Nn Sleep Till Bamberg


Die Toten Hosen über Bayern: Suff, kein Sex, noch weniger Schlaf. Vier Tage lang begleitete ME/Sounds die deutschen Parade-Punks durch die pechschwarze Provinz. Das Tagebuch einer alltäglichen Tortour.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Der Soundcheck ist beendet, die Roadies schlurfen matt durch die Münchner Alabamahalle. Tourmanager Jäki Eldorado verteilt Tourpässe, für Nervenschwache mit der Aufschrift“.Fi… Bu … Bla …“, für die anderen die unzensierte Version. Jäki reicht mir kommentarlos Flaschenöffner und Ohropax und zeigt mir den Weg zum Tourbus. Der Bus der Firma „Prima Klima Reisen“ scheint krank zu sein: überall Husten, Röcheln und Rütteln. Der ganze Wagen wackelt. Hosen-Sänger Campino öffnet die Tür und bittet mich herein.

„Zeig mir deinen Blinddarm“, befiehlt jemand. „Ich habe keinen mehr“, antworte ich. Wer stellt überhaupt solch dumme Forderungen? Es sind nicht die Punk-Kollegen von den Goldenen Zitronen, die zu Besuch sind, auch nicht die dicken Engländer der Rokkabilly-Truppe Blubberry Hellbellies, die es sich hier noch gemütlich machen — nein, es ist der Fernseher, aus dem es stöhnt und kracht.

Vor dem Bildschirm winden sich ein Dutzend Punks mit heraushängenden Zungen und verdrehten Augen. Auf dem Bildschirm läuft ein schmatzender und schlabbernder Hardcore-Porno. der selbst dem Tonkopf des Videorecorders zu schaffen macht.

„Wir machen uns scharf für den Auftritt“, erklärt Campino und nuckelt an seiner Flasche mit Stimmbandöl.

Es ist Zeit für Stunde X.

Die Toten Hosen haben diese Nachwuchskünstler aus einem Rhein-Nebenkanal gefischt und als Heizer angeheuert. Sie stellen sich als Die Goldenen Zitronen vor. spielen laut, singen schlecht und rocken schnell — was will man mehr?

Campinos Lieblingsband, die Blubberry Hellbellies, stürmen mit bösgescheckten Boxershorts, dreistgestreiften Hawaiihemden und elefantengroßen Pappdeckeln die Bühne und schütten einen großen Sack Flöhe in Form von Rockabilly-Tönen in die Menge. Es ist ein Jucken und Zucken, ein Kratzen und Watzen. Huhu, hihi, hoho, der Ruckabilly macht uns froh.

„Wie viele Gauweiler-Tüten werdet ihr heute verteilen?“, frage ich den langen Breiti. „Gar keine“, erklärt mir der Gitarrist der Hosen. „Die sind uns leider ausgegangen. Und die Firma Fromms braucht uns als Werbeträger nicht mehr.“

Ein letzter Schluck aus der Pulle und ab geht die Hose. „Opel Gang“. „Altbier Lied“. „Hofgarten“. „Bommerlunder“. „Moskau“. Dieses und jenes. Die Hosen geben wie immer ihr letztes. Hart und schnell. Laut und feucht. Zwei Zugaben, dann kotzt die Halle die Leute aus.

Jetzt sind die Hosen natürlich voll und die anderen schon breit. Überall Schweiß. Schnell die Handtücher, sonst erkälten sich die Jungs. Duschen oder nicht. Erstmal was trinken. Im Bus beginnt die Party. Jemand hat einen neuen Porno reingeschoben, ein anderer die Joints gezündet. „Mach mich fertig, mach mich doch endlich fertig“, quiekt es aus dem Kasten.

Die Nastie Babies. Münchens einzige Frauenband, sind dazugestoßen. Der Bus ist gerammelt voll.

in der Kiste wird voll gerammelt.

Seelenruhig kutschiert Peter, der Fahrer, den schunkelnden Bus durch die Münchner Innenstadt und stoppt vor dem schicken Parkcafe.

Bevor die Meute raus kann, kommt die Order von Jäki: „Also Jungs, macht keinen Scheiß, Hiermit ist der Laden freigegeben.“

Nach einer Handvoll Schlaf in einem miserablen Hotel besorge ich mir zehn Kopfschmerztabletten, einen Sack voll Vitamine, eine Flasche Mundwasser und reite wieder in die Alabamahalle. „Live aus dem Alabama“ heißt heute der Auftrag. Es wird ein wenig diskutiert und „dazu präsentieren die musikalischen Berufsproleten der Spät-l’unk-Formation ,Die Toten Hosen‘ ihren Alkolwliker-Pogo“, wie ein Nachrichtenmagazin in seinem Fernsehteil vermutet. Die Hosen geben selbstverständlich ihr letztes. Drei Zugaben ä 45 Sekunden. Keine Zeit.

Saufen gehn.

Die drei Kapellen möchten heute abend München „mal richtig kennenlernen“ und fahren in die Philomabar, Bayerns plüschigsten Tanzpuff. Dieselbe Prozedur wie gestern: Jäki pfeift dreimal durch die Zähne und der Laden ist freigegeben.

Überall hier ist es rot. Ein Schuppen, der seit 30 Jahren out und deshalb wieder in ist. Ein Discjockey, der seit 30 Jahren dieselben Platten auflegt und deshalb Bavaria Bambaataa heißt. Eine alte Frau, die Besitzerin, die seit 30 Jahren jeden

Abend hier unten ihren Tee trinkt und die Gäste begrüßt.

Ungefähr 40 Typen machen es sich derweil in einer Ecke bequem und schreien nach Bier. Irgendwie sehen sie heute abend schon etwas anders aus: Die Gesichter gröber in den Falten, verzerrter in den Zügen, die Augen dunkler und stechender, die Bewegungen fahriger.

Auf dem Klo treffe ich einen zitternden Kellner. „Den Wahnsinnigen bringe ich kein Bier, die machen mir doch den Laden kaputt. „

Ich helfe ihm mit einem Gleichnis: „Was würdest du deinen Tigern geben, wenn sie brüllen. Fuüer oder ein paar aufs Maul?“ Es vergehen kaum zwei Minuten — und die Leute prosten sich zu.

Nach mehreren Lagen kommen die Toten Hosen endlich dazu, eine wichtige Frage zu erörtern: Was ist mit den Mädchen, verdammt noch mal! Keine Groupies vor den Bühnen, keine weiblichen Fans hinter den Kulissen und noch weniger Musikfreundinnen im Hotelzimmer.

„Das liegt an der Aids-Moral der Deutschen“, weiß Fachmann Trini Trimpop, Ex-Schlagwerker und heute Coach der Hosen. „Wir bleiben unseren Frauen sowieso lieber treu“, singen Breiti, Campi, Andi und Kuddel im Chor.

„Wer fuhrt eigentlich zur Zeit die Tour-Sex-Liga an .'“fragt Trini. Wölli liegt mit fünf Punkten unschlagbar vorn: zwei Punkte für einen Touch Down und drei Punkte, weil er einmal die Bälle über die Linie brachte.

Gemächlich tuckert der Bus durchs schöne Bayernland. Hier ein Wald, dort ein Berg. Elmar, „die Monitorsau“, Uwe, „das Lichtschwein“ und Oskar, „der Truckerarsch“, sind schon früh nach Ravensburg vorausgefahren. Jäki öffnet sein Kofferbüro. Auf der Liegewiese im hinteren Teil schaut sich das Musikervolk Karatefilme an.

Der Fahrer hält direkt vor dem Schenk-Konrad-Haus, einer neuerbauten Halle, in der im Normalfall Trachtentreffen stattfinden. Als ob das heute kein Trachtenfest wird!

Um halb neun laufen die Land-Punks, die Berg-Hippies, die Dorf-Tims und die Kleinstadt-Normis ein.

In Ravensburg ist ein Punk-Konzert noch ein echtes Ereignis und kein Veteranentreffen wie in den Großstädten. Jäki Eldorado, der Türsteher der Nation, hilft am Eingang aus und entdeckt ein paar verwirrte Skins, die mit dem Schlachtruf „Nur eine Tote Hose ist auch eine gute Hose“ Zutritt verlangen. Nix da. Skins gehören auf den Misthaufen.

Stunde X stellt sich heute als Bon Jovi vor. Viel Applaus. Sie sind wirklich Deutschlands beste Vorgruppe. Auch die Hosen geben heute ihr letztes. Ein Messer und fünf Pappbecher fliegen auf die Bühne, immer wieder klettern Punks hinterher und springen den Johlenden auf die Schädel. Die Roadies passen auf, daß keiner der Springer die Künstler küßt.

Und wieder schliddert der Bus auf nassen Fahrbahnen durchs schöne Bayernland. Jäki verzieht sich in die Schlafkabine und Jack Nicholson sagt zu Marion Brando: „Weißt du, warum du eben aufgewacht bist? Weil ich dir die Kehle durchgeschnitten habe. “ Jubel im Bus über diesen gelungenen Gag. Die Freude legt sich erst wieder, als die Hosen erfahren, daß Fortuna Düsseldorf endgültig aus der Bundesliga abgestiegen ist. Sie beschließen, heute abend in Bamberg noch einmal, nun aber wirklich, ihr allerletztes zu geben.

Die Krieger sind etwas schlapp, ihre Gesichter noch verzerrter, verschwommen die Züge. „Kommt her“, ruft ein Mixer und legt lange Lines Brausepulver auf den Tisch.

Das wird ein Riesen-Gig. Stunde X stellt sich als Die Toten Hosen vor und bewirft das Publikum mit Joghurt und Brotkrümmeln. Bill von den Hellbellies hat sich hinten auf die Glatze ein zweites Gesicht gemacht. Die Hosen geraten in Extase. Der Chef des Bamberger Hosen-Fanclubs beißt Campino vor Begeisterung ins Bein. Der Meister zeigt sich erkenntlich und tätowiert ihm mit dem MikroStänder ein Autogramm ins Gehirn. Auf dem KJo beschließt der blutende Fanclub-Boß, der einst geliebten Band den Rücken zu kehren und einen Goldenen Zitronen-Fanclub zu gründen. Mit dem Schlachtruf „Grinsen, grunzen, grasen, wir scheißen auf die toten Hasen“ verläßt er das Etablissement.

Nach dem Konzert geht’s zu einer Punk-Disco namens Downstairs. Die übliche Zeremonie: Jäki hält die kläffende Meute zehn Minuten an den Würgeketten und fragt: „Soll ich den Laden freigeben?“ Jaaa, Jäki, gib den Laden frei, bitte, gib ihn endlich frei!!!, schreit es wie aus einer Kehle.

Die Knie kaputt, den Ellbogen aufgeschlitzt, in der Tasche die drei Zacken eines Mercedessterns, ein Whiskeyglas im Kopfkissen — so wache ich am nächsten Tag in irgendeinem Hotel auf.

Beim Stadtrundgang durch die malerische Altstadt werden die Hosen in ihren Armanitöter-Jackets wie Paradiesvögel betrachtet. Andächtig und genießerisch pinkeln wir vor der Burgmauer auf Bamberg — der Abendsonne entgegen. Unten in den Gassen sind die Leute auf der Suche nach einem Verrückten, der den Inhalt eines Chemie-Klos direkt vor einer Discothek ausgeleert haben soll. Auf dem Marktplatz schunkeln ein paar Jugendliche über das Pflaster und singen dazu: “ Und die Hosen ziehen durchs Land, und sie trinken immernoch ohne Verstand. „