Pete Shelley


Statt mit den Buzzcocks arbeitet Pete Shelley jetzt mit Maschinen. Popmusik für die Zukunft.

Pete Shelley. Ein kurzer Blick zurück … („Looking back on life is such a retrospective thing“/ „Yesterday’s Not Here“.) 1976, im Fluß der schnellen Gitarren-Riffs, als in London die Sex Pistols wüten, gründen Howard Devoto und Pete Shelley in Manchester die Buzzcocks. Devoto (Vocals), Shelley (Gitarre), Steve Giggle (Baß) und John Maher (Drums) bringen Anfang 77 das legendäre Punk-Statement SPIRAL SCRATCH heraus, eine EP mit vier Devoto/Shelley Kompositionen. Unruhig/treibend mit bubble-gum-ähnlichem Devoto-Gesang. Devoto verläßt die Buzzcocks (um Magazine zu gründen), Shelley übernimmt den Gesang.

Nach Devotos Abkehr entwickeln sich die Buzzcocks weg von den rasenden Riff-Strukturen hin zu einer eigenwilligen/intelligenten Kombination von Pop und Experiment. Die von Shelley geschriebenen Pop-Songs konzentrieren sich auf Liebe, Freundschaft – romantisch und visionär. Drei LPs erscheinen: ANOTHER MUSIC IN A DIFFERENT KITCHEN (1978), LOVE BITES (78) und A DIFFERENT KIND OF TENSION (79). Shelley selbst bringt Anfang 1980 auf seinem eigenen Label Groove Records das Solo-Werk SKY YEN heraus, eine seltsame Ansammlung von dröhnenden/oszillierenden Geräuschen, die Shelley 1974 mit einem Oszillator produziert hat. Die Buzzcocks lösen sich im März ’81 auf. Shelley ist mehr oder weniger allein. „And we are on our own and the only thing known is our love.“ „Homosapien“

Allein sitzt er mir gegenüber in einem südwestenglischen Badedorf (nichts als Rentner zu sehen und ich wundere mich, wer da wohl heute Nacht zum Konzert kommen soll. Shelley hat den Charme eines Engländers aus der Provinz. Im schwarzen Duffle-coat, mit Manchester-Slang im Mund und funkelndem Sternchen im Ohr schlürft er Mineralwasser und Kaffee (Zigaretten und Alkohol hat er seit langem aufgegeben. Kurz: ein wirklich netter Durchschnittsjunge, dem man gerne helfen würde, wenn er seinen letzten Wochenlohn beim Bingo-Spiel verloren hätte.

Pete, welche Drogen nimmst Du? (Diese erste Frage an ihn kann ich mir in Anbetracht der ziemlich verklärten/vernebelten Songs „Yesterday’s Not Here“ und. „Qu’est-ce que c’est que ca“ von seiner LP HOMOSAPIEN nicht verkneifen.

„Ich habe Grass geraucht, doch brauche ich das nicht ständig. Manchmal nehme ich überhaupt nichts, doch wenn mir jemand was anbietet, dann ist es schwer zu widerstehen.“

Aber Pete, wie kommt das Mystische, Schwammige in deine Stücke?

„Ich glaube nicht, daß diese Songs mystisch sind. Die Texte scheinen nur so. Es ist doch ganz natürlich, daß man darüber nachdenkt. ‚Qu’est-ce que c’est que ca‘ handelt davon, wie ich die Welt im allgemeinen und im besonderen sehe. Jedesmal wenn ich ein neues Stück schreibe, versuche ich – und manchmal gelingt es mir auch – einen weiteren Aspekt meiner Sicht verständlich zu machen. Ich habe keine Botschaft, die ich den Leuten bringen will. Meine Songs haben kleine Melodien, zu denen man tanzen und sich selbst amüsieren kann. Meine Texte nehme ich nicht so ernst. Manchmal ja, aber ich mag’s unbeschwert, ein wenig ironisch! Ich bin kein Philosoph mehr ein bedeutender, einsamer Kerl. Gibt es denn überhaupt eine Antwort?“

Auf was denn?

„Eine Antwort auf das Leben. Was macht es schon, wenn es keine Antwort/Erklärung gibt?“

Bist Du Anhänger einer Philosophie oder Religion?

„Ich bin von den Dingen beeinflußt, die ich verstehe. Ich glaube, daß es dumm ist, wenn man in der westlichen Welt den Einfluß der christlichen Religion unterbewertet, den sie auf uns alle gehabt hat und immer noch hat. Es ist doch großartig, wenn man in eine Kathedrale geht und all den Glanz empfindet. Als würde Gott auf dich runtersehen… Auch der Zen-Buddhismus gibt mir etwas, worüber ich nachdenke. Ganz überzeugt hat mich bisher keine. ‚There are absolutely no absolutes.‘ Noch macht Pete Shelley Platten. Was hört er zu Hause?

„Residents, Talking Heads, Beach Boys, Can, Fun Boy Three, Human League, Altered Images, einige Heaven-17-Stükke. Snakefinger. Die meisten Platten kaufe ich nicht, sondern gehe zu den Plattenfirmen und hole sie mir. Dadurch verpasse ich natürlich viele …“

Wie kam die Trennung von den Buzzcocks?

„Wir wollten gerade unser viertes Album mit Martin Rushent. (Anm.: Produzent der Buzzcocks-LPs und des Shelley Albums HOMOSAPIEN) aufnehmen und gingen mit ihm ins Studio. Doch da wir keine Demos meiner Stücke hatten, lud mich Martin in sein Studio ein, um ein paar Demos zu machen. Eines der ersten war der Song ‚Homosapien‘. Und da dieses Demo genauso war, wie Martin und ich uns das Stück vorstellten, wäre es ein bißchen blöd gewesen, zurück zur Gruppe zu gehen, um ihnen zu sagen: genau so soll das Stück sein. Also nahmen Martin und ich noch ein paar Songs auf, um sicher zu gehen, daß „Homosapien“ kein Zufall war. Dann ging ich zur Band und sagte, daß ich von nun allein arbeiten werde.“

Zusammen mit den Buzzcocks konntest Du diese/deine Ideen nicht verwirklichen?

„Doch, ja! Doch ich war an dem Punkt, wo ich die anderen drei nur benutzte. Ohne wirklich mit ihnen zusammenzuspielen. Die Stücke klangen so, wie ich sie haben wollte, und dafür brauchte ich keine Band mehr.“

HOMOSAPIEN, das Shelley-Album mit den schnellen Rock-Disco-Rhythmus-Stücken und dem langsamen Material, das Emotion und Analyse liefert, wurde von ihm mit elektrischer und akustischer Gitarre, einigen Snare-Becken und programmierten Maschinen (Linn-Drum-Machine + Roland-Micro-Composer) erstellt. Also lieber mit einem Computer als mit einem Buzzcock arbeiten?

Mit Maschinen kannst du leichter das Fundament eines Songs aufbauen, ohne all die Schnörkel, die ein Schlagzeuger hineinbringt. Wenn du eine Linn-Drum-Machine programmierst, dann spielt sie genau das, was du willst. Du bekommst das Gefühl, das du haben willst, von der Maschine, ohne daß du es einem Schlagzeuger beibringen mußt. Die Elektronik in der Musik ist nicht mehr kosmisch, oder Science-Fiction. Sie ist alltägliche Realität.“

Auf der Bühne spielt Shelley frisch und munter sein HOMOSAPIEN-Material. Begleitet wird er von einer 8-Spur-Band-Maschine, die die Keyboards-Teile und die Backing Vocals liefert, und von zwei Wesen der Gattung Homo Sapiens: Steve Garvey am Baß – und Jum Russel am Schlagzeug (er spielte mal mit den Inmates). Shelley spielt seine 12saitige Gitarre, das Publikum tanzt und amüsiert sich. Neun Selbst-Amüsierer springen auf die Bühne und spannen einen Regenschirm auf und tanzen. So leicht kann HOMOSAPIEN sein…