bei den Beatles zwar „möglicherweise ein wenig unterschätzt worden“ sei, aber mit dem Gang der Dinge „eigentlich ganz glücklich“ war.

Das Ende der Fab Four im Jahre 1970 wurde für den Mann, den sie den „stillen Beatle“ nannten, zur Befreiung. Umgehend gelang ihm mit „All Things Must Pass“ ein Werk, das viele bis heute als beste Soloarbeit eines Beatle einschätzen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere nutzte er seinen Ruhm für einen selbstlosen Zweck: Am 1. August 1971 veranstaltete Harrison zusammen mit Ravi Shankar im New Yorker Madison Square Garden „The Concert For Bangla Desh“, um den Hungernden in der ostpakistanischen Provinz zu helfen. Harrison selbst versuchte fortan, wie er es ausdrückte, „jeglichen Ehrgeiz abzulegen und ein glücklicher Mensch zu werden“. Seiner Karriere als Popstar war das nicht eben förderlich; Alben, oft von mäßiger Qualität, veröffentlichte er nur noch unregelmäßig. Erst 1987, nachdem er mit seiner Firma „Handmade Movies“ unter anderem die Kinohits „Das Leben des Brian“ und „Time Bandits“ produziert hatte, ließ er als Musiker wieder von sich hören. „Cloud Nine“ und sein Mitwirken im Starensemble der Traveling Wilburys (Bob Dylan, Tom Petty, Jeff Lynne und Roy Orbison) ließen noch einmal alte Qualitäten aufblitzen. An einer Fortführung seiner Karriere schien der passionierte Rosenzüchter in den Neunzigern jedoch nicht mehr interessiert.

1998 wurde bei dem starken Raucher ein Kehlkopf-Tumor diagnostiziert. Seitdem kämpfte der Beatle gegen den Krebs. In den Mittagsstunden des 29. November starb George im Hause eines Freundes in Los Angeles. Bei ihm waren seine zweite Frau Olivia und sein Sohn Dhani. Der erschütterte Paul McCartney gab zu Protokoll: „Er war mein kleiner Bruder.“

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