Pannen in Pankow?


ME/Sounds: Die Gretchenfrage ist wohl letztlich die: Verhält man sich diplomatisch und geht politische Kompromisse ein, um überhaupt einen deutsch-deutschen Kulturaustausch ins Rollen zu bringen oder aber stellt man sich auf den Standpunkt“.Ich bin Rockmusiker und kein Diplomat und möchte daher meine politischen Ansichten hüben wie drüben unzensiert vertreten können? Konkret gefragt: Soll ein westdeutscher Musiker einen Vertrag unterschreiben, in dem sich die DDR Änderungen am Programm vorbehält?

Wolfgang: ..In dem Kleingedruckten heißt es da, daß sich die Künstleragentur und der örtliche Veranstalter Programmänderungen vorbehalten. Das kann natürlich im weitesten Sinne ausgelegt werden, bis hin zu den Ansagen. Und nach den Erfahrungen bei der Fernsehsendung in Magdeburg und der (nicht stattgefundenen) Pressekonferenz in Ostberlin kamen wir zu dem Schluß, daß die DDR-Funktionäre sich gesagt haben: .Denen dürfen wir keine Äußerung gestatten; wir müssen aufpassen, daß die möglichst pur mit ihren Liedern ankommen. Und die Lieder legen wir dann einfach zu unseren Gunsten aus.‘ Deshalb kann ich dem Udo nur raten, sich alles genau vertraglich genehmigen zu lassen. Man kann nicht auf der Goodwill-Welle reiten und sagen: ,Das kriegen wir an Ort und Stelle schon hin.'“

ME/Sounds: Wie sieht es mit dir aus. Udo ? Im Juli steht deine DDR- Tour an – wie willst du dich verhalten ?

Udo: „So einen Vertrag würde ich auch nicht unterschreiben. Wir müssen unsere Songs und unsere Haltung völlig unzensiert rüberbringen können. Nur bin ich ja der Ansicht, daß die Summe der Texte – eurer wie meiner – eine Haltung ergibt, die in der DDR ziemlich bekannt ist. Ich habe den Text von eurem Lied .Deshalb Spell Mer He gelesen und darin nichts entdeckt, was der DDR nicht bekannt wäre. Obwohl da einige Stellen drin sind, Attakken gegen die DDR-Führung…“

Wolfgang: „Na ja. Inzwischen würde ich auch sagen, daß einige Passagen da nicht so besonders sind. Nicht besonders insofern, weil sie nicht im Sinne dieses Liedes sind, nicht der Grund, warum wir überhaupt dahin fahren wollten. Die Zeile .Die Volksvertreter sind eine Clique‘ hätte ich. wenn ich drei Sekunden überlegt hätte, durch .Volksvertreter, ihr kriegt uns nicht vor den Karren gespannt‘ ersetzt. Die Aussage .vor den Karren gespannt‘ finde ich viel wichtiger, als die Volksvertreter als Clique zu bezeichnen. Das ist keine gute Zeile in dem Sinne, wie das Lied werden sollte.“

Udo: „Allerdings gibt es da ja mehrere Karren. Zum Beispiel den Karren .Gemeinsam raus aus der deutsch-deutschen Scheiße, in der wir uns durch die Rüstungs-Schraube befinden‘.

Deshalb finde ich. daß Zwischentöne sehr wichtig sind und auch in der DDR – zwischen den Zeilen – rübergebracht werden können. Zumal das DDR-Publikum sehr sensibel ist für Zwischentöne und atmosphärische Dinge. Ich glaube, daß auch solche Formulierungen klare Aussagen sind und als solche verstanden werden.

Ich sage bei jeder Gelegenheit, daß über alle Grenzen hinweg gesungen, gefördert und demonstriert werden muß.“ Wolfgang: „Soweit sind wir ja gar nicht gekommen, um das zu sagen. Ich habe vor der Leistung der DDR – ohne Marshall-Plan das Land aufzubauen auch unheimlichen Respekt. Für mich sitzen die moralischen Leute zum Teil sogar an den Spitzen drüben.

Udo: „Aber auch in der DDR-Führung gibt es reichlich Auseinandersetzungen, genau wie in der BRD. Und deshalb sind gemeinsame friedenspolitische Ansätze so notwendig. Unter dem Aspekt halte ich meine Tournee auch nach wie vor für richtig und fühle mich keineswegs vor den Karren gespannt. Wir müssen irgendwie zusammenkommen. Und da ist der kulturelle Austausch ein wichtiger Weg.

Daß die BAPs da die Summe ihrer Texte rüberbringen. gehört eben auch dazu. Ihr habt nun mal politische Lieder und seid keine Seicht-Kapelle wie so viele andere, die sonst in der DDR touren. Da öffnet sich ja eine neue Dimension der Kommunikation – und unter diesem Aspekt fand ich es bedauerlich, daß ihr die Tour abgesagt habt; andererseits kann ich eure Haltung verstehen.“

ME/Sounds: Glaubt ihr denn, daß eine unpolitische Tour wie die der Spider Murphy Gang wünschenswert ist. insofern sie zum Tauwetter im deutsch-deutschen Verhältnis beiträgt?

wenn hier so ostdeutsche Schlager-Bands auftreten. Ich finds natürlich schön, wenn sich eine Gruppe politisch engagiert, aber das ist schließlich ihre Entscheidung.“

ME/Sounds: Glaubt ihr denn, daß in absehbarer Zeit auf dieses Kleingedruckte in den Verträgen verzichtet wird 9 Wolfgang: „Ich glaube schon, daß sie mit diesem Passus nicht noch einmal kommen: das Ding hat ja nun wirklich genug Porzellan zerschlagen. Wir haben – wenn auch ungewollt – diese Praktiken etwas blamiert.“

Udo:“.Ich glaube, daß beide Seiten Erfahrungen machen werden und müssen, denn hier eröffnen sich neue Dimensionen, weil bis jetzt nur Seicht-Rocker da drüben gespielt haben. Erst jetzt kommt es gelegentlich zur Konfrontation gegensätzlicher politischer Beurteilungen. Die Leute vom DDR-Künstlerdienst sind ja zum Teil schon etwas couragierter geworden. Und wenn dann eine Tournee über die Bühne geht, ohne daß es unterm Strich einen Eklat gibt, dann können die da auch weitermachen.

Wolfgang: ..Genau. Aber da ist noch ein anderer Fehler, den wir gemacht haben: Wir hätten uns nicht auf dieses Festiva .Rock für den Frieden einlassen sollen. Wenn wir einfach nur eine Tournee gemacht hätten, wären wir nicht vor den Karren gespannt worden. Die Gefahren sind bei den offiziellen Veranstaltungen ungleich größer.“

Udo: Irgendwie ist das ein politischer Hochseilakt: durch nur eine schiefe Formulierung entstehen Mißverständnisse und die verselbständigen sich dann in den Medien. Jedes Statement wird unheimlich hoch bewertet und auf die Goldwaage gelegt. Ich glaube, das ist drüben unheimlich wichtig wichtiger noch als hier. Obwohl man sich grundsätzlich immer um Klartext bemühen sollte aber drüben kommt eben noch eine diplomatische Variante dazu…“

Wolfgang: „Das ist aber genau das, womit eine Rockband überfordert ist. weil das zur 12 Rockmusik in totalem Widerspruch steht.“

Udo: „Klar, ihr sagt: .Verdammt nochmal, wir sind Musiker und keine Politiker.‘ Aber hier beginnen die fließenden Grenzen.“

ME/Sounds: Udo hat vielleicht auf diesem Gebiet auch schon mehr Erfahrungen gemacht als BAP.. .

Wolfgang: „Weiß ich nicht.“

ME/Sounds: Insofern er es vielleicht besser versteht, in dieser Grauzone die besseren Formulierungen zu finden, nicht unnötig jemanden vor den Kopf zu stoßen.

Udo: „Ich bin in der DDR vielleicht mehr als BAP dazu bereit, auf Impulsives zu verzichten. Ich denke mir: .Wenn du das so sagst, könnte es dieses Mißverständnis geben: wenn du es so rum sagst, könnte es besser klingen. Euer Major Healey z.B. sagte mir ja auch, daß ihr dieses impulsive Ding grundsätzlich drauf habt.“

Wolfgang:“.Wir sind immer so. Man kann keinen Auftritt von uns vorplanen. Man kann nicht vorher sagen: Jetzt kommt diese Ansage und dann läuft das und das ab. 1 Das läuft bei uns nicht 1 Da käme ein total verkrampftes BAP-Programm heraus. Das hat mit unserem Verständnis von Rockmusik nichts zu tun, wenn wir so beschnitten würden.

Rock-Texte müssen dieses Privileg haben, eine Mischung aus subversiv, naiv, fordernd auch das Unmögliche fordernd – zu sein Und wenn da lemand einen staatlichen Eingriff macht. 1 ist das von vorneherein Asche.

Udo: „Damit kein Mißverständnis aufkommt, muß ich dazu aber sagen, daß es bei euch was zwischen den Zeilen gibt, aber durchaus auch m den Zeilen. Klar machen wir zunächst einmal Rockmusik. Aber wenn wir in der DDR spielen, in einem anderen System also, dann ist Rockmusik auch ein Politikum. Und wenn wir uns in diesen politischen Bereich begeben, dann muß man sich eben über jeden Satz genau Gedanken machen, muß man politische Sachen genau auf den Punkt bringen…“

Wolfgang: „Ich hab das auch nicht gesagt, um dir da einen reinzuwürgen. Wenn das für dich funktioniert, finde ich das völlig okay. Manchmal denke ich mir ja auch: .Ach könnt ich das doch hinkriegen!

Udo: „Es gibt sicher viele Parallelen zwischen uns, das ist ganz klar. Die Summe eurer Texte ergibt so etwas wie einen .aufrechten Gang : das ist nicht die .Schmalspur-Abteilung 1 , sondern eine Neu-Orientierung auf der Suche nach einer faireren Gesellschaft – um es mal ein bißchen simpel auszudrücken.

Und wenn so was in der DDR auf die Bühne gebracht wird, bringt das den Leuten nicht unbedingt neue Erkenntnisse, aber es ist ein atmosphärischer Aufheller. Und der gibt den Leuten drüben vielleicht die Energie, nicht zu resignieren, sondern konstruktiv an der GesellSchaft weiterzubasteln.

Denn schließlich ist das gesellschaftliche System der DDR genauso ein Experiment wie das System der BRD. Auf beiden Seiten ist sicher noch nicht der Weisheit letzter Schluß gefunden worden. Ich meine, daß man aus beiden Systemen etwas Gemeinsames aufbauen muß. Und das geht eben nur über Öffnung, über Annäherung, über konstruktiven Austausch von Erfahrungen, die beide Systeme machen.“

Wolfgang: „Nur haben wir es als politische Rocker weitaus schwerer, weil wir uns in einer schizophrenen Situation befinden: Hier sind wir volle Kanne am machen – und drüben sollen wir es mit gebremstemSchaum tun. Und mit gebremstem Schaum – oder mit gar keinem Schaum wie die Spider Murphy Gang – verkleisterst du nur die Zustande. Wir müssen uns eben abgrenzen – immer wieder!“

Udo:“.Aber wenn du deine Texte singst, dann ist das doch nicht gebremster Schaum?“

Wolfgang: „Nee, wir müssen halt nur mehr aufpassen als z.B, die Spiders. Die können einfach rüberfahren: .Aha, das war die Grenzkontrolle, jetzt fahren wir weiter 1 . Diese Haltung wäre mir einfach zu billig: dann würde ich gar nicht erst fahren, da käme ich mir vor wie Rex Gildo.

Ich habe den Artikel über die DDR-Tour der Spiders in ME/ Sounds gelesen. Was da abgegangen ist, hat mir sehr leid getan. Das ist nicht das. was man machen sollte. Ich könnte nicht als Rocker sagen: ,lch möchte auch mal gerne in der DDR spielen 1 . Einfach Zustände verkleistern – das ist nicht mein Ding.“

ME/Sounds: Wenn die DDR bereit wäre, auf die Zensur-Paragraphen in den Verträgen zu verzichten, müßte sie doch eigentlich auch so weit fortgeschritten sein, daß sie nicht mehr westliches Radio und Fernsehen abblockt. Aber das dürfte doch wohl in absehbarer Zukunft noch nicht der Fall sein…

ME/Sounds: …und die Großwetterlage im Auge behaltend.

Udo: „Sicher, die Direktiven aus Moskau, ganz klar. Die sind ja weniger eigenständig als wir. Wir können hier ja noch gegen Reagan demonstrieren: die drüben sind da halt limitierter. Aber das kann sich ja noch ändern… je nachdem, was sich in der UdSSR entwickelt: ob da die Militärs die Kiste übernehmen oder die Freunde der Entspannung.“

ME/Sounds: Welche konkreten Schritte wirst du denn nun bezüglich deiner Tournee unternehmen ? Willst du die Dinge ein wenig abkühlen lassen oder gleich die Punkte klären, an denen die BAP-Toumee gescheitert ist?

Udo: „Ich werde in den nächsten Tagen wieder in Ost-Berlin sein und mich mit diversen Leuten unterhalten. Wir werden die Tour richtig durchorganisieren, mit Verträgen, Hallen, Stadien…“

Wolfgang: „Also auf die Stadien bin ich gespannt.“

Udo: „Darüber habe ich bereits mit der Spitze des FDJs geredet. Ich habe ihnen klar gemacht, daß das gar nicht anders geht – bei unserer Popularität in der DDR.“

Wolfgang: „Klar, die ist ja auch über Jahre ständig gewachsen… Die Sache mit den Stadien ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, eine gerechte Kartenverteilung in den Griff zu bekommen. Bei uns ist das erwiesenermaßen ja nicht so gelaufen: Für die Halle in Leipzig etwa, wo 8000 Leute reingehen, sollten angeblich 700 in den freien Verkauf gehen. Aber letztlich waren es nicht 700, sondern nur 115 Karten. Das ist lächerlich, deshalb muß man sich schriftlich absichern, daß die Karten nicht nur an die linientreuen FDJler gehen.

Mir ist es wichtiger, auf den anstößigen Song zu verzichten und mich an ein Programm zu halten, wenn ich weiß, wohin die Karten gehen. Ich will mich ja gar nicht auf die Bühne stellen und den Muskelmann spielen und sagen: .Schaut her. wie toll ich euch an den Karren pissen kann. 1 Auftritte in Stadien wären natürlich riesig, weil es so viele Linientreue gar nicht geben kann. Bloß, ich glaub da noch nicht dran. Wieviel Stadien sollen es denn sein?“

Udo: „Ist im Moment noch nicht raus, vielleicht zwei oder drei, vielleicht aber auch nur eins in einer zentralen Stadt, wo man dann ein zweites oder drittes Wiederholungskonzert dranhängen könnte.“

Wolfgang: „Das wäre der Idealfall.“

Udo: „Dadurch würden auch die Kosten im Rahmen bleiben. Daß wir Kohle mitbringen müssen, ist sowieso klar, aber es würde dadurch ein bißchen billiger.

Also, ich bin optimistisch. Bei dem Auftritt im Palast der Republik vor einigen Monaten hat ja auch keiner gewußt, was ich sagen und was ich singen würde. Die haben mich auf die Bühne gelassen und meine Sachen unzensiert in der gesamten DDR über die Glotze laufen lassen.“

Wolf gang: „Ich versteh das nicht: Das waren doch die gleichen Voraussetzungen wie bei uns, aber es ist bei dir ganz anders gelaufen.“

ME/Sounds: Kann es vielleicht daran liegen, daß Udo gleich mit einer höheren Etage verhandelt hat, die mehr Handlungsfreiheit hat?

Wolfgang: „Das ist nicht auszuschließen!‘ Udo: „Es war der DDR-Führung sicher wichtig, einen Vertreter der westlichen Friedensbewegung vorweisen zu können und die ganze Sache zu internationalisieren. Und in dem Zusammenhang sind ein paar Gespräche gelaufen. Einige Leute hatten das Bedürfnis, mich ein wenig näher kennenzulernen. Ich wurde also eingeladen und habe einige entspannte, informative Gespräche geführt. Danach wußten sie: „Alles ist okay, das können wir riskieren.“ Wolfgang: „Aber wir sind in unseren Texten auch krasser als du. Die da drüben haben sich ja schon über deinen ,Sonderzug nach Pankow‘ aufgeregt. Stell dir vor, Honecker kommt wirklich mit einer Flasche Cognac auf die Bühne, das war doch tierisch lustig.“

Udo: „Einem Staatsrats-Vorsitzenden in der DDR eine Lederjacke auf’s Kreuz zu dichten, das ist schon frech. Und trotzdem haben sie sich alle eins gekichert, weil das eben von mir charmant formuliert war. Der Text ist sicher nicht heavy, hat aber sowas wie eine symbolische Wichtigkeit. Und bedauerlicherweise gibt es ja nicht viele Bands wie euch und uns, die sowas machen.

ME/Sounds: Sollten Udos Stadion-Auftritte wirklich klappen, könnte er ja vielleicht checken, ob nicht dort auch BAP als „Special guest“ auftreten könnten…

Udo: „Fand‘ ich Spitze, weil BAP eine Band ist, die ich sehr, sehr schätze. War schön, wenn wir was gemeinsam machen könnten.“