Paul Simon: Out of Africa


Simon zog's gen Südafrika. Natürlich nicht zum ungeliebten Apartheid-Regime, sondern zu jenen Musikern, die selbst unter den politischen Repressionen zu leiden haben. Prompt gab's Beifall auf der einen - und blanken Hohn auf der anderen Seite. Moralische Unterstützung oder Kulturimperialismus?, fragte Steve Lake ganz keß, als er sich den musikalischen Entwicklungshelfer in Paris zur Brust nahm

Paris. Im U-Bahnhof Charles De Gaulle-Etoile spielt eine Gruppe senegalesischer Sänger und Trommler für ein paar Centimes. Geschäftige Großstädter eilen vorüber, als ob die Musiker unsichtbar wären.

Ein paar Häuserblocks weiter lauscht eine internationale Journalisten-Crew in der kostbaren Eleganz des Hotel Raphael ehrfürchtig einem Paul Simon, der gerade erklärt, wie er die afrikanische Musik jetzt nach Europa bringen will. Richtig, bei der Tour im Frühling ’87 wird er von 26 südafrikanischen Musikern begleitet werden.

Meine instinktive Reaktion – womöglich eine unfaire Reaktion – besteht darin, mich darüber zu wundern, wie wir immer wieder auf diese ach so noblen Gesten abfahren können. Für einen weißen Liberalen scheint es heutzutage so leicht, sich ein paar Flügel und einen Heiligenschein zu verleihen: er segelt auf heiligen Taten voran, die den merkwürdigen Effekt haben, vor allem das eigene Image aufzupolieren – und nebenbei vielleicht auch eine kleine gute Tat zu vollbringen. Jerry Dammers schreibt „Nelson Mandela“ und begleicht mit dem Gewinn seine überfälligen Studioschulden; Bob Geldof wird für den Friedensnobelpreis nominiert, während die Aussichten für Äthiopien immer finsterer werden; Sting „rettet“ den schwarzen Jazz und gewinnt um Haaresbreite auch noch den Playboy Jazz-Poll.

Und da steht Paul Simon, der den Boykott der Vereinten Nationen bricht und in Johannesburg ein paar Lieder aufnimmt. Das Resultat heißt Graceland, ein weltweiter Erfolg. Und da sich seine Texte eigentlich nicht mit dem südafrikanischen Pulverfaß beschäftigen (Ausnahme: ein Bild in „The Boy In The Bubble“ über „die Bombe im Kinderwagen“), erschien die Platte auch in Südafrika und wurde selbst da die Nummer eins.

„Ist die Platte Anti-Apartheid?“

fragt ein belgischer Journalist.

„Natürlich ist sie das“, antwortet Paul Simon, betroffen, daß jemand diese Frage überhaupt stellen konnte. „Natürlich ist sie’s.“

Paul Simon führt in diesen Monaten also einen Kreuzzug für die schwarzafrikanische Musik. Er hat eine Platte der Gruppe Ladysmith Black Mambazo aus Durban produziert und sie bei einer amerikanischen Plattenfirma untergebracht; Hugh Masekela, von Südafrika seit ungefähr 20 Jahren ins Exil verbannt, wird bei Pauls Tour Trompete spielen. Auch er hat gerade einen neuen Vertrag in den USA abgeschlossen.

Klar, daß sich diese Leute nicht beschweren. Sie können jede Hilfe gebrauchen, die sie kriegen. Aber ich frage mich, wie sie wohl über die weiße, fütternde Hand reden, wenn sie unter sich sind…

Frage: Ist denn Ihre Aneignung der afrikanischen Musik, Mr. Simon, nicht ein weiteres Beispiel für kulturellen Imperialismus?

„Ich glaube, darum geht’s hier nicht. In der Musik spielt sowas gar keine Rolle. Das kommt mir so vor, als ob jemand zu Ray Charles oder Stevie Wonder sagen würde: „Was fällt Ihnen ein, auf diesem europäischen Instrument des 18. Jahrhunderts zu spielen?“ (Die Pariser Pressekonferenz lacht und klatscht zustimmend.) Was für Regeln sind das? Musik geht ihren eigenen Weg. Und genau das ist hier passiert. Musik tut keinem weh. Und Musik kann man niemandem wegnehmen. „

Kann man denn eine Musiktradition, nachdem man sich ihrer bedient hat, wie eine leere Hülse wegwerfen. Wenn er die Tour erst mal hinter sich hat, hat sich’s auch mit Paul Simons Afrika-Odyssee.

„Es ist mein Grundsatz, mich nie zu wiederholen. Ich kann wirklich nicht sagen, wie die nächste Platte ausfallen wird, aber es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, daß es eine weitere afrikanische Platte wird. „

Richtig. Paul wird Afrika abhaken. Wie er Südamerika abgehakt hat. Erinnert sich noch jemand an „El Condor Pasa“?

Ich habe keinesfalls die Absicht, Paul Simon der musikalischen Ausbeutung zu bezichtigen. Im Gegenteil: Ich stimme dem allgemeinen Kritikertenor, der GRACELAND als eines der besseren Popalben der letzten Zeit bezeichnet, voll zu. Es ist nur der Drang weißer Sozialarbeiter nach Rampenlicht und Anerkennung für ihre gute Tat, der mir im Hals stecken bleibt.

Wie dem auch sei: Paul Simon hat sich, bevor er seinen Afrika-Trip anging – mit Quincy Jones und Harry Belafonte beraten.

– Die Vereinigung schwarzer südafrikanischer Musiker hat darüber abgestimmt, ob sie ihn wollten oder nicht. Sie wollten.

– Jeder Musiker hat einen Stundenlohn von 196.41 Dollar erhalten. Das entspricht der U.S. „triple scale“, der besten Sessionbezahlung in Amerika. Musiker, deren instrumentaler Beitrag das Wesen eines Songs völlig veränderte, wurden als Co-Komponisten anerkannt und werden prozentual an den Einnahmen beteiligt. Simon: „Ich weiß nicht, was ich mehr hätte tun können.“

Fühlst du dich als Heiliger, Paul Simon? Schlecht komme ich mir vor, als ich diese Frage stelle. Er hat einen leicht gekränkten Gesichtsausdruck. Klein und verletzlich sieht er aus, wie Dustin Hoffmann. Er schrumpft in den Kragen seines Mantels zusammen.

„Noooo“, antwortet er mit einer sehr leisen Stimme. „Ich fühle mich nicht heilig. Ich glaube, die Musik isi wirklich gut. Das ist alles. Ich glaube, den Leuten wird sie gefallen. Die Leute, die das Ladysmith Black Mambazo-Album gehört haben, lieben es. Ich weiß nicht, ob es ein großer kommerzieller Erfolg wird… Ich glaube, daß Studenten es mögen werden. Ein Heiliger? Nein. Ich helfe einem Freund. (Ladysmith-Chef) Joseph Shabala und ich sind uns wirklich sehr nahe gekommen.“

Trotzdem gibt es über den Erdball verstreut eine Handvoll ungläubiger Thomasse, Zyniker, die es z.B. ironisch finden, daß Linda Ronstadt auf der Platte mit Paul Simon ein Duett namens „Under The African Sky“ singt. Immerhin ist Ms. Ronstadt in dem berüchtigten weißen Entertainment-Komplex Sun City aufgetreten.

„Ja, sie hat in Sun City‘ gespielt. Es war ein Mißverständnis. Man hat sie über das, was das ist, falsch informiert. Es lag bestimmt nie in ihrer Absicht, die dortige Regierung zu unterstützen.“

Es wird erzählt, daß man dir angeboten hat, in Steve van Zandts Anti-Sun City-Video aufzutreten und auch an Aufnahmesessions teilzunehmen – und daß du abgelehnt hast.

„Das ist wahr. Auf dem Demo, das van Zandt rumgeschickt hat, waren tatsächlich all die Leute, die in Sun City gespielt hatten, namentlich aufgelistet. Ich dachte: ‚Das kann ich Linda nicht antun.‘ Sie ist eine gute Freundin. Außerdem ist das nicht meine Art, mit dem Finger auf Leute zu zeigen. Man muß ihnen Gelegenheit geben, zu sagen: ‚Ich hab da einen Fehler gemacht.‘ Das war also ein Grund, nicht mitzumachen; und dann war ich schon dabei, die Arbeit an meiner eigenen Südafrika-Platte zu beginnen …“

Wobei es sich nicht um eine Protest-Platte handelt.

„Es ist keine ausdrückliche politische Platte, nein. Tatsächlich war ich nie einer dieser politischen Schreiber, nicht in der Art wie Dylan oder Phil Ochs. Ich glaube, sie ist ohne weiteres eine Protest-Platte, insofern, als daß sie Leuten wie Joseph Shabala, Isaac Mtshali und Ray Phiri eine Chance gibt, gehört zu werden. Viele dieser Musiker sehen sich als Opfer einer doppelten Apartheid‘: nicht nur, daß ausländische Musiker nicht nach Südafrika kommen – noch dazu wird ihre eigene Musik nicht gehört. So gesehen arbeitet der kulturelle Boykott auf einer musikalischen Ebene gegen sie.“

Dabei überzeugt Graceland gerade auf der musikalischen Ebene am meisten, und nicht bloß, weil das Album afrikanische Musik präsentiert. Darüber, daß es technisch ein unglaubliches Meisterwerk ist, spricht niemand. Wenn wirklich derjenige die Credits kriegen würde, der sie verdient, dann müßte vorne auf dem Cover in großen Lettern stehen: TONINGENIEUR: ROY HALEE. Das Album wurde an allen möglichen Orten aufgenommen: von Johannesburg bis ins Hinterzimmer eines Musikladens in Louisiana. Trotzdem klingt es wie aus einem Guß. Halee macht auch Simons ideologischen Überbau – die fragliche Ansicht, daß es eine musikalische Welt ist, in der wir leben – durchaus glaubhaft, und zwar mit der Art, wie er die Instrumente und Persönlichkeiten im Soundmix ausbalanciert. Er schafft die Verbindung zwischen der Pedal Steel-Gitarre von Demola Adepoju aus King Sunny Ades Band und den Gesangsharmonien der Everly Brothers und macht daraus eine Art Dritte Welt-Country & Western-Swing. Wären weniger begabte Hände an den Reglern gewesen, so hätte Graceland wie ein schlechter Empfang auf dem Langwellen-Radio klingen können, wo sich verschiedene Stationen gegenseitig überlagert.

Simon: „Ich wollte nicht schlicht und einfach eine afrikanische Platte machen, vielmehr war ich daran interessiert zu sagen: .Seht her, diese Musik ist gar nicht so exotisch und fremd, wie ihr vielleicht glaubt. Sie hat viele Gemeinsamkeiten mit der Musik, mit der wir aufgewachsen sind…'“

Wie dem Leser vielleicht bekannt sein wird (zumal Simon den Fall in seinen umfassenden Cover-Texten zu Graceland detailliert geschildert hat), war der Anstoß zu dem Projekt die Kopie einer Kopie einer Cassette von einem Album namens Gumboots: Accordion Jive Hits Volume II. Ein Freund hatte sie, ohne ihren Ursprung zu kennen, Simon gegeben, den die Musik fortan Tag und Nacht verfolgte. Paul fand, daß sie eigentlich stark nach 5Uer Rock klang. Nachdem er die Herkunft der Musik bis nach Soweto, und zwar zu den Boyoyo Boys, zurückverfolgt hatte, war Simon fast entschlossen, die Beziehung dieser Musik zum guten alten Rock „n‘ Roll auch deutlich zu machen. Die letzten beiden Songs etwa („That Was Your Mother“ und „The Myth Of Fingerprints“) präsentieren eine ungewöhnlich kosmopolitische Mixtur. Beim ersten Titel spielt die Cajun Zydeco-Band Good Rockin‘ Dopsie And The Twisters; beim anderen ist die mexikanisch/amerikanische Gruppe Los Lobos zu hören. Bei beiden Bands steht das Akkordeon im Mittelpunkt. Und genau darum hat Paul Simon sie engagiert.

„Ich weiß nicht, ob das Akkordeon bei Los Lobos und das bei den Boyoyo Boys dasselbe Instrument ist. Das zu beantworten, wäre die Aufgabe eines Musik-Ethnologen, und der bin ich nicht. Aber im übertragenen Sinne ist es, glaube ich, dasselbe Akkordeon.“

Vielleicht ist es Zeit für eine Anekdote. Wir brauchen jetzt mal was Leichtes, zumal Simons Texte nicht gerade zum Brüllen komisch sind: er steht nun mal auf ernste Selbst-Prüfung. Über den mysteriösen Text von „You Can Call Me Al“ müssen sich allerdings viele Hörer gewundert haben. Ich zitiere: „Bist Du mein Bodygard Kann ich Dein lang verlorener Busenfreund sein/Ich kann Dich Betty nennen/Und, Betty, Du kannst mich Al nennen.“

Betty? Al? Was will der Dichter uns damit sagen?

Ein Scherz von Paul. Vor langer Zeit, als Simon & Garfunkel auf dem Höhepunkt ihrer Karriere standen, hatte jemand Pierre Boulez, den gefeierten Dirigenten und Komponisten, zu einer Party bei Paul mitgebracht.

„Ich glaube, das war nicht gerade die Art von Parties, auf die Pierre Boulez sonst ging. Trotzdem schüttelte er mir am Ende des Abends wärmstens die Hand und sagte:, Well, danke für den wundervollen Abend, Al, und grüßen Sie bitte Betty von mir.“ Ich weiß bis heute nicht, was er glaubte, wer ich war, oder wo er war. Aber die nächsten paar Monate lang nannten meine Frau Peggy und ich uns Al und Betty. „

In Anbetracht der finanziellen Grundlage, die dir der immense Erfolg über die Jahre hinweg gebracht hat, spürst du immer noch einen schöpferischen Drang? Oder ist Songschreiben nur noch eine Beschäftigungstherapie? (Diese Frage provoziert wieder ein getroffenes, schockiertes Zusammenzucken.) „Um die Wahrheit zu sagen: Geld hat auf mein Denken nicht den geringsten Einfluß. Ich verspüre aber auch keinen Drang, krampfartig etwas zu schaffen. Es … kommt einfach. Wenn ich eine Zeitlang aufhöre, kommen mir automatisch Ideen. Liederzeilen fallen mir ein. Also schreibe ich einen Song. Ich hasse es, einen Song anzufangen. Ich hasse es! Die Anfänge tun wirklich weh. Aber ich liebe es, mittendrin zu stecken. Oder zu zwei Dritteln fertig zu sein. Das ist wirklich das Beste.“

Liegt dir überhaupt noch was daran, Hits zu haben?

„Nein. Ich habe viele Jahre lang Hits gehabt und kann nicht erwarten, sie immer noch zu haben. Ich glaube nicht, daß Hits die Angelegenheit eines reifen Künstlers sein sollten. Das ist die Domäne der Jungen. Du willst einen Hit landen, um da reinzukommen, dir einen Namen zu machen und ihn in Leuchtbuchstaben zu sehen. Obwohl es angenehm ist, Hits zu landen, ist es auch ein ziemlich hohles Vergnügen. Vor allem, wenn du mit Songs einen Hit landest, die du selber nicht unbedingt gu: findest. Ich mag viele von den Simon & Garfunkel-Sachen nicht. Ich habe „Me And Julio Down By The Schoolyard“ oder „Mother And Child Reunion“ auch nie sonderlich geschätzt-„

Also macht man weiter in der Hoffnung, etwas dazu zu lernen?

Ja. Man hofft, daß man, wenn das Talent verschwindet oder abgenutzt ist, genug gesunden Menschenverstand hat, um rechtzeitig aufzuhören. Was viele meiner Zeitgenossen meiner Meinung nach nicht getun haben. Aber es ist immer inspirierend, Leute einer älteren Generation zu sehen, die noch vorn dran, immer noch kreativ und innovativ sind. Benny Goodman war immer noch aktiv, hat immer noch gespielt, bis er 75 war und gestorben ist. Genauso will ich ’s auch machen.“