Nick Cave: Lust am Leiden


Für zarte Seelen war seine Musik pures Gift. In apokalyptischen Bildern zeichnete der australische Finstermann eine Welt voller Verzweiflung und Selbstzerstörung. Warum er nun doch noch das Licht am Ende des Tunnels sieht, erklärt er ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake.

Sogar seine Kritiker (wobei er selbst zu denen gehört, die glauben, daß nur ihre eigene Meinung Gültigkeit hat) müssen einräumen, daß der australische Sänger und Komponist eine der interessantesten Erscheinungen im Rockgeschäft ist. Sänger und Komponist beschreibt an sich nicht einmal die Hälfte von dem, was er in Wirklichkeit darstellt. Er ist Schriftsteller und Maler und, als Folge seines Auftritts in Wim Wenders „Himmel über Berlin“ und seiner Rolle in „Ghosts Of The Civil Dead“, ist er nun auch mit Drehbüchern eingedeckt…

„Die Leute möchten größtenteils, daß ich den Bösen spiele. Ich werde ein paar Rollen übernehmen, obwohl ich mich im Filmgeschäft nach wie vor ein bißchen als Hochstaplet-fühle. Ich bin da mehr oder weniger reingestolpert. Gehörte eigentlich nicht zu meiner Karriereplanung. „

Das Schreiben hingegen schon. Sehr sogar. Caves Roman „And The Ass Saw The Angel“ (soll in Kürze in Deutschland vom Zedlinka-Verlag veröffentlicht werden) als das bedeutendste Werk zu bezeichnen, das bisher von einem Rockmusiker geschrieben wurde (es stellt jedenfalls die Ergüsse von Patti Smith, Jim Morrison etc. locker in den Schatten), wäre noch untertrieben. Es ist mehr als das. Er läßt eine reiche, bildhafte Sprache auf die Handlung einwirken, die eine Mixtur ist aus Komödie mit schwarzem Humor und einem barbarischen Horror-Thriller. Der Schauplatz, eine stinkende Moorlandschaft, in dessen Umgebung durch Inzest mißgestaltete Figuren, Säufer und religiöse Fanatiker hausen, wird jedem sofort vertraut sein, der Caves Texte seit der Ära seiner apokalyptischen Gruppe „Birthday Party“ verfolgte.

Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, daß das Buch eine Weiterführung der Texte sei. Das Gegenteil ist der Fall. „Ich hatte die Idee zu dem Buch vor sieben Jahren und nahm über fünf Jahre hinweg jede Gelegenheit wahr, daran zu arbeiten. Es beschäftigte mich so sehr, daß immer wieder Ausschnitte daraus in die Songs miteinflossen. Ich konnte nicht abschalten und über was anderes schreiben. Es ist eine enorme Erleichterung, den Roman abgeschlossen zu haben, so daß ich mich nun wieder in neue Gefilde stürzen kann.“

Dies Gefühl der Erleichterung wird schon auf THE GOOD SON deutlich, Nicks neuem Album, das er in Brasilien („ein absolut überwältigender Ort“) mit seiner Band Bad Seeds aufgenommen hat. Cave-Fans aus alten Tagen, die nach Blut und Gewalt lechzen, müssen bei diesem zuganglichen, ja geradezu melodischen Album wohl eine Runde aussetzen. Es ist schon seltsam zu hören, wie Nick seinen begrenzten Stimmumfang in Balladen wie „The Ship Song“ erprobt oder gar auf portugiesisch schmachtet wie in „Foi Nagruz“. Seltsam, aber seltsamerweise nimmt es einen gefangen. Die meisten Texte sind nichtsdestotrotz melancholisch und voller Düsternis. „Ich werde nicht lange weinen“, singt Nick in einem Song, vielleicht seine bisher optimistischste Aussage. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, optimistisch und positiv eingestellt zu sein, morgens aufzuwachen und zu denken: ‚Yeah! Gehn wir da raus und bringen es!‘ So ein Gefühl ist mir fremd. „

Es ist aber auch schwer. Caves legendären Pessimismus mit seiner ungeheuren Produktivität in Einklang zu bringen. Bücher, Platten, Filme, Bilder – nur ein Enthusiast würde sich in so viel Arbeit stürzen, oder etwa nicht?

„Nun, meine positiven Gefühle der Welt gegenüber spiegeln sich darin wieder, daß ich ständig etwas schaffe. Auch wenn die Aussage der jeweiligen Arbeit negativ ist, so ist doch allein der Akt des Schaffens positiv. “ Pause, “ Glaube ich jedenfalls.“