Popkolumne, Folge 41

OK Boomer, Peter Wittkamp und E-Rotic: Die Popwoche im Überblick


In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Julia Lorenz die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Platten, welche Zwangsstörungen lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Die Folge zur KW 46 kippt Heizöl in den Generationenkonflikt Boomer vs. Smombies, verteidigt die Polizei und erinnert an eine Band, die sich beschreiben lässt mit den Worten „die Kraftwerk des Eurodance - auf Viagra“. Ein Lese-Erlebnis noch besser als zur Müllkippe fahren und auf Ratten schießen!

LOGBUCH: KALENDERWOCHE 46/2019

Breaking: Diese Woche habe ich dreimal hintereinander Nudeln, Gorgonzola, Broccoli und Zucchini gekocht. Streng genommen bereite ich kaum noch ein anderes Gericht zu. Kennt Ihr das, vor lauter Lieblingsrezept vergisst man alles, was man sonst noch irgendwann mal kochen konnte, verfängt sich in der Küchen-Echokammer und verdoppelt jedes halbe Jahr sein Gewicht? Ich schon! Eine verrückte Zeit, in der wir da leben.

BATTLE ROYAL DER WOCHE: OK BOOMER

Service: „Babyboomer“ nennt man diejenigen, die zwischen 1946 und 1970 geboren wurden. Darauf folgt die Bezeichnung „Generation X“ (bis 1984) und Babys von da an bis zur Jahrtausendwende katalogisiert man als Millennials. Zwischen ersten und letzten herrscht gerade Krieg im Netz – und weil dort die analogen Babyboomer nicht gerade am Powerbutton sitzen, werden sie von den herangewachsenen Kids konsequent gecybermobbt. Der genervte Ausspruch „Ok Boomer“ ist die Überschrift.

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Tja, erst haben ihnen die Millennials ihre geliebte Gitarrenmusik weggenommen und stattdessen HipHop und R’n’B durchgesetzt – und jetzt verlangen sie mit „trendenden Hashtags“ auf den sozialen Medien auch noch die Würde der ergrauten Generation. Na, das gibt lange Gesichter auf der nächsten Ü50-Party – also zumindest bei der Handvoll Boomer, die überhaupt auf Tik Tok und Twitter sind.

LESUNG DER WOCHE: PETER WITTKAMP

Peter Wittkamp ist einer der lustigen Menschen Deutschlands. (Zitiere ich Dich richtig, Peter?)

Er arbeitet unter anderem für die „heute show“, sein aktuelles Buch trägt den pfiffigen Titel „Für mich soll es Neurosen regnen“. Bei letzterem glasiert der Humor ein Sachbuch über Zwangsstörungen, mit denen sich der Autor herumplagt. Im Obergeschoss einer Buchhandlung direkt im Kölner Hauptbahnhof (gute Güte!) versucht Wittkamp (erfolgreich) das trostlose Minus-Ambiente aufzuwerten. Alle Stühle sind besetzt, es wird viel gelacht. Angesichts der ausgelassenen Stimmung, die Wittkamp uns zu Füßen legt, denke sicher nicht nur ich: „Alter, so schlimm scheint’s alles nicht zu sein“. Bisschen Müll vom Fahrradweg räumen, vorm Schlafengehen lüften müssen und lieber nicht mit halbleerem Handyakku das Haus verlassen… Hey, wer kennt’s nicht? Erst bei der Erwähnung eines Aufenthalts in der Psychiatrie setzt sich im Saal die Erkenntnis durch, welch konkreter Schrecken hier und heute eben auch verhandelt wird.

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Mein persönliches Highlight: Wittkamps Aussage, dass viele kirchliche Rituale (Rosenkranz beten zu Beispiel) alle Charakteristika von Zwangshandlungen aufweisen. Zudem zeigt er auf eine große ältere Dame im Publikum und outet diese als die eigene Mutter. Eine schöne Veranstaltung, die durch die entwaffnende Offenheit des Autors einen intimen Touch bekam.

BUCH DER WOCHE: JOHANNES FLOEHR

Apropos Boomer vs. Millennials

Wer den (Gag-)Nachrichtendienst Twitter nicht nur kennt, sondern auch die dort allgegenwärtige Humorprozession verfolgt, dem dürfte neben dem Namen Peter Wittkamp (@diktator) auch er kein Unbekannter sein: Johannes Floehr. Zuletzt hat @uerdinger sich immer wieder in die Timelines gespült mit kongenialen Dialog-Miniaturen. Kein Kontext, keine Anführungszeichen, für sowas ist ja auf Twitter kein Platz. Den Spaß stellen dabei nicht nur die vielseitigen Szenen und Pointen dar, sondern der persönliche Ehrgeiz, schon bei den allerersten Sätzen herauszufinden, wer denn da jetzt wohl zu wem spricht. Das hochproduktive Kerlchen aus Krefeld hat davon nun soviel gemacht, dass mehr als ein Alibi-Buch mit Zweitverwertungs-Charme herausgekommen ist. „Dialoge“ ist viel mehr ein topaktuelles Witzbuch für die Generation Meme.

MEME DER WOCHE

ALBUM DER WOCHE: JULIANA HATFIELD

Juliana Hatfield
„Sings The Police
(American Laundromat / VÖ 15.11.2019)

Okay, ich liebe Juliana Hatfield seit ihren Zeiten mit Evan Dando (The Lemonheads) – wer nicht? Aus Verbundenheit höre ich stets ihre neuen Alben und zwar mindestens mit Wohlwollen. Doch diesmal reißt der Faden, mir reicht’s. Auch meine Loyalität hat Grenzen, sorry! Was soll das denn? Eine zu laute Gitarre und völlig verwackelte Versionen der größten Police-Hits? Die Platte klingt wie Wette verloren – ich übertreibe nicht.

Würde Euch gern zum Beweis den YouTube-Link zu „De Do Do Do De Da Da Da“ schalten, allerdings glaubt’s mir doch lieber so – denn dann kann ich uns hier doch lieber die Szene aus „Friends“ hinbasteln, in der Phoebe Karten für ein Sting-Konzert möchte, nachdem sie erfahren hat, dass Ross‘ Sohn mit dem von Sting in denselben Kindergarten geht. Ross ist das mehr als unangenehm – und es wird nicht besser, als Phoebe einen Police-Klassiker auf seinen Namen ummünzt…

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VERKANNTE KUNST: E-ROTIC

Achtung, das ist nicht die übliche Diss-Rubrik als Kolumnen-Ausklang, es handelt sich hier stattdessen um das Format meiner hochgeschätzten Kolumnenpartnerin Julia Lorenz. Ich habe es erneut gekapert…

Viel Fanpost erreicht mich ja immer, wenn ich gemeinhin an dieser Stelle einen Klassiker verreiße: „Häng dich auf!“, „Erschieß dich!“, „Du bist schlimmer als Hitler!“

Bei aller Freude an der Kontroverse möchte aber auch ich einfach ab und an mal Begeisterung teilen. Denn es ist ja nicht so, als würde ich alle großen Künstler (Dylan, Lennon, Anton aus Tirol) ablehnen. Im Gegenteil, ich bin mit dem Kanon von Pop nicht nur vertraut, sondern einigem davon sehr zugetan. Apropos: E-Rotic.

Wir schreiben die große Zeit des komplett hysterischen Musiksenders VIVA, die Neunziger also. Plattenfirmen und Zeitgeist lassen unablässig bonbonbunte Quatsch-Videos aus ihrem After regnen. Schließlich besitzt Deutschland dank VIVA zum ersten Mal eine wirkliche Popkultur. Dieser Möglichkeitsraum überfordert die „Kreativen“ des Landes natürlich sehr schnell. Sie fassen sich ratsuchend in die Hose und siehe da: Neben einem komischen Geruch sieht sich auch eine brillante Idee nach draußen befördert.

Elevator-Pitch: Warum nicht den notgeilen Teenies obszöne Witze via superbusigen Cartoons erzählen – und die allerfiesesten Rummelplatz-Beats drübermischen? Gedacht, gemacht. Das daraus resultierende Projekt zweier Produzenten unterbietet locker die ohnehin gar nicht mal so hohen Standards jener Zeit. Ich meine, damals waren Sachen wie Dolls United, Jan Wayne oder Mark’Oh in den Charts. Doch wo es so unfassbar weit in den Keller geht, da wird es natürlich dann auch schon wieder reizvoll oder zumindest irgendwie bescheuert geil. Trash als die achte Kunst, Müll als Spitzen-Unterhaltung – gerade mit so einer abmildernden Retro-Brechung. „Sowas war mal in irgendeiner Form state of the art? Wow!“ Oder gar: „I’m having second thoughts about Mark Forster being the beschissenster deutscher Act!“

Einer der Trademarks von E-Rotic (neben diesen unfassbar satanischen Videos) sind dabei Eigennamen und Binnenreime im Refrain. Der Nummer-Eins-Hit, der alles lostrat, lautet dementsprechend „Max, don’t have Sex with your Ex“. Es folgten noch „Fred come to bed“ und „Willy use a Billy… Boy“.

E-Rotic sind die Kraftwerk des Eurodance – auf Viagra, versteht sich. What’s not to like!

– Linus Volkmann („Musikjournalist“)

https://www.youtube.com/watch?v=Iv4Sz3_gTo0

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.