Metal von Morgen: Ministry zwischen Klampfen und Computern


BERLIN. Mit einem symbolischen Tritt in den Hintern des scheidenden US-Präsidenten eröffnen die Kult-Metaller aus Chicago ihre ohrenbetäubende Soundorgie. Erbarmungslos attackiert ihre erste Nummer „N.W.O.“ die schon im Ansatz gescheiterte „Neue Weltordnung“ von George Bush: Drei stahlhart riffende Gitarren zermalmen förmlich alle politischen Hirngespinste, immer wieder ertönen gesampelte Schmerzensschreie (aus dem Keyboard), erscheinen Dias von Totenköpfen und verbundenen Mündern auf den beiden Leinwänden.

Das folgende „Deity“ hingegen ist fast so etwas wie eine aggressive Meditation: Baß, Drums und Klampfen hämmern einen sich kaum verändernden Rhythmus ins gut gefüllte „Huxley’s“, den Zuhörern bleibt nichts anderes, als sich diesem mörderischen Maschinen-Beat zu ergeben — oder aber gleich die Flucht zu ergreifen. Gelegentlich haben Ministrys Dampframmen-Klänge, mehr oder minder treffend als Jndustrial“ bezeichnet, eine gewisse Seelenverwandtschaft mit Techno, freilich in einer hochtourigen Überschall-Version.

Zu „Psalm 69“ schält sich Sänger AI Jourgensen aus seinem Frack. Mit schwarzem Trotzki-Bart, RastaLocken, Taxi-Chauffeursmütze und den martialischen Knobelbechern an den Füßen ist er ein Frontmann alter Schule für eine Band neuen Zuschnitts. Die Mimik des flächendekkend tätowierten Vokalisten ist finster, seine Ausstrahlung beunruhigend, sein Whiskey-Konsum auf offener Bühne besorgniserregend. Paul Barker, der zweite Ministry-Mastermind, agiert unauffälliger. Die Starkstrom-Grooves des Baßmannes sind allerdings auch ohne Rocker-Posen von atemberaubender Wucht.

Am härtesten schuftet Trommler William Rieflix. Als sei er ein Galeerensklave, die drohende Peitsche im Rücken, arbeitet er hinter seinem Drum-Kit und wuchtet Rhythmen heraus, die wie eine Windhose über die Bühne fegen. Live ist der Ministry-Sound eindeutig baßlastiger als auf CD, besonders wenn ein Klang-Ungetüm wie das Black Sabbath-Cover „Supernaut“ aus den Boxen kriecht.

Unverzichtbar für jeden Song sind Soundeffekte wie schräges Quieken. Heulen, Chöre und Kirchenorgeln, die alle vom Keyboarder abgerufen werden. Nur mit Mühe gelingt es dem wild gestikulierenden Jourgensen, sich gegen diese Lärmflut überhaupt durchzusetzen.

Nach einem intensiven 60 Minuten-Set gehen die Erfinder der „Neuen Gnadenlosigkeit“ von der Bühne. Vorangegangen war ein kompakter Set von Heimet, den New Yorker Avantgarde-Metallern, deren auffälligstes Merkmal ihr kühler Kopf ist.

Obwohl herkömmlich instrumentiert, wirken ihre Kompositionen wie mathematische Konstrukte, die keine Abweichung vom einmal festgelegten Kurs dulden. Heimet spielen E-Metal, in dem für entfesselte Ekstase kein Platz ist. Verglichen mit dieser Kopflastigkeit erscheinen die Maschinen-Metaller, die für zwei Zugaben zurückkehren, geradezu beherzt. Und zum ersten Mal kommt so etwas wie Stimmung auf. Mit dem fräsenden „Scarecrow“ gelingt es den Maschinen-Metallem sogar, einen kleinen Tumult im ansonsten andächtig staunenden Publikum auszulösen. Sicherlich könnten die brachialen Soundtüftler ihre „Gitarren von Jericho“ auch sampeln und per Tastendruck triggem. Doch auf Show und Image von Heavy-Heroen wollen sie keinesfalls verzichten. Und so spielen sie Metal von morgen — mit Instrumenten von gestern.