Neurotic Outsiders


Schon nachmittags um fünf sperren Cops die 11. Street in Manhattan ab: „Policeline – Do not cross!“ Wird wegen der Neurotic Ousiders-Show in der Webster Hall mit einem Auflauf kreischender Teenager gerechnet? Offenbar habe ich die Lage falsch eingeschätzt – schließlich ist nicht nur der verlebte Alt-Punk Steve Jones (Sex Pistols) in der Band. Mit Duff McKagan an der Gitarre und Matt Sorum am Schlagzeug sind immerhin zwei Guns’n’Roses-Mitglieder dabei. Und die sind jung (jünger als Jones jedenfalls), knackig (im Verhältnis zu Jones), sexy und tätowiert. Ich bin überfragt, ob Bassist John Taylor, sonst in Diensten von Duran Duran, als Mädchenschwarm gilt. Oder hat ein aufrechter Musikfreund mit Herz und Verstand das einzig richtige getan und der Band via Polizei eine Bombendrohung übermittelt? Das muß es sein, denn der Zutritt zur Webster Hall ist nur nach dem Passieren einer zweifachen (!) Sicherheitskontrolle möglich. Drinnen ist es dunkel – und halbleer. Ich sehe mich um – Punks sind keine da. „Warum bist du hier?“ erkundige ich mich rechts. „Ich stehe auf die Gunners.“ „Und du?“ zum linken Nachbarn gewandt. „Duran Duran sind meine Lieblingsband.“ Hmmm. Ist jemand außer mir wegen der „Neurotic Outsiders“ gekommen? Irritiert warte ich auf den Beginn, ungeduldig und schlecht gelaunt. Ich hab’s im Urin: Heute abend wird’s live so schlecht wie die Platte befürchten läßt. Denn diese Band verkörpert die Unoriginalität. Das fängt schon beim Namen an: Neurotische Außenseiter. Das ist wie schnüffeln an alten Socken, wie ein Teller Gemüsesuppe, während du den Exorzisten siehst. Und die Musik: Vier Herren mit fortgeschrittener Rock’n’Roll-Karriere treffen sich, um es auf CD „noch mal so richtig krachen zu lassen“. Heraus kommt zehnmal Riff-Rock, vermischt mit den beiden obligatorischen Powerballaden. Hey, das ist neu! Was für ein zündendes Konzept! Und das auch noch klischeefrei: Im Beiheft ein Dankeschön an alle Pornostars, Prostituierten und Striptease-Tänzerinnen dieser Welt. Wir lernen: Rock’n’Roll hat mit Sex zu tun. Warum zum Teufel hat Produzent Jerry Harrison (u.a. The Bodeans, Live) seinen guten Namen für dieses schlimme Projekt hergegeben? Viertel vor zehn. Band auf der Bühne. Schnellcheck: Sorum haut auf die Drums wie ein Schlächter, der im Akkord Koteletts klopft. Wieso lachte er dabei so blöd hinter seiner Sonnenbrille? Taylor fällt als Mädchenschwarm aus, weil der Bauch über seine Gürtelschnalle quillt. McKagan demonstriert Rock’n’Roll-Bewußtsein, indem er lässig die Fluppe im Mundwinkel hängen läßt. Und Jones? Jones gibt den gefühlskalten Zyniker im Ledermantel. Sehr lässig und sehr langweilig. Die Neurotic Outsiders spielen mit der Begeisterung von Profis ihre Platte herunter. Ein Song heißt ‚Jerk‘ – Wichser. Das muß die Punk-Attitüde sein. Frech! Dann, wie könnte es anders sein, die Powerballade: Bei den sanften Klängen einer Akustikgitarre, zu denen Taylor mit geschlossenen Augen von „Better Ways“ schwärmt, sehe ich aus den Augenwinkeln unverhohlenes Gähnen unter den Besuchern. Nach fünf Songs läßt die „Supergroup“ die Oberteile fallen – schade, daß keine Grou pies da sind. Auch Musikalisch sind keine Höhepunkte zu verzeichnen: wie altbackener Hardrock halt so klingt. Elf Uhr. Band wieder von der Bühne. Wir erleben einen der wenigen Fälle, in denen Kritiker- und Publikumsurteil übereinstimmen: Die Halle leert sich, die Zugabe will nur noch ein Viertel des Publikums hören.