Patrick Wagner im Interview


Patrick Wagner, der Kopf des Labels Louisville Records, über die Krise der Musikindustrie, die Schwierigkeiten von Indielabels und Wohl und Wehe des Web 2.0.

Patrick Wagner

war Mitbegründer des Labels Kitty-Yo, A&R bei der Plattenfirma Motor, Sänger der Band Surrogat – seit drei Jahren leitet er nun mit seiner Frau Yvonne das nach seinem kleinen Sohn Louis benannte Label

Louisville Records

. Bei dem Berliner Familienbetrieb erscheinen Bands wie Jeans Team, Kissogram, Puppetmastaz, Naked Lunch und Navel. Auf der „3-Ländereck-Tour“ zum dritten Labelgeburstag im September demonstrierte Louisville einmal mehr, dass es bei ihnen noch um die guten alten Dinge geht: Kreativität, Zusammenhalt und einen Heidenspaß.

Du hast massig Erfahrung in der Plattenindustrie gesammelt, bei Indies wie Majors – welche Schlüsse habt ihr für Louisville aus diesen Erfahrungen gezogen? Patrick Wagner:

Wir wollen möglichst schmal bleiben, um möglichst viel Kraft und Geld in Musik stecken zu können und möglichst wenig in Büro, Gehälter, Overhead usw. Außerdem kann man sinnvoll mit zwei bis vier Leuten nie mehr als drei bis vier Alben pro Jahr rausbringen. Als Label muss man sich davon lösen, dass man nur für Tonträger arbeitet, man arbeitet für Karrieren von Künstlern und braucht demnach einen Fünf- bis Zehnjahresplan. Kurz – dieser gesamte Management- und Tonträgerbereich verschmilzt.

Welche Möglichkeiten hat ein Indielabel heute, seine Künstler an den Mann zu bringen? Wie viel von den traditionellen Strategien funktioniert noch, welche Rolle spielt das Web 2.0 wirklich? Patrick Wagner:

Eigentlich funktioniert im Moment keine Strategie, außer die des Aktivismus: Jede Band hat zu jeder Zeit 1000 Baustellen, die alle möglichst gut miteinander abgestimmt, von allen Beteiligten, inkl. Künstler, beackert werden müssen. Web 2.0 spielt dabei genauso eine – aber nicht wichtigere – Rolle wie alle anderen Tools.

Ist es tatsächlich so, dass Konzerte und Tourneen wieder wichtiger geworden sind? Patrick Wagner:

Ich drücke es mal so aus, ein Künstler mit europa- oder weltweiten Ambitionen, der nicht mindesten 150 Shows im Jahr spielt, hat nicht die geringste Chance auf Erfolg bei einem Indielabel, zumindest die ersten zwei bis drei Jahre. Die Wahrheit ist, echte Menschen sind inzwischen so schlau, nur noch das zu glauben, was sie mit eigenen Ohren und Augen hören und sehen. Im Prinzip wie in den 50ern.

Ist es nicht so, dass der rein marktwirtschaftliche Aspekt von Popmusik alle Diskussionen über neue Distributions- formen über Gebühr dominiert? Sollte man nicht gelegentlich auch darüber sprechen, dass die neuen Kommunikationsmöglichkeiten zuallererst begünstigen, was eigentliches Anliegen von Künstlern ist – mit ihrer Kunst Menschen zu erreichen? Patrick Wagner:

Seh ich auch so, erst einmal ist es großartig, dass Künstler die Chance haben, ohne jedes Budget eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Mein Problem damit ist eher ein inhaltliches, alles was im Web 2.0 erfolgreich ist, erschließt sich innerhalb von fünf bis zehn Sekunden und viralisiert deshalb. Louisville-Künstler und die Musik, die uns interessiert, ist nicht immer so reißerisch und funktioniert über Dinge wie Zeit, Reflexion, Auseinandersetzung. All das lässt sich relativ schwer im Netz so darstellen, dass sich irgendwer berufen fühlt: eh echt geil guck mal „Naked Lunch“ in seine Forward Mail zu schreiben. So setzt sich auf der Ebene in erster Linie Krieg & Sex durch.

Am Beginn der Krise der Musikindustrie – die immer mehr eine Krise der Industrie als der Musik war – herrschte die Hoffnung, die Indies könnten von dieser Krise mittelfristig sogar profitieren. Warum leiden jetzt doch in erster Linie die Indielabels? Patrick Wagner:

Indies können schlechter einsparen, zum Beispiel Personalkosten. Indies werden auch selten von musikfernen Konzernen aufgekauft. Abgesehen davon gibt es momentan sehr, sehr erfolgreiche Indies wie Domino, die sich grad ein Haus in Berlin gekauft haben aus dem Franz-Monkeys- Ferdinand-Geld. Das belegt die Tatsache, dass dieses ganze Geschäft sehr nahe am Glücksspiel steht. Vor acht Jahren, als ich den Chef von Domino kennen gelernt hatte, waren sie total am Ende.

Wie siehst du die Zukunft von Louisville Records? Patrick Wagner:

Ich glaube, vor uns liegt eine tolle und erfolgreiche Zukunft. Wir haben, wie ich finde, gerade die tollsten Künstler der Welt – die alle noch lange nicht ihren Zenit erreicht haben. Und klar, wir wollen uns dieses Haus, in dem wir leben und arbeiten, kaufen. Und daraus ein Eldorado für Kunst, gute Leute und Spinner machen – so Factory-mäßig – um dann nicht mehr zu viel zu arbeiten.

Michael Wopperer – 23.10.2007