Mit Genesis auf US-Tour:


Mit einer Lightshow, die alle bisherigen Dimensionen sprengt, durchkreuzen "Mamas" Lieblinge derzeit den amerikanischen Kontinent. Eine Gigantomanie in Glanz und Glorie, die aber - so traurig das ist - deutschen Fans vorerst vorenthalten bleibt. 1984 soll das Jahr von Solo-Projekten werden; erst 85 darf man Genesis wieder gemeinsam auf der Bühne erwarten. Um so glücklicher waren wir, daß Collins & Co. ME/Sounds als einziger Zeitschrift Gelegenheit gaben, die Tournee auf der Bühne, hinter den Kulissen und in ihrem Privatjet zu begleiten.

Rauch in riesigen Mengen, rhythmisches Stampfen, vermischt mit melodiösen Sphärenklängen. Langsam senkt sich ein pechschwarzes Sechseck, aus dem unablässig Blitze zukken, Lichtfinger herumtasten und Scheinwerfer-Batterien auf und ab schwenken, auf die Bühne herab…

Was hier klingt wie eine Schilderung der Landung von E.T.s Raumschiff, beschreibt in Wirklichkeit den Höhepunkt der neuen Show von Genesis. Als einzige Zeitschrift der Welt hatte ME/ Sounds Gelegenheit, die Tournee aus der Sicht der Musiker miterleben und fotografieren zu können.

Dabei hatte alles eher deprimierend begonnen. Als ich in der Autostadt Detroit lande und per Taxi zur Joe Louis-Arena düse, komme ich mir zunächst reichlich deplaciert vor. Die mir als Kontaktperson benannte Pressedame Cherryl läßt mich zunächst mal eine halbe Stunde lang in der riesigen, von emsiger Roadcrew-Geschäftigkeit erfüllten Halle schmoren.

Als Cherryl endlich wieder erscheint, schiebt sie mich in ein leeres Zimmerlein und raunt geschäftig: „Warte mal hier ne Sekunde!“ Nach 40 Minuten kommt sie wieder und sagt freundlich: „Du darfst mit Mike Rutherford und Tony Banks reden – eine Viertelstunde lang!“

Zum Glück kenne ich die Genesis-Musiker seit Jahren privat, hatte Mike auch mal daheim in seinem Landhaus in Surrey besucht.

Wild entschlossen setze ich mich also an jenen Punkt der Halle, wo früher oder später jeder vorbeikommen muß. Es dauert nicht lange, bis Manager Tony Smith auftaucht. Begrüßung, Shake-Hands. Er blickt in mein düsteres Gesicht: „Was ist los?“

Ich schildere ihm die Lage. Er reagiert genauso, wie ich es mir erhofft hatte: „Da muß etwas in der Kommunikation zwischen Europa und Amerika nicht geklappt haben. Ich werde das in die Hand nehmen.“

Mike und Tony Banks begrüßen mich wenig später ebenfalls wie alte Bekannte. „Natürlich kommst du mit uns auf Tour“, meint Mike. „Wir organisieren das schon.“ In der Tat. Schon wenige Stunden später befinden wir uns im Genesis-Privat-Jet auf dem Flug nach New York.

Im viermotorigen Flugzeug vom Typ Viscount sitzen neben den Bandmitgliedern die Tourneeleitung mit Manager Tony, Pressedame Cherryl; Tour-Manager Andy, Tour-Manager-Vize Malcolm und Lichtingenieur Alan – sowie die Freundinnen beziehungsweise Frauen der Musiker. Der Passagierraum ist eingerichtet wie eine luxuriöse Lounge: dicke Teppiche, tiefe Fauteuils und Sessel an den Wänden, Eßtische, Bar, Fernseher, Videorecorder.

„Nach dem Auftritt sind wir immer ziemlich aufgekratzt“, sagt Phil Collins, während er mit den Zähnen eine Flasche Whisky entjungfert. „Da ist so ein Privat-Jet genau das Richtige. Du kannst quatschen, saufen, etwas essen, ein bißchen rumalbern, ohne dich beobachtet zu fühlen.“

Das Rumalbern ist sein Ressort – nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Flugzeug. Irgendwann will er die schauspielerische Ader, die hinter seiner Theatralik steckt, auch professionell anzapfen. „Ich spiele mit dem Gedanken, in einem Film mitzuwirken“, vertraut er mir an, während er sich an seine Freundin Jill lehnt, die gemütlich vor sich hin strickt.

Michaela, die Frau von Gitarrist Darryl Stuermer, erzählt derweil von den ungemütlichen Seiten des Tour-Lebens. „Der Flug von Chicago nach Detroit war ein gräßliches Auf-und-Ab; hoffentlich erwischt es uns heute nicht wieder.“

Wir haben Glück: Kein „Schüttelfrust“ diesmal, auch die Landung ist sanft. Das ist nicht ganz selbstverständlich. Lionel Richie, so werde ich – Gott sei Dank erst später – erfahren, hatte mit demselben Flugzeug weniger Glück: Bei einer Landung knickte das Bugrad ein. Es durfte gebetet werden…

Die Rolls Royce-Motoren-betriebene Viscount, die mit zwei Piloten und der süßen, stets für kulinarische Köstlichkeiten besorgten Mary bemannt beziehungsweise „befraut“ ist, stellt den Hauptfaktor dar, mit dem Genesis das ebenso hektische wie eintönige Tournee-Leben zur Erträglichkeit kultivieren. Der Lufttransport gestattet es Band und Tournee-Kader, noch in derselben Nacht – die Limousinen karren die Stars unmittelbar nach den zwei Zugaben noch vor den Verkehrsstaus zum Flughafen – am selben Abend das Hotel am neuen Auftrittsort zu beziehen.

„So gewinnen wir mindestens einen halben Tag, an dem wir ausschlafen oder uns sonstwie beschäftigen können“, erklärt Mike die scheinbaren Jetset-Allüren. Bei einer 60-Konzerte-Tournee fällt dieser Luxus schon positiv ins Gewicht.

In den Tagen, da ich Genesis begleite, ist dieser Luxus sogar besonders wertvoll. Die Stadien in Detroit, Baltimore und New York beackert die Band nämlich von New York aus. Und dahin hat Mike Rutherford für einige Tage seine Gattin Angela (eine blitzgescheite und sehr fotogene Frau) sowie seine Kinder einfliegen lassen. Und da möchte er natürlich abends nach dem Gig wieder an den Busen seiner Familie sinken.

Da auch die anderen Bandmitglieder mehr oder minder beweibt sind, fällt der bei anderen Gruppen obligate nachkonzertliche Bar-Besuch bis in die Morgenstunden sowie sämtliches Geschäker mit Groupies ausschließlich ins Ressort der Roadies. Die haben allerdings meist nicht einmal Zeit dazu, weil sie nach dem Konzert voll damit beschäftigt sind, das Equipment in die fünf Sattelschlepper zu pressen, in nächtelanger Plackerei über die Highways zum neuen, Hunderte von Meilen entfernten Auftrittsort zu karren und dort die Geräte wieder aufzustellen.

Rund die Hälfte der mitgeschleppten Ausrüstung dient dazu, die Genesis-Konzerte ins richtige Licht zu setzen. Ein Wahnsinns-Aufwand! Aber Genesis betreibt ihn nicht, um im Guinnessbuch der Rekorde erwähnt zu werden, sondern um dem einzelnen Konzertbesucher zu dienen. Tony Banks: „In Hallen, wo manchmal mehr als 20000 Fans kommen, können die Zuschauer in den hintersten Reihen den Gesichtsausdruck der Musiker nicht mal mehr ahnen. Deshalb haben wir, als wir diese Tournee durch 60 amerikanische Sportstadien planten, Wert auf eine eindrückliche Lightshow im Sinne einer visuellen Brücke zu den weiter entfernten Besuchern gelegt.“

Bei Planung dieser Lichtarchitektur kam der Gruppe zustatten, daß sie schon seit über zehn Jahren eng mit der auf Beleuchtung und Beschallung spezialisierten Firma Showco in Dallas zusammenarbeitet. Mit dem Showco-Techniker Jim Bornhorse haben Genesis in mehrjährigen Versuchen eine unter dem Namen „Varilite“ patentierte Lampe entwickelt.

Diese Lichtquelle ist imstande, 60 verschiedene Farben auszustrahlen, wobei der Wechsel von Farbe zu Farbe in lediglich 0,1 Sekunden vollzogen werden kann. Zur selben Zeit kann Durchmesser und Intensität des Lichtstrahls beliebig variiert werden. Ein raffinierter Mechanismus sorgt für ferngesteuerte Drehbarkeit der Lampe auf jeder Achse um 360 Grad.

Die „Varilite“-Lampe zogen Genesis als Baustein für ihre neue Lightshow heran. Unter der Leitung von Licht-Ingenieur Alan Owen entstanden sechs mit insgesamt 200 „Varilite“-Lampen behangene, gleichseitige Dreiecke, die über der Bühne zu einem riesigen Sechseck zusammengepuzzelt werden.

Alan: „Der Aufbau kann nur in Hallen erfolgen, die über eine ausreichend robuste Decke verfügen, um die 30 Tonnen schwere, freischwebende Konstruktion zu tragen.“