Once in Germany someone said Ja!


Via Chicago: Eine der aufregendsten Bands der Welt (bitte diskutieren), endlich mal wieder in Deutschland.

Wie jetzt? Ist man aus dem Urlaub in ein Paralleluniversum zurückgekehrt oder ist die Welt evolutionssprungmäßig ein kleines Stück besser geworden? Er habe sich ja selbst gewundert, aber das Konzert heute werde von Radio Bayern 3 präsentiert, sagt der Nebenmann und belegt die kühne Behauptung anhand seiner Eintrittskarte: auf dem computerausgedruckten Ding prangt tatsächlich das B3-Logo. Nein, so sehr man den Hörern der notorischen Dudelwelle zwischen (oder gar anstatt von) Sarah Connor und The Rasmus in der Nachmittagsrotation eine tägliche Dosis Wilco gönnen würde -man stelle sich die heilsame Breitenwirkung vor! -, das kann nicht sein. So weit ist die Menschheit noch nicht, da muß der Computerausdrucker einen falschen Klick getan haben. Daß alles so ist, wie es wohl nun mal sein muß — eben letztlich ein wenig schnöd – sieht man ja schon daran, daß Wilco, die großen Wilco nach all den langen lahren des Wartens auf ihre erste nennenswerte Deutschlandtournee seit 1999 nicht etwa den roten Teppich vor einer der heimeligeren Konzerthallen der Stadt ausgerollt bekommen, sondern hier im weitgehend ambientefreien Party/Rockschuppen des New Backstage abgestellt werden.

Daß das aber wiederum auch ziemlich wurscht ist, wird klar, als sie dann auf die Bühne schlurfen und anfangen, anrollen, sich erheben, mit dem bittersüß-sarkastischen „Misunderstood“, dem ersten Song ihres zweiten Albums being there, mit dem Wilco 1996 aufhörten, eine knuffige Alternative-Country-Band zu sein. They have come a long way seither, über böse Krisen und immer tollere, mutigere, erstaunlichere Platten, die zeigen, was alles aus Country/Rock-Humus – den Wilco ja nie verleugneten-erwachsen kann, wenn ein wacher, ruheloser und nicht zu Kompromissen aufgelegter Künstlergeist wie Jeff Tweedv die Harke führt. Viele Personalwechsel hat’s gegeben, neben Tweedy ist nur noch Bassist lohn Stirrat (neuerdings haarig zugewachsen wie ein Freak Brother) als Ur-Wilco dabei. Und diese seit über einem lahr tourende sechsköpfige Besetzung scheint wirklich der Perfektion nah, wie sie unvetkrampft zwischen kitschfrei wärmenden Americana-Traditionalismen und aufregenden Avant-Noise-Exkursen balanciert. Ein mit allen Ölen geöltes Maschinchen, in dessen Getriebe Tweedy, derlntuitionsgitarrist, meist in Komplizenschaft mit Zweitgitarrist Nels Cline immer wieder, bevor alles zu muckerig-perfekt gerät, gezielt Sand Streut. Wie et wa, wenn sie das schwungvoll-harmonisch dahinrollende „Handshake Drugs“ mit seinem Velvets-Country-Swing in der Auslaufspur zu zerlegen beginnen, erst atonale Löcher reinschießen, es perforieren und dann in einem anschwellenden Feedback-Kreisch-Gewitterzerbröseln, hinwegfegen.

Tweedy ist ausgeglichen, trockenhumorig, verspöttelt ein wenig die Amerikaner im Publikum, die sich wohl nicht gern zu erkennen geben wollen, was er verstehen könne, bleibt gelassen, trotz technischer Probleme: Wackelkontakte.

„Let ’s see if my amp works. Everything ’s breaking … Do we have a piano sound?“, fragt er Keyboarder/Gitarrist Pat Sansone. „Sometimes“, antwortet der, einigermaßen unbefriedigend. Tweedy nimmt’s hin: „Sometimes. Hm. l have a guitar sound sometimes. Okay, we’ll play some ofthis song. Whatever our equipment decides to you hear.“ Die Gerätschaften, so zum aktiven Mitgestalten eingeladen, haben ein Einsehen, lassen alles hören: die euphorischen Pop-Hämmerchen („I’m The Man Who Loves You“, „I’m Always In Love“), die ausufernden Großartigkeiten („At Least That’s What You Said“, „Spiders“), das herzwringende, überschwengliche „Hummingbird“, ich heul gleich.

Ein Höhepunkt inter pares: das gänsehautmachende „Via Chicago“, unbedingt einer der besten Tweedy-Songs, im umfangreichen Zugabenblock. Tweedy und Stirrat stehen da wie zwei Straßenmusiker auf dem Bahnsteig und spielen den düster-weltmüden, folkigen Song, zunehmend umtost von gewaltig hereinbrechenden und wieder abschwellenden Noise-Kaskaden der Rest-Band, wie vorbeirasende Höllen-U-Bahnen mit den Flying Luttenbachers an Bord. Münder stehen offen.

„Ashes Of American Flags“ hätte noch auf der Setlist gestanden, kam aber nicht mehr dran, weil danach in der selben Halle noch eine Veranstaltung anstand. Das ist eben so im Party/Rockschuppen. So blieb der letzte Song das aufgekratzte „I’m A Wheel“ mit der komischen Nonsense-Zeile „one, two, three, four, five, six, seven, eight, nine/ once in Germany someone said nein“. Doch alle sagten: ja.

www.wilcoworld.net