NEIL YOUNG & CRAZY HORSE


Neil Young zaubert mit seiner ewigen Begleitband Momente purer Magie ins weite Rund des Amphitheaters.

Der etwas untersetzte, ergraute Herr aus England mit der Brille hat offensichtlich viel Spaß. Er tanzt, ab und zu lässt er sich zu einem Johlen hinreißen, und er besticht beim Mitsingen durch ein hohes Maß an Textsicherheit, während seine Begleitung, mutmaßlich die Tochter, eher cool daneben steht. In den Pausen zwischen den Liedern orakeln die beiden, was denn wohl als Nächstes kommen wird. „Hurricane?“, fragt er, der stramm auf die 60 zugeht. „Nein“, antwortet die Mittzwanzigerin, „Hey Hey, My My“.

Sie hat recht, sie hat immer recht. Es ist auch nicht so schwer, recht zu haben beim Liederraten in der Waldbühne Berlin. Weil in der Kakophonie aus Feedback und Lärm und atonalen Interludien, die Neil Young & Crazy Horse vor ihren Songs entfachen, die Hinweise versteckt sind. Die Tonart, die Stimmungen der Gitarren, das mikroskopische Fragment eines Riffs.

Es ist das erste Konzert der „Alchemy“-Europatournee von Neil Young und seiner ewigen Begleitband, der Begleitband, zu der er seit Ende der 60er-Jahre immer wieder zurückfindet, die seinem zaghaften Folkrock das Donnergrollen beigebracht hat und mit der er ein Dutzend Lieder für die Ewigkeit aufgenommen hat. Auch dieser graufeuchte Abend lebt von dem blinden Verständnis dieser vier limitierten Musiker, die beinahe jeden Song in einer Wand aus Noise auflösen, bevor das letzte Quäntchen Feedback sich im grauen Himmel auflöst.

Einmal fragt Neil Young: „Wird es denn hier niemals dunkel? Das ist unglaublich!“ Tatsächlich ändert der fahlgraue Himmel sein Erscheinungsbild nicht, selbst der Regen hat für zwei Stunden seinen Betrieb eingestellt an diesem, nun ja, Sommerabend. Es ist so, als wäre für die Dauer des Auftritts die Zeit stehen geblieben, als wollte die Natur ihren Respekt bekunden, vor dem, was Neil Young (67), Bassist Billy Talbot (69), Schlagzeuger Ralph Molina (drei Wochen vor seinem 70. Geburtstag) und der zweite Gitarrist Frank „Poncho“ Sampedro (64) hier aufführen.

In einem kurzen Solo-Akustik-Set handelt Young die 60erund 70er-Jahre ab, oder besser: ihr Klischee. Sein „Heart Of Gold“ trifft Bob Dylans „Blowin‘ In The Wind“, 50 Jahre verlorene Hippieträume, Lagerfeuerbeschallung und Gitarrenunterricht im Schnelldurchlauf. Beim unveröffentlichten „Singer Without A Song“ läuft ein Mädchen mit Gitarrenkoffer zwischen den Musikern auf der Bühne umher. Soll das die Karikatur eines Showeffekts sein oder daran erinnern, dass Neil Young auch immer eine feste Bank in Sachen Geschmacksunsicherheit ist? Die Einlage bleibt rätselhaft, aber wenigstens hat er nicht „Mother Earth“ gespielt.

Auf dem Nachhauseweg, noch die Zeile „I wanna love you but I’m getting blown away“ im Ohr, die Wunschsetlist im Geiste durchgegangen. Viele Songs wurden nicht gespielt an diesem Abend. Gefehlt haben sie nicht.

SETLIST

Love And Only Love

Powderfinger

Psychedelic Pill

Walk Like A Giant

Hole In The Sky

Heart Of Gold

Blowin‘ In The Wind

Singer Without A Song

Ramada Inn

Cinnamon Girl

F*!#in‘ Up

Mr. Soul

Hey Hey, My My (Into The Black)

Like A Hurricane