Morrissey London,Roundhouse


Der furchtloseste Entertainer der Welt wehrt sich mit kauzigen Sprüchen, grandiosem Rock'n'Roll und feinen neuen Songs gegen die jüngsten Anfeindungen.

Gerade haben sie Morrissey mal wieder böse in die Pfanne gehauen. In einem Interview mit dem New Musical Express – zu Lebzeiten von The Smiths eine Postille mit Tiefgang und nachgerade militantem Sozialgewissen – hatte er sich einmal wieder zu einem seiner Lieblingsthemen geäußert, nämlich zu den Veränderungen, die England seit den 50er Jahren durchgemacht hat. Der NME drehte die Einlassungen so zurecht, dass man sich in einem hysterisch angehauchten Editorial über die „rassistischen“ Neigungen des Künstlers echauffieren konnte. Blanker Unsinn natürlich – Morrissey hat nun Klage wegen Diffamierung gegen den NME eingereicht. Heute, beim ersten von sechs ausverkauften Konzerten im Roundhouse, demonstriert er seine tatsächlichen Ansichten, indem er die Organisation „Love Music Hate Racism“ eingeladen hat, einen unübersehbaren Informationsstand am Eingang einzurichten. Später beim Konzert fordert er zwischendrin das Publikum dazu auf, beim nächsten Song besonders gut hinzuhören – es folgt als kapitale Fuck-You-Geste eine furiose Version von „National Front Disco“. Gut so! Der Mann scheut auch im reifen Alter von 48 Jahren noch nicht vor einer Konfrontation zurück, wenn es seine Muse verlangt. Natürlich aber predigte der Meister an diesem Abend vor lauter ergebenen Jüngern. Gekleidet im Stil eines Buchhalters in mittleren Jahren und umgeben von Boz Boorers ganz in Schwarz gekleideter Musikantengang (Drums, zwei Gitarren, Bass, Tasten), schlägt Morrissey nach einer drolligen Begrüßung – „Good evening, West Ham!“ mit einem brachialen „How Soon Is Now“ los. Dazu windet und renkt er sich mit grotesk übertriebenem Körperpathos und liegt schließlich mit in die Höhe gereckten Beinen vor dem Schlagzeug. Er sieht aus wie die leibgewordene Todesszene aus einem spätromantischen Gemälde. Das Panorama der nachfolgenden zwanzig Songs reicht von Songs der Smiths wie „Stretch Out And Wait“ und „Stop Me If You Think You’ve Heard This One Before“ über allerhand Solo-Evergreens bis hin zu einer Handvoll neuer Stücke. Von diesen zeigen „Mama Lay Softly On The Riverbed“ mit seinem militärisch angewehten Drum-Finale sowie das wüste, klaustrophobische „Something Is Squeezing My Skull“ besonders deutlich, dass Morrisseys kauzige Imagination trotz leichtem Ansatz von Bierbauch noch kein Fett angesetzt hat. Ungefähr zur Halbzeit des Konzertes kredenzt das unterdessen gnadenlos swingende Ensemble eine Abfolge von Songs, deren Kombination von literarischem Wortwitz und animalischer Rockkraft den Morrissey’schen Genius perfekt umreißt: Das erwähnte „National Front Disco“, gefolgt von „Death Of A Disco Dancer“, gefolgt vom dreckigen „Life is a Pigsty“, gefolgt von „The Loop“ – abgeschlossen mit dem herrlichen „Billy Budd“. In den Worten des offiziellen T-Shirts zur Veranstaltungsreihe: „This is Morrissey’s Town – We Only Live In It“. »>www.morrisseymusic.com