Nürnberg Karlsruhe: Viel Prominenz und wenig Dampf


Die Besucherzahlen beider Festivals sind imposant: 45.000kamen nach Nürnberg, 40.000 nach Karlsruhe. Ich selbst war in Karlsruhe. Lake als Eröffnung lieferten dort ihren gewohnt guten Auftritt und wurden mit entsprechendem Beifall belohnt. Über das Hamburger Sextett noch viele Worte zu verlieren, wäre ziemlich sinnlos, denn seine Qualitäten wurden in Funk und Presse genügend dargestellt. Zudem hat die fleißige Band etliche Tourneen durchgezogen, so daß die Zeit für das zweite (und bereits fertige) Lake-Album eigentlich überreif ist. Daß diese LP aus Rücksicht auf das amerikanische Publikum erst im Dezember veröffentlicht wird, könnte hier in der BRD zum Bumerang werden: Möglicherweise hat der momentane Lake-Boom dann seinen Zenit überschritten. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wieso wir deutschen Fans, die in früheren Jahren oft bei Neuerscheinungen benachteiligt wurden, nun auf Amerika warten sollen. Jetzt besitzen wir endlich mal eine Band, auf die man stolz sein kann, und nun dürfen wir es nicht …….

seltsam, dies!

Weniger stolz kann man mittlerweile auf Udo Lindenbergs Panik sein, selbst dann, wenn sie von Peter Herbolzheimers Bläsern unterstützt wird. Denn trotz dieser großen Besetzung vermochte Lindenberg nur ansatzweise jenes Rock’n‘ Roller-Flair zu vermitteln, das er zu besitzen vorgibt. In den Zeiten, als auf der Andrea Doria noch alles klar war, lief auch Lindenberg wie geschmiert. Heute aber wirken Udo und Kol-‚legen schlaff, ausgebufft und wie eine Karikatur ihrer selbst. Selbst Udos teils flotte Sprüche erscheinen inzwischen reichlich abgegriffen, wenn nicht gar deplaziert: Sentenzen wie „Check erst mal deinen Geist ab“, mit denen Udo seit einiger Zeit sogar die Zuschriften hilfesuchender Jugendlicher in einem Pop-Magazin sinnig beantwortet,müssen jedem Lehrer, Erzieher oder Sozialhelfer die Tränen in die Augen treiben. Bei Udos Musik geraten sowieso nur noch wenige aus dem Häuschen: Mancher Besucher des Wildparkstadions benutzte den Lindenberg-Set, um sich mal Wurst und/oder Cola zu genehmigen.

Thin Lizzy kamen da schon weit besser an. Das Quartett um Phil Lynott — mehr über die Band an anderer Stelle in diesem Heft — frönte einer recht gradlinigen Variante schlichter Rockmusik, ohne Mätzchen und ohne vordergründige Effekte. Die Soli der beiden Leadgitarristen wirkten abwechslungsreich und nie überlang, Lynotts bleierner Baß sorgte für Belebung des Brustbeins, und ein unprätentiöses Schlagzeugsolo brachte schließlich den Großteil des Publikums auf die Beine. Hätten die Zuschauer geahnt, daß Thin Lizzy an diesem Tag die letzte (und außer Lake auch einzige) Band mit Volldampf waren, sie hätten dem Quartett auf dem Weg in die Kabine wohl noch mehr Ovationen dargebracht. Anschließend nämlich traten noch drei Bands auf, die zwar Anerkennung, jedoch kaum mehr tosenden Beifall verdienten. Rory Gallagher litt unter dem Trauma, nach seiner vorzüglichen Leistung in der Fernseh-Rocknacht an eben dieser Leistung gemessen zu werden. Tatsächlich lieferte er mit seinen Begleitern Rod de Ath, Gerry McAvoy und Lou Martin einen durchschnittlich guten Auftritt,der allerdings weniger Feuer besaß als sein Gastspiel in der TV-Rocknacht.

Bei „Going To My Home Town“ kam einige Stimmung auf, die jedoch bald wieder verebbte. In seinem akustischen Teil bewies Gallagher einmal mehr, daß er schleunigst sein Soloalbum mit rein akustischen Songs veröffentlichen sollte: Kaum jemand bringt diese Rockspielart so urig und erdverbunden. Ansonsten lebt Gallagher mit dem Zwang, seine ja gar nicht neue Musik stets auf Hochenergie polen zu müssen. Mit genügend Feuer kann Rory überwältigend sein, unter Normaldruck wie in Karlsruhe hat er es schwer, die hochgespannten Erwartungen seiner Fans zu befriedigen.

Mit Santana wurde dann das Kapitel „Warum Neues anbieten, wenn das Alte noch zieht“ eröffnet. Carlos himself, Tom Coster (keyb), Graham Lear (dr), David Morgan (bg), Paul Rekow (perc) sowie Gregory Walker (voc, perc) zelebrierten einmal mehr den Geist von Woodstock und die damit verbundenen Ur-Oldies. Daß den Musikern diese Chose nicht selbst zum Hals heraushängt, verdient Bewunderung.Wie lange Santana, die nicht immer ergiebige und Guru- und Jazz-Zeit einmal ausgenommen, seine Masche schon melkt, kann man daran erkennen, daß er stets mit veränderter Besetzung auf Tournee kommt, trotzdem aber immer wie aus einem Guß spielt. Die Erklärung dafür ist simpel: Mittlerweile verfügt Carlos über schätzungsweise zwei Dutzend Musiker, die irgendwann mal mit ihm auftraten und daher jederzeit austauschbar und allzeit verwendbar sind. Sänger Greg Walker beispielsweise wirkte auf dem „Amigos“-Album mit, wurde im letzten Jahr gegen Luther Raab ausgewechselt, nun aber kurzfristig wieder eingestellt. Was in einer Eishockey-Mannschaft durchaus sinnvoll ist, nämlich ein regelmäßiger Tausch der Spieler, erscheint in einer Rockband doch eher fragwürdig und gibt einen bezeichnenden Einblick in die musikalische Stagnation dieser Gruppe.

Daß Santana trotzdem gut ankam, lag weniger an ihm, sondern am kommunikativen Charakter seiner Klänge. Wenn es pocht und pluggert, brodelt und bumst, kommen die Zuhörer zwangsläufig auf die Beine, selbst dann, wenn sie bereits alle neun regulären Santana-Alben besitzen, darunter den Live-Triple-Set „Lotus“, auf dem die Band viel spontaner, viel ideenreicher und mit erheblich besserer Klangqualität zu hören ist. Doch vielleicht ist „Soul Sacrifice“ für viele Rockfans genau das, was derRadetzky-Marsch für unsere Großväter war: Man kennt es schon im Schlaf, aber der Rhythmus, der läßt die Finger immer wieder mitschnippen.

Den Abschluß des Karlsruher Festivals bildete dann das Oktett, das aus Chicago stammt, inzwischen (zuzüglich der Greatest Hits-LP) zehn Alben veröffentlicht hat, diese Platten allesamt in annähernd gleicher Qualität einspielte und sich seit Jahren heftig dagegen sträubt, irgendwelche Neuerungen in seine Musik aufzunehmen. Diese Band sollte sich besser gegen Live-Konzerte sträuben! Denn daß die Chicago-Musiker ihre Instrumente einwandfrei beherrschen und daß sie ihre Songs auch live fehlerlos darbieten können, ist doch ein alter Hut. Ihre Musik besitzt den Haken, daß man sie zu Hause per Platte sehr viel gemütlicher und mit weit besserem Sound genießen kann — ähnlich wie bei Santana. Hinzu kommt aber, daß Chicagos Musik die Leute nicht mal auf die Beine bringt, denn dazu sind die Rhythmen nicht genügend durchgängig. Ein Teil der Zuschauer in Karlsruhe reagierte wie tags zuvor das Nürnberger und tags darauf das Kölner Publikum beim Solokonzert der Gruppe: Man ging vorzeitig.

Womit die Zeit reif ist für em Resümee. Konzertveranstaltungen, speziell solche unter freiem Himmel, sind in den letzten Jahren mehr und mehr zur Nabelschau unbeweglicher Supergruppen geworden, die Namen wie Pink Floyd, Santana, Eagles, Peter Frampton oder Chicago tragen. Wohlgemerkt geht es dabei weniger um die Qualität der Musik dieser Bands, sondern um die Art, wie diese Gruppen den Begriff „Live“ umfunktionieren. Live-Musik erhält nur dann einen Sinn, wenn zumindest Show a la Queen, besser noch Spontaneität wie bei Frank Zappa, am besten aber Dynamik, Frische und Lebendigkeit geboten wird. Karlsruhe hat deutlich bewiesen, daß die Bühne freigehalten werden sollte für noch unverbrauchte Bands wie Lake oder Thin Lizzy, für Veteranen wie die Who, die trotz ihres Alters lebendig geblieben sind, vor allem aber für Frischlinge wie Mink DeVille, Stranglers, Tom Petty & The Heartbreakers, Ultravox und Kollegen. Ein einziges Gitarrenriff von Tom Petty strahlt mehr Persönlichkeit und Leben aus als der gesamte Chicago-Auftritt samstags im Park.