Monsters of rock


Leichen pflasterten meinen Weg. Bierleichen, um genau zu sein, die sich oft nur mit Mühe auf den Beinen halten konnten oder gleich umfielen und ihren Rausch an Ort und Stelle ausschliefen. Wo man auch hinsah, in Karlsruhe wie in Nürnberg, hatte König Alkohol seine Spuren hinterlassen und etliche Opfer gefunden. Und die pralle Sonne tat ein übriges. Viele mußten passen, noch ehe das Fest richtig begonnen hatte.

Einmal im Jahr hat die Hard ’n‘ Heavy-Gemeinde allen Grund zum Feiern und Saufen: it’s monstertime. das bedeutendste Open-air in hiesigen Breiten öffnet seine Tore. Aus dem Versuch des letzten Jahres ist längst eine wichtige Institution geworden, eine Art Wallfahrtsort und Volksfest für Headbanger, Metal-Freaks und Karawanen fliegender Händler, die alle mit dem nötigen Zubehör versorgen. Es war wie eine Völkerwanderung, aus allen Ecken der Republik waren sie angereist und belagerten die Bühne. Man sprach von 50000 Besuchern am ersten und 40000 am zweiten Tag. Karlsruhe Das Wildpark-Stadion, erster Schauplatz der Schlacht um Watt und Phonzahlen, glich auf den ersten Blick einer Wagenburg; ganze Blechlawinen schoben und stapelten sich auf den umliegenden Parkplätzen. An den Eingängen sah es nicht anders aus: Auch hier mußte man sich erst über Büchsen- und Becher-Berge ins Stadion vorarbeiten.

Schon von weitem dröhnten einem die amerikanischen Teufelsknaben Mötley Crüe mit ihrem „Shout At The Devil“-Hardrock entgegen. Für sie war es der erste Abstecher nach Europa überhaupt. Wie eine Schar bunter Vögel, wie Rock n‘ Roll-Komödianten, die Parodien lieben, sich gern verkleiden und auch musikalisch nicht unbedingt kleckern, wirkte ihre exzentrische Show.

Brechstangen sind für Accept, die sympathischen Mannen um Blondschopf Udo Dirkschneider, einfach kein Thema. Sie spielten mit Köpfchen, intelligent und witzig zugleich. Es machte Spaß, ihnen zuzusehen, zu entdecken, welches Format in dieser Band steckt. Selbst wenn ihr Auftritt unter Sound-Problemen zu leiden hatte.

Ein bombastisches, allzu langes Intro aus den riesigen Lautsprecherwänden eröffnete den Set des irischen Gitarrenvirtuosen Gary Moore und seiner Band – in der Ex-Roxy Music-Drummer Paul Thompson erst zum dritten Mal auf dem berühmten Stuhl saß. „Rockin‘ Every Night“ hieß ihr simples Motto nach dem gleichnamigen Song. Artistische Kabinettstückchen sind von jeher Garys Gebiet – und so ließ er denn auch seinen flinken Fingern auf allen sechs Saiten freien Lauf, ohne allerdings durch einen prägnanten Stil völlig überzeugen zu können.

Die Krone des besten, ausdrucksstärksten Sängers gebührt ohne Zweifel dem kleinen Ronnie James Dio. Was dieser Mann in den Lungen hat. versetzt Berge und die Zuhörer in Begeisterung.

Madman Ozzy Osbourne konnte sich freuen: Ronnie hatte vor ihm bereits ganze Arbeit geleistet. Die „Fledermaus“ unterstrich aber auch aus eigener Kraft, daß er zwar nicht die größte Stimme besitzt, doch dafür als singender Entertainer mit einer Klasse-Band zu den wenigen Großen zählt.

Und dann kamen sie, die heimlichen Favoriten vieler Besucher. Van Halen. Und – sie gingen auch wieder. Dazwischen lag das Konzert einer mittelmäßigen Band, die

ihrem weltweiten Ruf – trotz Hits wie „Jump“ oder „Pretty Woman“ – nur in Ansätzen gerecht wurde. Man fühlte sich regelrecht nach Hollywood versetzt, so brilliant und berechnend dominierte David Lee Roths Solo-Performance die Musik. Von „Stromausfair (ME-Sounds 9/84) kann nach dieser Vorstellung niemand mehr sprechen. AC/DC, die so oft Gescholtenen und Geschmähten, glänzten in jeder Phase durch eine klug inszenierte Rock Dramaturgie alter Schule. Sie waren mit Recht die Headliner.

Nürnberg Mötley Crüe mühten sich an diesem Tag redlich und nicht einmal schlecht. Immer wieder versuchten sie mit allen erlaubten Mitteln, Stimmung ins träge Publikum zu bringen. Doch eine halbe Stunde Spielzeit als opening act ist eine undankbare Aufgabe und einfach zu wenig, um mehr als nur bescheidenen Applaus zu ernten.

Die Probleme waren behoben, Accept konnten endlich so zur Sache kommen, wie sie es sich vorstellten. Bewunderswert war, mit welcher Überzeugungskraft diese Band solides Handwerk und kompakte Songs zu einem Ganzen verbindet, das auch den letzten Zuschauer im Stadion erreichte. So soll Hardrock sein!

Gary Moore ging mit seiner Gitarre diesmal etwas sparsamer, gezielter und am Ende effektiver um.

Seine Soli kamen plaziert, genau au1 den Punkt, und verfehlten dabei nicht ihre Wirkung. Über Dio noch weitere Worte zu verlieren, erübrigt sich. Er und seine hervorragende Band hielten mühelos den Level des Vortags.

Ähnliches trifft auch auf „Old Ozzy“, den Schrecken unzähliger Mütter, zu. Nur daß ihm Gitarrist Jake E. Lee mit seinem Spiel das Leben schwermachte und mehr als einmal die Show stahl.

Ein Tänzchen gefällig, eine Pose, eine Story? Van Halens Sirene wußte auf alles eine Antwort. Dies war sein Tag, seine Show. Er zog alle Register seiner Schauspielkunst, mimte den Sexbolzen, den Erzähler, den Unwiderstehlichen, während Eddie und die anderen ihn begleiten durften.

Der glorreiche Einfall, ihre Show per Kameras auf eine große Leinwand über der Bühne projizieren zu lassen, verstärkte den insgesamt vorzüglichen Eindruck, den die Stromexperten hinterließen, noch um einiges. Ihnen blieb es vorbehalten, das Festival würdig zu beenden.

Sicher werden einige die Krawalle, die Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen, von denen beim Heavy Metal stets die Rede ist, in diesem Bericht vermissen. Doch denen sei gesagt: Das Festival endete, wie es angefangen hatte: friedlich und ohne Verletzte.