Neon Indian ist ein vergängliches Forschungsobjekt


Nostalgie mit Zukunft: Alan Palomo aka Neon Indian ist Überlebender eines Lo-Fi-Pop-Hypes, den er selbst mitbegründet hat.

Ach Nostalgie, du Geheimwaffe des Pop! Für die einen ist sie Flucht, für die anderen Verklärung. Für Alan Palomo alias Neon Indian ist sie vor allem Forschungsobjekt: „Ich denke sehr viel über Erinnerungen nach. Wie sie sich verändern, wie instabil sie sind. Als ich in meiner Studenten-WG in Texas zu produzieren begann, habe ich zunächst einen alten Vierspur-Rekorder verwendet. Mit der Zeit fand ich heraus, dass Magnetbänder ähnlich funktionieren wie das Gedächtnis. Je öfter du sie abspielst, desto stärker verändert sich die darauf gespeicherte Information“.

Aus der Beobachtung wurde eine Technik. Der Kunststudent mit mexikanischen Wurzeln begann, die Geschwindigkeiten seiner Songs zu manipulieren und begründete damit eine Sound-Ästhetik, deren Ergebnis weit über den üblichen Vintage-Effekt des Tape Recordings hinausreicht. Der halluzinierende Electro-Pop auf dem Debüt von Neon Indian, PSYCHIC CHASMS, trägt in sich ein Sound gewordenes Bewusstsein von Vergänglichkeit. Es ist ein Leiern das klingt, als hätte man eine Musikkassette zu lange in der Sonne liegen lassen.

Allerdings sträuben sich diese Fixpunkte der verzerrten Erinnerung nicht gegen den leicht verdrogten, einlullenden Effekt der Musik. Im Gegenteil: das Leiern wird zum stabilisierenden Loop und so zum Stilelement. Neon Indian steht exemplarisch für einen psychedelischen Halbschlaf Pop, der von Bloggern mit Namen wie Chillwave und Glow-Fi bedacht wurde.

Während sich Gitarrenbands wie Best Coast, Cults und The Drums an den klassischen Nostalgievorgaben des 60s-Surf oder Girlgroup-Mustern orientieren, schließen Chillwave-Acts wie Washed Out, Memory Tapes, Toro Y Moi und Neon Indian die Vergangenheit mit der Jetztzeit kurz. Die Säulenheiligen dieser Lo-Fi-Elektronik-Schule hören auf Namen wie Ariel Pink und Animal Collective. „Für meine Generation sind diese Acts richtungsweisend“, so Palomo. „Die Idee, einen Captain Beefheart mit Minimal Techno zu fusionieren, so wie das Animal Collective gemacht haben, ist einfach genial!“

Dass Chillwave als Subgenre bereits nach wenigen Monaten von jenen Blogs für tot erklärt wurde, die den Trend überhaupt erst ausgerufen haben, liegt in der Natur der Hipster. Und wie es sich für einen zeitgenössischen Künstler gehört, distanziert sich Palomo im Interview dann auch pflichtschuldig von jeglicher Genrezuschreibung. Für eine Trendleiche erfreut sich der verwaschene Stil des Chillwave aber ohnehin noch bester Gesundheit. So finden sich Spurenelemente dieses Sounds in den aktuellen Releases etablierter Bands wie Beach House und Yeasayer.

Aber Neon Indian ist schon weiter. Von Texas nach Brooklyn gezogen hat Palomo das Lo-Fi Bedroom Equipment gegen ein echtes Studio getauscht, mit seiner Band an einer Live-Umsetzung des Songmaterials gearbeitet und gemeinsam mit Indie Größen wie Chris Bear von Grizzly Bear produziert. Der Neon Indian Sound klingt im Wesentlichen jedoch immer noch so, wie ein ausgebleichtes Polaroid-Foto aussieht. Nicht ohne Grund: „Mein Vater war Anfang der 80er ein richtiger Popstar in Mexiko. Sein Stil? Hall & Oates! Als wir später nach Texas gezogen sind, hat er mir einen Oberheim-Synthie geschenkt, wie er ihn selbst gespielt hat. Da war es um mich geschehen.“ Aber auch das sind äußerst instabile Erinnerungen, wie Palomo lachend zugibt.

1988

– Alan Palomo wird in Monterey/Kalifornien geboren. Die Familie des Popmusikers Jorge Palomo lässt sich in dessen Heimat Mexiko nieder. Wenige Jahre später übersiedeln die Palomos nach Texas.

2006

– Palomo schreibt sich in Denton an der University Of North Texas als Filmstudent ein. In der WG beginnt er mit elektronischer Musik zu experimentieren und gründet später die Band-Projekte Vega und Ghosthustler.

März 2009

– Der Palomos damaliger Freundin gewidmete Song ‚Should Have Taken Acid With You‘ führt zur Gründung von Neon Indian.

Oktober 2009

– Das Neon Indian Debüt ‚Psychic Chasms‘ erscheint in den USA. Darauf sampelt Palomo auch die Musik seines Vaters. Neon Indian wird zum Posterboy des Chillwave Trends. Mittels Band erfährt der Elektro Pop eine rockigere Live-Umsetzung. Die Künstlerin Alicia Scardetta komplimentiert die Shows mit psychedlischen Visuals.

Platte des Monats Dezember: Neon Indian