Kolumne

Es ist noch nicht vorbei: Paulas Popwoche über Weltuntergang & Hoffnung

Wie Weltuntergangsstimmung unsere Vorstellungskraft lähmt und warum Kraftklub mit „Sterben in Karl-Marx-Stadt“ trotzdem Hoffnung macht. Die neue Kolumne von Paula Irmschler.

Wie fast jedes Jahr weigere ich mich, musikalisch zurückzublicken. Nicht weil ich cooler bin als irgendwer, sondern weil es voll stressig ist, die ganzen Alben und Songs, die man so während eines Kalenderjahres gemocht hat, nochmal rauszusuchen und dann auch noch zu hierarchisieren. Man muss ja auch noch arbeiten!

Außerdem gehöre ich zu der Fraktion „Ich lass mir die Zeit nicht vom sogenannten Ende des Jahres einteilen“. Das Jahr beginnt für mich gefühlt eher so Anfang März und sein Ende versumpft im Matsch des Januars, und da dümpelt es noch eine Weile vor sich hin.

Am Ende bin ich wie Mariah Carey und lehne das Konzept Zeit ab. Also ungefähr.

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Spotify Wrapped und das musikalische Alter

ABER ich freu mich immerhin auch über die poppigen Bilder von meistgehörten Songs und Künstler:innen, die dieser Tage wieder durch Social Media rumfliegen, vor allem auch, wenn darauf unbekanntere Acts zu sehen sind, weil ja von den Plattformen nur die großen Namen supportet werden, die eh schon genug vom Kuchen haben. Leider ist mein Rückblick der meistgehörten Sachen aber volle Lotte Mainstream, weil mein Geschmack quasi „Charts“ heißt.

Da aber natürlich das, was man am meisten gehört hat, nicht gleichzusetzen ist mit den diesjährigen Releases, die man am besten fand, wird’s eben komplizierter. Man hört ja schließlich nicht nur neue Sachen. Deshalb hat Spotify sich neuen Quatsch ausgedacht. Nachdem es zuletzt den Musikgeschmack von Menschen recht willkürlich Städten in fernen Ländern zugeordnet hat, gibt es jetzt das „musikalische Alter“, was offenbar wieder nichts anderes ist als Mitmach-Bait. Die Leute teilen es mit größter Verwirrung darüber, andere wollen dann auch wissen, was bei ihnen rauskommt und so weiter.

Ich soll zum Beispiel über 70 sein. Wenn ich das wirklich wäre, würde ich auf Facebook Kommentare unter Postings über meine meistgehörten Acts – Taylor Swift, Ariana Grande, Charli XCX, SZA und Beyoncé – schreiben, mit der Frage „MUSS MAN DIE KENNEN?“ Aber weil ich halt AUCH älteren Folk und Arbeiterlieder höre, macht der Algorithmus ERROR, weil er sich keine jungen Antifaschistinnen vorstellen kann, die auch noch Spaß an schönen Melodien haben. Insgesamt also gut, dass die Musiknerdjournos immer noch ungefragt ihre Bestenlisten überall hinpacken, statt dass sie sich wie die meisten auf diesen furchtbaren Konzern verlassen.

KI-Fotos und der Untergang der Welt

Aber apropos etwas endet und wir verlassen uns auf Konzerne und ihre behämmerte Technik … Vergangene Woche waren viele im Netz alarmiert ob eines KI-Fotos, das viral ging.

Bildschirmfoto 2025-12-04 um 15.12.44

Mal davon abgesehen, dass die Person, die es in Umlauf gebracht hat, damit WERBUNG FÜR AI machen wollte, und zu viele auf sein alarmistisches Getue reingefallen sind, schwenkten viele auch noch darauf ein und bekräftigten die Erzählung, dass das rechte Foto ja sonst wie realistisch aussähe. Ja, klar, schon, aber authentisch ist die Szene vor allem für Leute, die eh schon zu viel im Internet abhängen und dessen Ästhetik und Schönheitsideale aufgesogen haben. Beschissen ist das alles natürlich trotzdem, aber wenn wir jetzt alle so tun, als seien wir doomed, cooked, fertig, am Arsch, ausgeliefert, verloren, dann wird es halt auch so kommen.

Dass alles den Bach noch weiter runtergeht und überhaupt die Welt untergeht, scheint für manche aber längst Gewissheit zu sein, und sie halten sich nicht zurück, es überall zu spreaden. Vor Szenarien, vermittelt durch Serien und Filme, wie das so aussehen könnte, können wir uns in den letzten Jahren kaum retten. Ob Weltkriege, Atombomben, Pandemien, Zombie-Invasionen, Übernahme von künstlicher Intelligenz und so weiter – die Frage scheint nur noch WIE zu sein, und nicht OB. Wem es gerade noch gut genug geht, der will sich lieber zurücklehnen und zusehen, für den ist es Entertainment, quasi True Crime, schlimm, aber ist halt so. Für andere ist dieser Fatalismus genau deswegen vor allem eine Verdienstmöglichkeit. Für die meisten aber ist aufgeben eben keine Option.

Je mehr wir den Untergang beschwören, umso weniger Vorstellungskraft bleibt uns, um ihn zu verhindern. Vielleicht also kein Wunder, dass der meistgestreamte Song des Jahres auch in die Kerbe haut.

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Schöner Song und eh nur Pop, aber eben auch passend. Die with a smile, nur wir zwei, während die Welt endet.

Kraftklub und die Verweigerung aufzugeben

Auch Kraftklub scheinen auf den ersten Blick aufgeben zu wollen, ihr neues Album heißt „Sterben in Karl-Marx-Stadt“ und es wird dementsprechend morbide. Aber with a (typisch kämpferischer Kraftklub-) twist! Kraftklub wollen im Grunde nämlich „unsterblich“ sein, sehen noch Licht am Ende des Tunnels („Wenn ich tot bin, fang ich wieder an mit rauchen“), und: „Solang noch einer ‚Fickt euch alle‘ schreit, ist hier noch nichts verlor’n“, beziehungsweise: „Nirvana ist nicht, Alter“.

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De La Soul und der Umgang mit dem Tod

Angst vorm Tod zu haben, ist natürlich mehr als verständlich, und es bringt gar nichts zu versuchen, das Gefühl Leuten aus- oder sogar den Tod schönzureden. Es ist unumstößlich furchtbar, wenn geliebte Leute sterben und auch, dass man selbst gehen muss. Um den Tod im nahen Umfeld geht es auch auf dem neuen Album von, ja, genau, De La Soul, „Cabin In The Sky“, das sehr liebevoll an das verstorbene Mitglied David Jolicoeur erinnert und sich auch sonst mit Trauer beschäftigt.

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Für Trauer, Angst und Erzählungen über Verstorbene muss unbedingt so viel Raum sein wie nur möglich. Fürs Heraufbeschwören vom Ende der Welt dafür gern weniger. Denn, es gilt noch immer, was wir ü70-jährigen gern singen: Hurra, wir leben noch.

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

ME

Paula Irmschler schreibt freiberuflich unter anderem für MUSIKEXPRESS. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.