Mother’s Finest


Als Mother's Finest im Frühjahr in der "Rockpalast'-Nacht ihre Europa-Premiere feierten, konnte man über den Äther nur streckenweise erfahren, was für eine Gewalt in dieser Gruppe steckt. Nun war das gemischte Sextett aus Atlanta, der Hauptstadt von Coca Cola, erneut in Europa, um auf dem Pink Pop-Festival in Holland und anschließend in Nijmegen zu spielen. ME-Mitarbeiter Wolfgang Freund schaute zu.

Der Ruf einer neuen schwarzweißen Supergroup eilt ihnen voraus. Allerdings erst seit jener „Rocknacht“ des WDR. Nun macht auch die Plattenfirma mächtig Wirbel für eine Gruppe, deren Produkte sie ursprünglich gar nicht veröffentlichen wollte. Deshalb standen auch viele Plattenkäufer nach dem deutschen TV-Auftritt von Mutters bestem Stück vor leeren Regalen. Denn mit allem hatten die Herren in den Direktionsetagen von CBS gerechnet, bloß nicht mit einem Mother’s Finest-Boom. Jetzt aber powert die Firma, ist schon wieder von einer Überband die Rede, der Gruppe des Jahres, dem heißesten Act Amerikas. Was ist dran an solchen Superlativen? Rollen wir die Geschichte am besten ganz von vorne auf.

Das Histörchen von Mamis Lieblingen liest sich klassisch. Joyce Kennedy, heute nicht nur optischer Mittelpunkt der Gruppe, hatte löjährig in ihrer Geburtsstadt Chicago einen lokalen Hit. Ihr damaliges Vorbild waren Sly & The Family Stone, die zwischen New York City und San Francisco mit einer Mischung aus Rock und Soul, verbunden mit einer urgewaltigen Bühnenshow, Amerikas Stadien und Arenen zum Platzen brachten. Nun, dieser kleine lokale Hit gab Joyce genügend Feuer, der ganzen Angelegenheit einen professionellen Touch zu geben. Also überredete sie ihren damaligen Liebhaber Glenn Murdock, seine Band aufzugeben, um mit ihr aufzutreten. Zuerst heirateten die beiden jedoch. Dann gingen sie zur Truppenbetreuung nach Fernost, wo sie die Soldaten an der vietnamesischen Front auf andere Gedanken bringen sollten.

Zurück in den U§A, hatten sie genug davon, immer nur als Duo aufzutreten, und jetzt konnte es mit Mother’s Finest endlich losgehen. Aus allen Teilen Amerikas holten sich Joyce und Glenn ihre Musiker, um dem Konzept von Mother’s Finest eine möglichst breite Grundlage zu geben. So kommt Schlagzeuger Barry Borden aus dem vielbesungenen Chattanooga in Tennessee, wo eigentlich mehr Hillbillies regieren, denn Funks oder Rocker. Lead-Gitarrist Gary Moore stammt aus Dayton, Ohio. In dieser Gegend steht die Wiege des urbanen amerikanischen Rocks. Detroit liegt gleich um die Ecke. Bassist Jerry Seay ist ein echter „Rothals“ (Redneck) aus Miami, Florida, wo Musiker und Gruppen derzeit am liebsten ihre Platten aufnehmen, weil’s dort so schön langweilig ist, man arbeiten kann und auf keine dummen Gedanken kommt.

Als Quintett probierten Mother’s Finest ihr Konzept zunächst in Clubs aus, wo sie zwar ursprünglich nur für eine Woche gebucht waren, man sie meistens aber erst nach vier Wochen wieder gehen ließ. Vor allem in den Südstaaten war ein spürbares Mother’s Finest-Fieber ausgebrochen. Also zog die Gruppe nach Atlanta, Georgia, in die Stadt, in der Kultur und Kommerz auf einen Nenner gebracht wurden. Dort trafen sie auch ihren heutigen Keyboardmann Michael Keck. So viel zur Geschichte, und zurück nach Holland.

Gehen wir in die Stadthalle (oder war es die Turnhalle, oder gar der Kongreß-Saal?) von Nijmegen, wo Mother’s Finest am Tag nach dem Pink Pop-Festival für einen Auftritt gebucht waren. Vom Tonband rattert eine Perkussionssalve. Leise schleichen sich Mother’s Finest auf die Bühne. Die Holländer sind aus dem Häuschen. Vorschußlorbeeren sind immer gut! Das Licht geht an, der Countdown beginnt.

Hinter der Bühne machte Joyce noch einen weiblichen, zierlichen und mütterlichen Eindruck. Das hat aber am Bühnenrand ein Ende. Jeder Quadratmillimeter ihres gutgebauten Körpers scheint zu vibrieren. Joyce wird zum Tier, streckt ihre Krallen aus und greift an. Die mehrstimmigen Gesangsparts stehen wie Säulen im Raum. Barry Borden, der Drummer rattert mit Wizzard, dem Bassisten (the meanest bass west of Moscow…) einen Donner rhythmus herunter, daß es einen aus den Schuhen weht. Und wennn man denkt, jetzt gibt es eine Atempause, dann bläst Moses Mo einen Gitarrenriff ins Publikum, für das ihm Ted Nugent bestimmt die Füße küssen würde. Die Reaktion des Publikums ist entsprechend. Gestandene Mittzwanziger benehmen sich wie Teenies bei einem Rollers-Konzert. Mit „Hard Rock Lover“ steigt das Thermometer noch um ein paar Grad. Endlich eine kleine Verschnaufspause mit „Thank You For The Love“. Die war nötig, denn bei „Dis Go Dis Way Dis Go Dat Way“ steht das ehrwürdige Gemäuer in Nijmegen in Flammen. Zugabe, Zugabe, Zugabe. Die da oben lassen sich nicht lumpen, doch plötzlich ist die Show zuende und keiner geht nach Hause… So ist’s eben in Holland!

Hinter der Bühne entpuppt sich Joyce dann wirklich als die Mutter der Band. Sie dirigiert Manager und Roadies; sogar die kleinen Röllchen werden versteckt gequalmt, denn Mutter Joyce ist dagegen! Selbst den Speiseplan – streng vegetarisch – kontrolliert sie; Käse, Karotten, Tomaten – runtergespült mit Orangensaft – der tägliche Vitaminstoß, der die Explosivität von Mutters besten Musikern erhalten soll. Vergessen wir all den Quatsch mit der Supergruppe etc. Mother’s Finest sind ein Rockereignis, der Song „Fire“ auf ihrer Debut-LP ist so mit das heißeste, was je in Vinyl gepreßt wurde, und wenn sie mal wieder nach Deutschland kommen, dann sollten wir alle hingehen. Ok?