Nektar packt die Koffer


Nektar waren das zweite Mal auf US-Tournee , und diesmal haben sie beschlossen, gleich drüben zu bleiben. Bevor sie endgültig siedeln, gibts natürlich noch einiges zu erledigen. Aber im November machen sie sich startklar. Nach einer ausgiebigen Konzertreise durch Japan und Australien reisen sie direkt nach Amerika. Ein großer Schlag für viele deutsche Nektar-Fans. Wie es scheint, ist dieser Schritt t unvermeidlich.

ME traf den Bassisten Derek Moore, kurz Mo genannt, nach dem Festivalauftritt in Düsseldorf. Er hat die Entscheidung offenbar noch gar nicht richtig verdaut.

Mo: „Ich kann mir kaum vorstellen nicht mehr hier zu leben. Ich wohne jetzt seit fast zehn Jahren in Deutschland und Ron (Howden, der Drummer) genauso. Roy (Albrighton) und Mick (Brockett, der Lightshow Mann) leben jetzt annähernd sechs und Taff (Freeman), unser Organist, inzwischen auch schon acht Jahre hier. Aber es bleibt uns gar keine andere Wahl. Es ist für uns viel einfacher, wenn wir in Amerika wohnen, nach Europa zu kommen. als wenn wir hier leben würden und immer in die Staaten müssten. Das ist einfach zu teuer. Steuerliche Gründe sind an sich hier zweitrangig, obwohl sie auch eine Rolle spielen. Außerdem können wir in Deutschland echt nicht mehr existieren. Die Gegend, die wir benötigen, um unseren inzwischen unheimlich angewachsenen Apparat erst einmal in Bewegung zu setzen, kann hier so gut wie niemand bezahlen. Unsere Bühnenabmessungen betragen ganze 23 Meter, und welche deutsche Halle, die wir auch voll kriegen würden gibt es da? Deshalb werden wir, wenn überhaupt, nur drei bis vier Gigs in England annehmen, weil es uns auch da schwer fällt uns über Wasser zu halten. In den USA ziehen wir voraussichtlich an die Ostküste, weil es dort die meisten Manager, Agenturen und vor allem Auftrittsmöglichkeiten gibt. Drüben kommt eben zuerst die Musik, und erst dann alles andere hinterher.“

ME: Wie wird denn eure Abschiedstour hier ablaufen?

Mo: 2Das wird schwer werden. Nicht nur wegen der Finanzen… selbst wenn wir bei dieser Tour draufbezahlen müßten, würden wir es machen. Die Leute hier haben uns so lange unterstützt und die Treue gehalten, daß wir es ihnen einfach schuldig sind. Sie standen immer hinter uns, und dieses Gefühl ist für eine Band das Wichtigste. Mit dem Transport wird es auch Schwierigkeiten geben. Heute abend müßten wir uns von James Last den LKW ausleihen, weil in unserer Größenordnung hierzulande kein geeigneter Truck zu finden ist. Wir wollen die Tour aber auf jeden Fall durchziehen. So etwa zwei bis drei Wochen wird sie dauern. Das soll endlich mal eine große Deutschland-Tournee werden. Wer weiß, ob wir es uns später noch erlauben können, in Europa zu spielen!“

ME: Auf dieser Tour Ende September, Anfang Oktober werdet ihr bestimmt auch eure neue Lightshow vorstellen. Jedesmal, wenn man euch trifft, redet ihr davon, noch bessere Dinge anzuschaffen. Inzwischen habt ihr irre Effekte auf der Bühne, die visuell kaum noch zu übertreffen sind. Könnt ihr es euch denn leisten, den ganzen Apparat noch aufwendiger und umfangreicher zu gestalten? Eure Plattenumsätze müßten sich ja verdoppeln, damit ihr eure neuen Pläne verwirklichen könnt.

„Wir wissen, was wir wollen“

Mo: „Irgendwo stimmt das wohl und im Moment läuft es auch nicht sooo wahnsinnig gut, weil wir eben jeden verdienten Pfennig wieder investieren. Jede Mark wird direkt wieder in die Band gesteckt. Wir wissen, was wir wollen, und das wollen wir in jedem Fall auch verwirklichen. Wir haben von Anfang an versucht, den Leuten, die für uns bezahlten, unser Bestes zu geben. Unsere Preise werden künftig wahrscheinlich etwas höher liegen, dafür werden wir ihnen aber auch viel, viel mehr bieten als bisher. Das Publikum ist ja ebenso ein Teil des Ganzen .. . Wir wollen jedenfalls so weit sehen, wie wir können. Wenn du fest an deine Musik glaubst, und das tun wir seit jeher, dann ist das Risiko der Schulden irgendwie leichter zu tragen. Ich bin jetzt elf Jahre Profimusiker und habe von kleinen Army-Clubs bis hin zu den großen Hallen überall gespielt. Irgendwann kommt einmal der Punkt, an dem du dich entscheiden mußt: Entweder du spielst deine Musik mit allen Vor- und Nachteilen oder du fängst irgendwas anderes an.“

Da ist was dran! Diese Risikobereitschaft, das konsequente Hinterder-Musik-Stehen, ist vielleicht etwas, was speziell deutschen Gruppen noch fehlt. Ohne diese Bereitschaft wird es nur in den seltensten Fällen möglich sein, professionell und im richtigen Rahmen zu arbeiten – sich praktisch auf dem geeigneten Tablett zu servieren! Nektar übt sich schon seit Jahren darin, und es verwundert heute kaum noch jemanden, wenn sie zu den eindrucksvollsten und perfektesten, Live-Bands in Europa gezählt werden.

Die neue LP

In den nächsten Wochen wird in der Nähe von Paris Nektars neues Album aufgenommen. Es wird wieder ein Konzept-Album mit dem Titel „Recycled“. Speziell bei ihrem zweiten USA-Aufenthalt stießen ihnen die graue Betonlandschaft, die schlechte Luft und alle anderen Dinge, die wachsende Zivilisation mit sich bringt, bitter auf. Plötzlich ahnten sie, wie gut es ihnen in ihrem bisherigen Domizil auf dem Lande in der Nähe von Darmstadt geht. Oder wie Mo es ausdrückt: ,New York ist ja eigentlich eine Insel. Eine Insel, die an sich sogar schön sein soll. Und wenn du dann siehst, wie es dort ausschaut, und bedenkst wie es früher ausgesehen haben muß …“ Die meisten Songs für die Platte schrieben Nektar in amerikanischen Hotelzimmern, immer in greifbarer Nähe ihres Themas.

Für Nektar bedeutet der Umzug einen großen Schritt in eine hoffentlich noch bessere Zukunft; für andere deutsche Gruppen eventuell eine Ermutigung, dem Beispiel zu folgen. Zumindest aber die Hoffnung, daß sich drüben einige Leute künftig auch auf deutsche Rock-Bands besinnen. Dort scheinen nämlich die meisten Nektar für eine deutsche Gruppe zu halten. Und waren sie’s denn nicht lange Zeit?