Michelle Shocked


Daß Michelle Shocked mit Platten-Ruhm, Star-Rummel und gängigem Business-Gebaren wenig an der Mütze hat, dürfte bekannt sein. Ihr erstes, in England sehr erfolgreiches Album THE TEXAS CAMPFIRE TAPES entstand als Zufalls-Mitschnitt, doch ihr „Major-Label“ Debüt SHORT SHARP SHOCKED deutet in eine profesionellere Richtung.

Die scheint ihr schnell unheimlich geworden zu sein, denn in ihrem Hamburg-Konzert beschränkte sich die Songschreiberin aus Texas auf Gitarre und Stimme. Nun ist es ja kein Makel, wenn sich Texte mit Rassismus, Imperialismus, Krieg, Häuser- und Klassenkampf beschäftigen, doch auch bei engagierter (Folk)Musik macht der Ton dieselbe.

Für Michelle Shocked scheint Humor ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Nicht, daß es nichts zu lachen gäbe: Allein die Nennung von Namen wie Reagan und Bush kommt schon riesig an. Sie sei aus Amerika abgehauen, als Ronald Reagan wiedergewählt worden sei. Clever. Daß sie jetzt in London bei Maggie Thatcher lebt, stört sie nicht weiter. Sie habe mal einen jungen Menschen getroffen, der unbedingt in die US-Army wollte, und der ließ sich nicht vom Gegenteil überzeugen. „Die hören nie zu. “ Soso. Kleine Geschichten aus dem Leben der Michelle Shocked, mit denen sie einen eher gleichförmigen Set aufzulockern versuchte. Spannend wurde es lediglich dann, wenn Shocked sich vom weinerlichen Folk-Stil entfernte und hören ließ, daß sie im Grunde eine bissige Country-Stimme hat, die Songs wie „Memories Of East Texas“ oder „Anchorage“ zu Meisterwerken an sparsamer, intimer Interpretation machte. Doch selbst in diesen Highlights bekam sie nie die Kurve von echtem Gefühl zu selbstverständlicher Sänger-Größe, wie sie große Country & Western-Künstler auszeichnet. Wie viele ihrer alten und jungen Folk-Kollegen meint sie, daß es ausreicht, wenn man nur über die richtigen Inhalte singt – Gesinnung über alles. Daß dabei nicht viel mehr als selbstgerechter Weihrauch herauskommt, bemerken sie alle nicht. SHORT SHARP SHOCKED rückte ihre Songs in einen weiteren musikalischen Kontext, entkrampfte die Texte durch Spielfreude und ließ die ganze Sache nicht gar so verbissen und witzlos erscheinen.