Mit BAP auf Tournee durchs deutsche Hinterland


Ob in Emden, Oldenburg oder Hildesheim - in der Provinz sitzen ihre treuesten Fans. Hier liebt man's noch naturecht, hier mag man Idole zum Anfassen. Kein Wunder also, daß die kölschen Kumpel ihre Volksnähe voll ausspielen können. ME/Sounds-Mitarbeiter Matthias Immel ging mit des Deutschen liebster Band auf Tournee.

Richtung Norden – und dann immer geradeaus. Nein, wir sind nicht in Sachen hochprozentiger Alkoholika unterwegs, vielmehr schleppt sich unser PKW Richtung Oldenburg, wo BAP an diesem Abend den sechsten Gig ihrer „Da Capo“-Tournee spielen werden. Ich habe Allround-Instrumentalist „Kalau“ Keul und Niedeckens Hündin „Blondie“ mit an Bord.

Beide waren sie merklich schlaff, als ich sie an diesem verregneten Freitagmorgen in der Kölner Südstadt abholte. Für die BAP-Karawane ging die Tournee mit dem heutigen Tag erst richtig los: Die fünf vorangegangenen Konzerte lagen alle im Umfeld des Basislagers Köln.

Die Stimmung ist dementsprechend gut, erzählt mir Kalau, der früher teilweise als Roadie. teilweise als Musiker bei BAP arbeitete. Heute „beschränkt“ er sich auf seinen Part als Sound-Mädchen für alles, spielt Saxophon, Trompete und singt Backing-Vocals. Das vorangegangene Konzert in der Essener Gruga-Halle gehörte nicht zu den Sternstunden der Band, berichtet er während der Fahrt. Diverse Fernsehauftritte in den ersten Tagen der Tour zehrten doch arg an der Substanz.

„Du kannst nicht nach einer anstrengenden TV-Playback-Session abends um sechs in die Halle kommen und mal eben eine ausverkaufte Gruga-Halle bedienen“, wird Wolfgang Niedecken später bei einer Tasse Kaffee im Hotel erzählen. „Zum Glück“, seine Miene erhellt sich schlagartig, „zum Glück sind wir mittlerweile so gut, daß die Leut: trotzdem mit dem Gefühl nach Hausegehen, einen tollen Gig gesehen zu haben – auch wenn es bei uns mal nicht optimal läuft“.

Heute soll s optimal laufen. Die Bedingungen sind jedenfalls ideal, stellt Kalau fest, als wir nachmittags am Ort des Geschehens eintreffen. In der Tat: Der Weser-Ems-Hallenkomplex (geradezu gigantisch für eine Kleinstadt wie Oldenburg) gehört zum Imposantesten, was die Republik an Konzerthallen zu bieten hat. Für die Crew gibt’s traumhafte Arbeitsbedingungen: Das Gebäude bietet genug Platz, um die beiden blauen BAP-Tour-Trucks direkt hinter der Bühne zu parken. Die feste Crew umfaßt bei BAP 15 Leute: zwei Truckfahrer, sechs Licht-Leute, drei sogenannte Backline-Roadies, einen Monitor-Sound-Mixer, zwei Merchandising-Verkäuferinnen, einen Tourleiter. Und natürlich – schlecht zu übersehen – Balou, der Manager, die Seele des Unternehmens.

Der trifft gerade, zusammen mit der Band, aus Hamburg ein, wo die Musiker – im Jargon halb liebevoll, halb despektierlich „Mucker“ genannt – bei einer „Tele 5“-Gala die Single „Fortsetzung Folgt“ noch schnell zum besten gaben.

Wie die Crew ist auch das Equipment im Lauf der Jahre ständig gewachsen. Tonnen Equipment müssen täglich durch die Gegend gekarrt werden, immense Organisationsarbeit ist zu bewältigen. In einem lOOseitigen Ringbuchheft, dem Tourplan, sind alle Details enthalten: Tag für Tag ist dort aufgeführt, wer die lokale Promotion durchführt, welches Hotel gebucht wurde, welche Verpflichtungen neben dem reinen Tour-Ablauf zu erledigen sind, wie groß die Entfernungen zwischen den Städten sind, welche Hallen-Besonderheiten beim Aufbau berücksichtigt werden müssen, wer vor Ort der Ansprechpartner ist, wann zum nächsten Spielort gereist wird und und und…

In den Flieger steigt man dabei nur selten; normalerweise reist der Troß mit Privat-PKWs. „Ein Tour-Bus für alle, wie ihn andere Bands bevorzugen, kam für uns nie in Frage. Dafür sind die Interessen in der Band viel zu unterschiedlich; außerdem ist so jeder einzelne flexibler“, hatte mir Kalau schon vorher verraten. Der neue Schlagzeuger Jürgen Zöller nimmt Schmal Boecker und Kalau mit, Bassist Steve Borg und Tastenmann Effendi Büchel fahren mit Major – und Wolfgang kutschiert mit Balou, damit Blondie auf dem Rücksitz genug Platz hat, um die müden Beinchen zu strecken. Blondie ist überall. Die Promenaden-Mischung mit den spitzen Ohren bekommt in Wolfgangs Oldenburger Garderobe von der Crew schon fürsorglich das Körbchen zurechtgemacht, als noch nichts von Herrchen zu sehen ist.

Erst nach und nach trudelt die Band im Werkskantinen-ähnlichen Catering-Raum ein. Schmal, der Gute-Laune-Spender der Band, nimmt sich gleich eine warme Mahlzeit (Rouladen mit Kartoffeln und Salat) zur Brust. Extrawürste bekommt bei BAP niemand gebrutzelt – und werden auch eh von niemandem verlangt.

Die dreiköpfige Catering-Crew hat einen angenehmen Job, auch wenn Beschwerden nicht ausbleiben: Schmal findet den Salat doch „reichlich geschmacksneutral heute“, ist mit der Tour-Verpflegung aber sonst zufrieden. „Nachmittags vor dem Soundcheck essen wir normalerweise unsere erste warme Mahlzeit“‚, erklärt er den Gourmet-Fahrplan.

„Das hat sich so eingebürgert, weil wir ja über Mittag immer unterwegs sind. Kurz vor Mitternacht, nach dem Konzert, gibt’s noch mal eine Gemüseplatte. Das reicht, um bei Kräften zu bleiben.“

Ein Blick auf die Uhr unterbricht unsere Unterhaltung: 17 Uhr. Ein fixer Termin im Tour-Tagesablauf: Soundcheck! Für die Band beginnt der Countdown zum abendlichen Auftritt, für die Crew die langersehnte Ruhepause. Seit morgens um neun stehen die Roadies nun schon in der Halle, haben zusammen mit den „Stagehands“ des örtlichen Veranstalters die Trucks ausgeladen, die Bühne aufgebaut, die PA aufgestellt, Kabel ausgelegt, die Scheinwerfer-Batterien zusammenmontiert, Instrumente aufgebaut und angeschlossen. Nun ist erstmal Ruhe, zieht sich die Crew ins Catering zurück.

Ein Stockwerk höher, oben auf der Bühne, läuft alles wie am Schnürchen. Saal-Sound-Mixer Hans „Fonz“ Wollrath, seit Jahren festes Bandmitglied, hat dieses Procedere mit „seinen“ Jungs schon zig mal durchgezogen. Nachdem der Opener „Stadt im Niemandsland“ einmal durchgespielt, Drums und Akustik-Gitarren-Sounds gecheckt sind, ist er zufrieden. Gitarrero Major hat sich für den Abend eine Überraschung ausgedacht: Bei seinem Solo in „Dat däät joot“ will er mit einem Hebekran, auf dem sonst Lichtkanonen in die Höhe gehievt werden, gen Hallendecke schweben. Ein paar Mal wird dieser – für BAP ungewöhnliche – visuelle Effekt geübt, bis Klaus die nötige Sicherheit für seinen Trapezakt hat.

Noch zweieinhalb Stunden bis zum Auftritt. Zeit genug, um sich in aller Ruhe ins Restaurant des gegenüberliegenden Hotels zurückzuziehen. Nach den im Packeis eingeschlossenen Walen und dem Hurricane in Nicaragua sind Schmal und Wolfgang irgendwann auch beim Thema Musik angelangt. „Ich war anfangs doch sehr verwundert, als wir mit DA CAPO wieder so großen Erfolg hatten“, meint Niedecken, öffnet eine Plastik-Milchdose und kippt den Inhalt in seinen Kaffee. „Aber wenn ich mir, wie gerade als Gastkritiker im MÜV, die Bänder mit den Neuerscheinungen so anhöre“, sinniert er und rührt geistesabwesend in seiner Tasse, „dann versteh ich unsere tollen Verkaufszahlen: Die Menschen haben nach einer Flut von dieser synthetischen Abwasch-Musik ganz einfach ein Bedürfnis nach handgemachten, echten Sounds.“

„Irgendwann bekommst du echt zuviel“, pflichtet ihm Schmal bei. „Die meisten Acts heutzutage klingen alle gleich, das ist so ausrechenbar. Als Erholung mußten wir uns anschließend noch mal die neue Keith Richards Solo-LP reintun.“

Die lockere Atmosphäre überrascht den Außenstehenden. Da sitzen Schmal und Wolfgang, die beide vor 18 Jahren an der FH Köln gemeinsam Freie Malerei studierten, so gemütlich beieinander, als wollten sie allenfalls noch irgendwo gepflegt eine Kneipe aufsuchen – und keinesfalls in einer halben Stunde vor 6000 Menschen auf die Bühne steigen. Besonders Wolfgang ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Als er auf dem Weg zur Halle noch von Fans angesprochen wird, gibt er in aller Ausführlichkeit Auskunft, schaut sich Fan-Fotos vom mittlerweile schon legendären „Werner“-Festival in Hartenholm an, gibt Autogramme, lächelt für ein Erinnerungsfoto in die Kamera, erklärt dies und das und marschiert anschließend mitten durch den Pulk Richtung Bühnentür.

19.59 Uhr. Tosender Jubel in der Halle. Die Fans zählen den Countdown ab: 5,4,3,2,1,0 – doch nichts passiert. Die Taschenlampe von Tourleiter Jacki Hildisch wandert über die sieben BAP’ler. Er will sich vergewissern, ob die Band vollzählig ist, greift dann erleichtert zum Telefon, um dem Hallenwart das Okay fürs „Licht Aus“ zu geben. Sofort ist es stockfinster.

Der Jubel wird stärker, Jacki saust ans Mikrophon, um eine seiner unnachahmlichen Ansagen loszulassen. Für die nächsten 210 Minuten, zwischen „Stadt im Niemandsland“ und dem Rausschmeißer „Wellenreiter“, gibt es für die Band und Publikum kein Halten mehr.

Zufriedenheit ist aus den Gesichtern abzulesen, als das grelle Saallicht die Konzertbesucher abrupt aus den Träumen reißt. Selbst Majors Kabinettstückchen hat geklappt.

Zehn Minuten nach der Show sitzt die Band im Catering-Raum zum Nachtessen. Von Erschöpfung keine Spur. Major: „Wir haben eine gute Mischung wischen ruhigen und schnellen Nummern. So können wir uns immer gut von den Uptempo-Songs erholen. “ Also ab in die Hotelbar, Feierabend.

Bar und Lobby des Hotels sind bereits mit Fans bevölkert. Niemanden stört das. Klaus unterhält sich eine halbe Stunde mit Ulrike, einer 20jährigen Gymnasiastin aus Cloppenburg, die zum ersten Mal bei einem BAP-Konzert war und es „ganz toll fand“. Irgendwie schon ein seltsames Bild: Da steht die Gruppe nachts um eins wie selbstverständlich an der Theke, um mit den Fans zu reden. Aber genau dieses macht wohl den Erfolg aus. Wenn die Kölner auf Tour gehen, ziehen Hunderte von Anhängern mit, sieht man Abend für Abend in den ersten beiden Reihen die gleichen Gesichter.

Tourleiter Jacki, der 300 Tage im Jahr on the road ist und sonst Acts wie die Einstürzenden Neubauten, die Toten Hosen, Nina Hagen und Herbert Grönemeyer betreut, hat Ähnliches noch nicht erlebt: „Es ist schon phantastisch, wieviele Fans mit Begeisterung die Tour begleiten. Für mich einmalig in Deutschland.“

Nachts um halb drei trifft auch die Crew in der Bar ein. Das Equipment ist verstaut. Nun genehmigen sich Backliner und Lichtmixer zusammen mit der Band – bei BAP ist es die Regel, daß Band und Crew gemeinsam trinken – einen letzten Schlaftrunk. Ab in die Falle.

9.30 Uhr am nächsten Morgen. Zum Frühstück bleibt kaum noch Zeit. Bereits um 11 muß die Band in einem großen Plattenladen im 60 Kilometer entfernten Bremen Autogramme geben. Die City ist wegen

eines Umzugs abgesperrt. „Hat gerade noch gefehlt“, knurrt Wolfgang.

Eine Stunde später ist er schon wieder besser drauf: Mehrere hundert Fans haben mit Postern, Platten und T-Shirts den Laden gestürmt. Selbst die Inhaber des Plattengeschäfts strahlen und bieten jedem der BAPs an, sich drei CDs kostenlos mitzunehmen. Wolfgang schnappt sich die neue U2, Tom Waits‘ BIG TIME und NEW JER-SEY von Bon Jovi, Schmal ebenfalls RATTLE AND HUM und die neuen Alben von Talk Talk und Crowded House. Effendi nimmt gleich den Back-Katalog von Crowded House mit, während Major fortan die CD von Jule Neigel und ihrer Band im Gepäck führen wird.

Für das bereitgestellte Büffet bleibt kaum noch Zeit: Um drei Uhr will man in Emden sein. Wolfgang und Schmal, die beiden Kunst-Spezis der Firma, haben sich eine Besichtigung von Henri Nannens Kunsthalle vorgenommen und zeigen sich später von den Werken moderner russischer Maler auch total begeistert. In dem verschlafenen Küstenort freut sich der BAP-Sänger auf einen „netten, ruhigen Abend“. Doch es sollte ganz anders kommen…

Punkt 18.50 Uhr geht im Regie-Raum der Nordsee-Halle eine Bombendrohung ein. Polizei rückt an, Balou bittet die 2000 Fans, die schon im Parkett stehen, die Halle wieder zu verlassen. Alles läuft ohne Aufregung ab, die Konzertbesucher warten in der Kälte eine dreiviertel Stunde vor der Halle, ohne daß ein lautes Wort fällt. Jacki kann später, als es dann losgeht, schon wieder Witze machen. „Ich bin schuld an der Geschichte“, spöttelt er bei der Ansage. „Heut nachmittag hab ich vorausgesagt: Das gibt bestimmt eine Bombenstimmung hier.“

Trotz Bombendrohung erleben die Leute ein Bomben-Konzert. Beim Zugaben-Song „Flüchtig“, dem Lied über den verstorbenen Schlagzeuger Pete King, setzen sich die 3500 wie in Trance auf den Fußboden und hören sichtlich ergriffen zu. „Das sind so Momente, die man nicht mehr vergißt“, schwärmt Major nachher.

Am nächsten Tag in Bremen steht prominenter Besuch ins Haus. Die Truppe des Circus Roncalli gehört seit langem zum Freundeskreis von BAP. Da die Roncallis just zu dem Zeitpunkt in Bremen gastieren, ist ein Besuch bei der Circus-Truppe natürlich Pflicht.

Zwei Tage später in Kiel hat sich erneut prominenter Besuch angesagt: „Werner“ Brösel, den BAP beim Festival in Hartenholm kennengelernt hatten. Und Brösel läßt sich nicht lumpen: Zum gemütlichen Flens-Trinken nach dem Gig hat er gleich eine komplette Kneipe für sie gemietet.

Am nächsten Mittag sind wir auf dem Weg nach Hannover. Endlich ein Day-Off, ein Ruhetag. Von dort geht es per Flugzeug nach Frankfurt, zurück nach Hannover, dann nach Hüdesheim, Kassel, Berlin, Zürich, Luzern und erneut nach Frankfurt. „Ab einem gewissen Punkt, wenn man voll im Tour-Trott ist, lebt man wie auf einem anderen Planeten“, sagt mir Wolfgang irgendwann in einer Hotelhalle.

Doch wenn die Jungs mit ihrer Musik die Leute zusammenführen, hat sich der Aufwand wohl gelohnt. Vor dem Konzert in der Frankfurter Festhalle schiebt Niedecken mir lächelnd einen Zeitungsabschnitt zu. Die Kontaktanzeige hat folgenden Text: „Hallo weibliches Wesen! Magst du BAP? Ich, m, 34 Jahre alt, 176 groß, 72 Kilo schwer, habe Karten für BAP und anderes mehr.“