Modern Talking


LAUNIG IST ER, DER DIETER BOHLEN. DAß MODERN Talking seit nunmehr zwei Jahren einen Freund hätten, verkündet er. Der hieße Harald Schmidt „und kennt wohl nur diesen einen Song von uns, den er aber in jeder dritten Sendung singt“. Es folgt ein falsettgewordener Kampfschrei, der den Refrain von „Geronimo’s Cadillac“ vorwegnimmt. So muß es klingen, wenn Hühner guillotiniert werden, ohne vorher gnadenhalber betäubt worden zu sein. Dem Publikum gefällt’s, daß Bohlen und Anders erst einmal ihre alten Hits runternudeln. Der untersetzte Mann neben mir, stadtfein im weinroten Sat 1-Gameshow-Moderatoren-Jackett, kann seine Freude kaum zügeln und macht den Tanzbär. Seiner Gattin scheint das irgendwie peinlich zu sein – trotz aufmunternder Gesten seinerseits zieht sie nicht so recht mit. Apropos Publikum: Der tanzende Nerd ist eher die Ausnahme. Und wer glaubt, zu Modern Talking kämen nur Hausfrauen – oder generell immer „die anderen“-, sieht sich getäuscht. Jene Menschen, die das Münchner „Zenith“ nahezu vollständig füllen, trifft man auch bei „Rock am Ring“ und vielleicht sogar bei den Rolling Stones – selbst wenn das einige gar nicht gerne lesen.

Wie dem auch sei: Wenn Bohlen und Anders ihre größten Erfolge zum besten geben, darf natürlich die „Cheri, Cheri Lady“ nicht fehlen. Dada-Durchfall erster Ordnung, der immer noch seiner deutschen Übersetzung harrt. Cheri als weibliche Form von Liebling? Dann wär’s falsch geschrieben. Also doch „Kirsche, Kirsche Dame“? War‘ auch falsch geschrieben, beflügelt jedoch die Phantasie. Wie wär’s mit „Apfel, Apfel Bube“? Oder für den, der’s noch kryptischer mag: „Artischocke, Artischocke Unteroffizier“. Auch „Atlantis Is Calling“ kommt an die Reihe, ein Song, dessen Video-Clip ich seinerzeit nie kapiert habe. Vor allem nicht, warum jene Sequenz zu sehen war, in der ein Röhrenradio in die Luft gesprengt wurde. Egall Denn nach dem Best Of-Programm kommt der erste Song vom neuen Album, der so klingt, als sei er der letzte vom ersten oder der vierte vom dritten. Kompositorisches „Malen nach Zahlen“, das sich in aller Wucht und Schlichtheit offenbart, wenn man mehrere Modern Talking-Songs in Folge hört. Irgendwie paßt der Refrain zu „Atlantis“ in jeden Song. Und was der arme Schlagzeuger da zu trommeln hat, beherrschen auch jene wunderbaren Rhythm Sections, die seit den frühen Siebzigern in jede bessere Heimorgel installiert sind. Bohlen verläßt während der Show die Bühne. „Nicht, daß irgendjemand glaubt, wir hätten uns wieder zerstritten“, scherzt Anders. Was folgt, ist vielmehr seine Solosektion, für die ein elektrischer Flügel auf die Bühne gekarrt wird. Dieser Part ist hart. Aber da muß man durch. Doch als schließlich noch Bohlens Solowerke angekündigt werden, bricht sich der bislang in Schach gehaltene Fluchtinstinkt zu guter Letzt doch seine Bahn.