Original & Fälschung


Die Misere ist bekannt: Da kauft man ein teures Tour-Hemd, das nach dem Waschen in die Kinderabteilung paßt und der Aufdruck läßt sich nur noch erahnen. ME/Sounds sieht der Shirt- Mafia auf die schlimmen Finger

Die sind von Guns N’Roses , grinst Gerry, während er sein Hemd hochzieht und zwei lange Narben auf seinem Bauch bloßlegt. Bei der letzten Roses-Tour hatten ihn Band-Ordner dabei erwischt, wie er vor dem Mannheimer Open Air-Gelände gefälschte Tour-Shirts verkaufen wollte. Sein Fehler: „Ich wollte mich wehren, da hatte ich schon das Messer drin. Demnächst lasse ich mich lieber grün und blau prügeln.“ Gerry, einer der Dutzend Briten, die vor Hannovers Niedersachsenstadion mit einem Packen illegaler Rolling Stones-Shirts stehen, wird heute glimpflicher davonkommen: Die Band-Security greift ihn erst gegen Mitternacht, nimmt ihm die wenige unverkaufte Ware ab und knallt ihn nur ein Mal mit dem Kopf gegen einen Laternenpfahl. Seine Gewinn-Verlust-Rechnung: Ein geprelltes )ochbein und 80 Mark in der Tasche. Ob lächerliche zwei Mark Verdienst pro Shirt das wiklich wert sind? „Die Kohle gibt’s steuerfrei, Reise und Essen werden bezahlt, und meistens habe ich ja Glück mit den Ordnern.“

(me/sounds report)

Gerry ist der kleinste aller Fische in dem großen Geschäft mit den gefälschten Merchandise-Artikeln. Ein Geschäft, das den Hintermännern in Deutschland pro Jahr gut 20 Millionen Mark allein im Musikbereich einbringt. Das schätzt einer, der es wissen muß: Hermann Krapf leitet die deutsche Bootleg-Fahndungsabteilung beim Hosenhersteller Levis. Auf sein Konto gehen beschlagnahmte Jeans im Wert von jährlich 25 Millionen Mark.

Der Verkauf von Fan-Artikeln ist für jeden Star das wichtigste Umsatz-Standbein neben dem Plattengeschäft. Teen-Acts wie NKOTB oder Take That verdienen am kunterbunten Sortiment von Baseball-Kappen bis zur Robbie-Puppe inzwischen sogar mehr Geld als mit ihren CDs.

Meist verkaufen sie die Rechte an weltweit operierende Merchandise-Vermarkter wie ‚Winterland‘ (USA) oder ‚Brockum‘ (Niederlande). Für astronomische Summen, wie Harry Landje, ehemaliger Vertriebsleiter des Londoner Lizenz-Verwerters LCDG weiß: „Allein für das Merchandising zum ‚Keep The Faith‘-Album hat Bon Jovi einen Vorschuß von 17 Millionen Dollar kassiert. Bei der Endabrechnung wurden dann noch mal zehn Millionen draufgelegt.“ Landjes Firma ist inzwischen übrigens Pleite – ihr Versuch, auf legalem Weg durch den Ankauf von Lizenzen Shirts europaweit zu vermarkten, ging in die Hose. „Durch die teuren Lizenzen mußten wir zum Beispiel für Take That-Shirts bis zu 19 Mark vom Händler verlangen“, stöhnt Landje. „Kein Wunder, daß der sich auf dem Graumarkt lieber mit nur halb so teuren Bootlegs eindeckt.“

Viel kleinere Brötchen backen die deutschen Bands, die ein zeitlich begrenztes Merchandising schon für 30.000 Mark Garantiesumme plus 15’Prozent Umsatzbeteiligung verkaufen. Acts mit starker Fan-Bindung wie Die Toten Hosen, Pur oder die Böhsen Onkelz organisieren den Hemdenhandel meist im lukrativen Eigenvertrieb. Wenn sie Lust haben: „Merchandise langweilt mich in den Arsch hinein“, nörgelt Andreas Lesker, Manager der Fantastischen Vier. Die vier Rapper haben das Merchandising für ihr aktuelles Album ‚Lauschgift‘ an eine Dritt-Firma verkauft. Die Band kassiert 35 Prozent vom Umsatz, behält sich aber die Kontrolle von Stoff- und Druckqualität vor. Aus gutem Grund, wie Lesker verrät: „Wir haben keine Lust, diese Billig-Shirt-Scheiße mitzumachen.“ Was er verschweigt:

Die Band gibt auch das geschäftliche Risiko weiter. Als etwa das Album ‚Die 4. Dimension‘ 1993 nicht den erwarteten Verkaufserfolg brachte, flopte auch das Shirt-Geschäft. Die Folge: Der damals beteiligte Merchandiser ging mit fantastischen 30.000 Mark Miesen aus der Nummer raus.

Dennoch hat Lesker recht, wenn er auf die immer schlechter werdende Qualität der Fan-Ware sauer ist. Im Gegensatz zu einem normalen Kleidungsstück, das man in den Laden zurückbringen kann, wenn es nach der ersten Wäsche allenfalls noch der kleinen Nichte paßt, baut das Merchandise-Busineß auf die Vergeßlichkeit der Fans und vor allem auf die Vergänglichkeit des Verkaufs-Standes: Wer fährt schon der Band seines Vertrauens in die nächste Stadt hinterher, nur um ein trübes Tour-Shirt umzutauschen?

Dabei ließe die Kalkulation der Hemden-Schneider eine vernünftige Qualität von Stoff und Druck sogar noch bei einem Endverbrauchspreis von 30 Mark zu. Die Kölner Firma ‚Abgang‘ kalkuliert für den Einkauf eines qualitativ hochwertigen Rohlings beispielsweise rund sieben Mark, der Druck kostet gut drei Mark. ‚Abgang‘ bietet diese Shirts über eigenes Mailorder für 30 bis 35 Mark an. „Warum ein Sting-Shirt in der Halle 45 DM kostet, ist mir schleierhaft“, meint denn auch Abgang-Chef Paul Kalkbrenner. Die Preise, die an den Konzertständen bezahlt werden, hält er für völlig überzogen: „Bei diesen Auflagen könnte man das auch für 30 Mark machen.“

Oder für 20 Mark, wenn er selber in den Bootleg-Markt einsteigen würde. Vorgeschobener Grund für die hohen Preise in den Hallen ist der Schaden, der durch die Fälschungen angerichtet wird. Lesker schätzt den Bootleg-Anteil von Shirts seiner Band auf 20 Prozent, Kalkbrenner glaubt gar, daß 90 Prozent aller Fun-, Band- und Fußball-Leibchen illegale Ware ist: „Die verschieben hunderttausende von Shirts – da sehen Leute wie ich ganz klein aus. Die Pakistanis in Frankfurt bieten Einkaufspreise an, für die ich noch nicht einmal ein unbedrucktes Hemd bekomme. Wenn ein Shirt gut geht, wird das sofort von der Mafia kopiert. Dahinter stecken kriminelle Organisationen von Herstellern, Großhändlern und

Druckern, die seit Jahren zusammenarbeiten. Das sind die gleichen Typen, die auch Koks oder Waffen verticken. An die kommst du nur ran, wenn du in großem Stil ermittelst.“ Das bestätigt auch der Levis-Fahnder Hermann Krapf: „Hinter den Markenartikel-Piraten steckt dieselbe organisierte Kriminalität, die man auch beim weltweiten Mädchen- und Drogenhandel findet.“

Den Hintermännern ist kaum beizukommen. Wenn überhaupt, trifft es den Straßenverkäufer, den kleinen Händler. Für Kalkbrenner heißt das: „Klar – ich bekomme schon sehr leicht eine Einstweilige Verfügung gegen einen Händler. Doch dann behauptet er, nur vier Stück verkauft zu haben – weise ihm mal das Gegenteil nach! Notfalls unterschreibt er auch eine Unterlassungserklärung, dann verkauft eben sein Bruder weiter.“ Und im Zweifelsfall, wenn es doch noch vor Gericht geht, „sind die Richter ja schon überfordert, wenn sie zwei Jeans -Original und Fälschung – unterscheiden sollen.“

Eine Unterscheidung, die bei Musik-Shirts ohnehin immer schwieriger wird, denn „die Zeiten, als ein Bootleg noch automatisch ein schlechtes Shirt war, sind längst vorbei“, verrät Harry Landje. „Die Drucker von ‚Empire‘ aus Italien machen zum Beispiel viel bessere Shirts als die offiziellen Hersteller von Metallica- oder Guns N’Roses-Merchandising. Stoff, Druck und Design dieser Bootlegs sind bisweilen derart hochwertig, daß die Bands mittlerweile diese Teile ihren Vertragspartnern als Qualitätsmuster vorlegen.“ Auch Leskers Unlust am heißen Stoff kommt aus der Erfahrung, daß offizielle Shirts manchmal schneller wie ein Putzlappen aussehen, als die – für den Fan drastisch billigeren – Bootlegs: „Ich habe keine Lust, daß mich Fans, die uns seit fünf fahren treu sind, wegen einem Shirt anrufen, das nach zweimaligem Waschen kaputt ist.“

Ohnehin muß ein Hemd, das vor einer Konzerthalle angeboten wird, nicht automatisch eine Fälschung sein. Immer häufiger wird auch offizielle Ware auf der Straße verkauft: „Oft kommen die Roadies nach dem Konzert mit dem offiziellen Shirt vor die Hallen“, weiß Landje. Beispiel: Auf der letzten Guns N’Roses-Tour wurden so die Restbestände des alten ‚Welcome To The Jungle‘-Shirts vor der Halle für 15 Mark pro Stück verramscht. Landje hat schon Merchandise-Verkäufer gesehen, „die die 50 Mark-Shirts aus ihrer Kiste rausgegriffen und sie dann nach der Show draußen für 20 Mark verkauft haben.“

Bootlegging the Bootleggers nennt man das, was Gerry und seinen Komplizen das Leben schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Etablierte Bands stellen inzwischen eigene Ordner dafür ab, die Bootlegger durch die halbe Stadt zu jagen. Paul Kalkbrenner hat beobachtet, wie „bei Guns N’Roses Security-Jungs die Bootlegger vor den Augen der Polizei krankenhausreif geprügelt und ihnen die Ware abgenommen haben. 40 Ordner gegen 50 Bootlegger – das war wie im Krieg!“ Kalkbrenner kennt keine Gnade mit armen Kreaturen wie Gerry, selbst wenn dabei das eine oder andere Nasenbein unrechtmäßig zu Bruch geht: „Vor die Fresse hauen und Ware abnehmen ist das einzige, was hilft.“