Peter Gabriel


Er experimentiert lange und reichlich. Und gibt sich trotzdem nie zufrieden. Erstaunlich, daß bei dieser verbissenen Kopfakrobatik noch soviel Herz übrigbleibt.

ME/SOUNDS: Vier Jahre sind seit dem letzten Album vergangen. Warum hat’s so lange gedauert?

GABRIEL: „Also, das Live-Album mitgezählt, sind es eigentlich nur drei Jahre. Ich habe danach einige Konzerte gegeben, bin dann privat etwas herumgereist, u.a. nach Brasilien. Anschließend begann ich an neuen Songs zu schreiben, dann kam der Soundtrack zu ‚Birdy‘: dafür brauchte ich etliche Monate. Und vom Februar ’85 bis zum Februar ’86 habe ich an SO gearbeitet.“

ME/SOUNDS: Lebst du nach wie vor in England?

GABRIEL: Ja, in Bath, inzwischen allerdings in einem anderen Haus.“

ME/SOUNDS: Du bevorzugst also immer noch das Landleben ?

GABRIEL: „Ich habe eine Menge Zeit in Großstädten verbracht -— und wenn ich nicht dort arbeiten muß, ja. Und ich habe zwei Kinder, und für die ist es ein besserer Platz.“

ME/SOUNDS: Man behauptet von dir, du seist als Interviewpartner interessant, aber schwierig?

GABRIEL: „Ach ja? Nun. ich habe viel Zeit damit verbracht, mich zu verkaufen. Ich bin ein reisender Geschäftsmann und akzeptiere das. Aber auf Tourneen mag ich keine Interviews. Sie irritieren mich. Und vielleicht bin ich dadurch in den Ruf geraten, schwierig zu sein. Oder meinst du, daß Musiker das von mir behaupten?“

ME, SOUNDS: Nein, die Presse.

GABRIEL: „Meiner Meinung nach habe ich auf einer Tournee zunächst einmal dafür zu sorgen, daß die Konzerte gut werden. Jeder Mensch hat nur eine beschränkte Menge an geistiger Konzentration und Energie. Und es ist einfach besser, diese in einen Auftritt zu stecken!“

ME/SOUNDS: Gibt es neue Tourneepläne?

GABRIEL: „Ja, entweder Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres. Ich muß mich erst entscheiden, ob ich eine mehr musikalische Show mit etwas visueller Anreicherung — oder aber eine ausgesprochen visuelle Show mit Projektionen und Dias mache. Das habe ich bei THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY sehr genossen. Auch das, was ich bei Laune Anderson Shows gesehen habe.“

ME/SOUNDS: Heißt das wieder mehr Show auf der Bühne?

GABRIEL „Auf eine andere Weise als früher aber. Ich bin jetzt zehn Jahre älter und habe einen anderen Geschmack. Ich sehe manche Dinge vielleicht sogar besser.“

ME/SOUNDS: Vor zehn Jahren hast du mir auch gesagt, Video wäre für dich das interessanteste Medium, die Kombination visueller und musikalischer Dinge sei für dich geradezu perfekt. Bislang aber hast du auf diesem Gebiet nicht allzu viel gemacht.

GABRIEL: „Ich habe ein paar Videos gemacht — und die Absicht, mehr als das zu machen, ist immer noch vorhanden. Ich mache ja immer das. was ich will, allerdings erst mit erheblicher Verzögerung. Im Moment versuche ich gerade, in meinem Studio neues Equipment zu installieren, so daß ich dort auch meine Videos herstellen kann.

Im Moment sind Videos ja nur bessere Werbespots. Ich möchte dagegen ein Longform-Video machen, eine Art Kurzfilm mit unterschiedlichem Tempo. Atmosphären und auch verschiedenen Musikarten. Ein Video also, das nicht so eindimensional und direkt mit einem Verkaufsprozeß gekoppelt ist.“

ME/SOUNDS: Hast du nicht auch die Londoner Filmhochschule besucht ?

GABRIEL: „Nein, ich hatte zwar einen Studienplatz, habe mich aber statt dessen für die Musik entschieden. Ich war nur ein Enthusiast. Und bin es immer noch. Aber ich habe im Laufe der Jahre etwas über das Video- und Filmemachen und Filmmusik gelernt, das auch meine Inspiration bereichert hat.

Die Zeit macht mir dabei kein Kopfzerbrechen. Ich bin sowieso der Meinung, daß Rockmusiker, die über Nacht diesen Mega-Status erreichen, tatsächlich meinen, daß sie tatsächlich alles können. Aber diese Künste, ob es nun Filmemachen oder Schauspielern ist, erfordern ein Können, das man erst im Laufe der Zeit erlernen kann.“

ME/SOUNDS: Bist du eigentlich an der Schauspielerei interessiert?

GABRIEL: „Nein. Vielleicht würde ich die Erfahrung mit einem guten Regisseur wagen.“

ME/SOUNDS: Wie war die Arbeit mit Regisseur Alan Parker für „Birdy“, war das eine kooperative Partnerschaft?

GABRIEL: „Ja. er kam zu mir ins Studio und ging dort alle Sachen mit mir durch. Das war eine interessante Erfahrung für mich, denn normalerweise bin ich derjenige, der alles alleine kontrolliert. Und plötzlich war es so. als würde ich für jemand anderen arbeiten. Ich habe das geradezu genossen, auch wenn ich nicht ständig so arbeiten könnte. Aber ich mochte seine Reaktionen, seinen Geschmack und daß ich ihm bei seiner Arbeit behilflich sein konnte. Es war eine echte Erfahrung.

Man kann sagen, daß er zu einem Drittel der Musik, die ich bereits fertig vorlegte, Ideen beisteuerte; zu einem Drittel habe ich Stücke komponiert, die wir nur in Teilen benutzten, und zu einem weiteren Drittel habe ich direkt auf den Film hin komponiert.“

ME/SOUNDS: Sun bist du schon lange im Musikgeschäft, aber es war deine erste Filmmusik. Hattest du Angst, die Aufgabe nicht bewältigen zu können?

GABRIEL: Ja, es ist einfach, Fehler zu machen. Und wie gesagt: Es ist eine eigene Profession, die man lernen muß. Aber ich hatte Glück und ich bin damit klargekommen.

Diesen momentanen Trend aus Hollywood, wo jeder Film-Soundtrack fünf Rockstars und zwei MTV-Videos haben muß, finde ich zum Kotzen. Manchmal funktioniert’s ja, aber es ist für jeden Film ein Armutszeugnis, daß er so verkauft werden muß. Unglücklicherweise können die Medien-Zare mit dem Plattenverkauf noch mehr Geld verdienen — und deshalb fördern die Filmfirmen das auch.“

ME/SOUNDS: Einer deiner früheren Kollegen, Phil Collins, ist ja ganz dick in diesem Geschäft. Seht ihr euch überhaupt noch?

GABRIEL: Ja, ab und zu mal: wir sind halt beide beschäftigte Leute. Ich glaube aber, wir kommen ganz gut miteinander aus.“

ME/SOUNDS: Magst du die Songs, die er für Filme komponiert?

GABRIEL: „Ich finde, daß er das, was er macht, sehr gut macht. Allerdings gibt es in seiner Musik Dinge, die ich mehr schätze als seine Filmballaden. Aber das ist Geschmackssache. Ich bin beeindruckt von dem, was er macht.“

ME/SOUNDS: Deine Zeit mit Genesis war mit THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY 1974 zuende. Für die Band waren Album und Tournee der bis dahin größte Erfolg. Warum bist du danach gegangen? Hattest du Angst vor dem Erfolg? Oder war einfach der richtige Zeitpunkt gekommen ?

GABRIEL: „Die Frage kenne ich sehr gut.“

ME/SOUNDS: Da bin ich mir sicher.

GABRIEL: „Es gab eine Menge Gründe: Einerseits schien der Erfolg automatisch zu diesem Endlosmuster Album. Tournee, Album, Tournee zu führen, was ich nicht besonders interessant finde. Und dann entsteht ja auch oft die Tendenz, daß man nur noch für den goldenen Tantiemen-Scheck produziert, und das ist gefährlich.

Ich hatte auch persönliche Probleme. Ich wollte nicht dieser Schablonen-Rockstar werden, während die Band dazu tendierte, einfach dasselbe zu wiederholen, um den Erfolg zu halten.

Zu dieser Zeit kam mein erstes Kind auf die Welt, ein Mädchen, und in den ersten zwei, drei Wochen sah es so aus, als ob sie nicht überleben würde. Für mich war das sehr wichtig, viel wichtiger als eine Platte oder Genesis. Und die Band verhielt sich ein bißchen verständnislos, was zu Differenzen führte.

Und dann gab es auch außerhalb von Genesis Projekte, die mich interessieren. William Friedkin,der gerade den ‚Exorzist‘ gedreht hatte, bot mir an, bei einem Projekt meine Ideen einzubringen. Er wollte dafür Leute, die noch nie in Hollywood gearbeitet hatten, wie zum Beispiel Tangerine Dream, zusammentrommeln. Aber auch darauf reagierte die Band abweisend. Sie befürchteten, ihre eigenen Karrieren könnten darunter leiden. Es gab also eine ganz Reihe von Gründen.

Und nachdem es dann eben so passierte, hatte ich meine Unabhängigkeit und Ruhe und konnte meinen eigenen Interessen nachgehen. Was dann die anderen in der Band ja dann ebenfalls gemacht haben. Und damit wären alle Fragen zu Genesis von meiner Seite beantwortet.“

ME/SOUNDS: Deinen Solo-Projekten war ja zunächst wechselhafter Erfolg beschieden. Doch jetzt, mit SO, scheint sich der Erfolg unmittelbar einzustellen, wenn man etwa die Single „Sledgehammer“ in den Charts verfolgt. Glaubst du, daß du mit dieser Art von Erfolg inzwischen besser umgehen kannst ?

GABRIEL: „Die Situation ist jetzt ein bißchen anders. Ich mache immer noch die Musik, die ich machen will. Aber in gewisser Weise kam. nachdem ich mich in die experimentellen Sachen gestürzt hatte, auch der Wunsch wieder, etwas solidere Musik, richtige Songs, zu schreiben. Ich mache eine Platte nur, wenn ich wirklich dazu Lust habe. Ob das jetzt zwei oder vier Jahre bedeutet oder nur zwei Monate. Das hat man inzwischen kapiert. Und dadurch fühle ich mich besser. Wenn du so willst, dann bin ich erst jetzt wirklich der. der seine eigene Bestimmung kontrolliert.“

ME/SOUNDS: Kannst du es dir leisten ?

GABRIEL: „Die Bestimmung? Ich tu mich damit immer noch schwer. Oder meinst du die Arbeitsweise?“

ME/SOUNDS: Die Arbeitsweise.

GABRIEL: Ja. bis jetzt schon. Ich habe das Geld, das ich verdient habe, in Studio-Equipment gesteckt: dadurch habe ich keinen finanziellen Druck. Die meisten Musiker geben eine Menge Geld für Studios aus. weil sie ja die reguläre Studiozeit bezahlen müssen. Da bleibt dann am Schluß nicht mehr viel übrig. Und wenn man unter dem Druck der Plattenfirma steht, muß man sich auch auf Kompromisse einlassen. Ich besitze jetzt eine eigene Ausrüstung, kann mir also Zeit lassen, und ich kann Musik produzieren, ob sie nun jemand kauft oder nicht.“

ME/SOUNDS: Du hast mir mal gesagt, daß du ziemlich phlegmatisch bist. Jemand muß dich anschieben.

GABRIEL: „Also gut, nenn mir einen Abgabetermin, und ich werde ihn sicher nicht einhalten. Es macht mir Spaß. Dinge zu erforschen -— auch wenn das zeitraubend ist. Zum Beispiel auf diesem Album: Da sind zwei Songs, die fast komplett geschrieben wurden. Die B-Seite der ‚Sledgehammer‘-Single, ‚Dont’t Break This Rhythm, und ‚Mercy Street‘ sind ein und derselbe Song. Aber sie klingen völlig verschieden. Neue Worte, neue Melodien, etwas veränderte Akkorde. Du kannst den Prozeß von Stadium 1 auf der B-Seite hören, die dann in einem langen Aufnahmeprozeß zu Stadium 2 führte, zu .Mercy Street.“

ME/SOUNDS: Der Song ist Anne Sexton gewidmet, wer ist das?

GABRIEL: „Eine amerikanische Autorin. Zufällig fand ich ihr Buch in einem Laden: es hat mich tief bewegt. Sie war eine einfache Hausfrau ohne Schreiberfahrung und im Alter von 28 Jahren in einer Nervenheilanstalt. Weil sie Worte zu faszinieren schienen, brachte ein Arzt sie auf die Idee zu schreiben. Sie begann nur für sich selbst zu schreiben, ohne je daran zu denken, veröffentlicht zu werden. Das ist wie Naive Malerei: Leute, die nur für sich selbst arbeiten, die überhaupt nicht darüber nachdenken, wie das aufgenommen werden könnte.

Das bringt Unschuld. Reinheit und Stärke hervor, und das hat mich eben bewegt. Ich konnte dieses Buch nicht mehr vergessen — und somit sind Sätze daraus in den Song eingeflossen.“

ME SOUNDS: Wenn man einen Peter Gabriel-Song hört oder liest, dann mußte man eigentlich wissen, was in deinem Kopf vorgegangen ist. Zumindest auf den früheren Alben aber gab es eine Menge Rätsel in den Texten.

GABRIEL: „Manchmal, wie bei ,Biko‘ habe ich etwas Direktes, Eindeutiges mitzuteilen. Und dann versuche ich, es auch deutlich auszusprechen. Aber ich genieße es, wenn ich die Musik anderer Leute höre und langsam die Worte erfasse und durch die Worte Bilder ausgelöst werden. Am Anfang fängt mich immer die Atmosphäre der Musik ein. Aber dann, Satz für Satz, kommen die Bilder.“

ME /SOUNDS: Verstehst du selbst deine Texte ?

GABRIEL: „Nach einer Menge Interviews, ja.“

ME/SOUNDS: Eines deiner frühen Idole war Otis Redding. Und ich habe das Gefühl, daß seine Musik auch einen Einfluß auf das SO-Album haue?

GABRIEL: „Sledgehammer ist sicher ein Titel, mit dem ich versucht habe, einen 60er Jahre-Song nachzumachen. Und es war aufregend, denn der Trompeter, Wayne Jackson, spielte früher für Otis Redding. Ich habe als Teenager die Schule geschwänzt, um ein Konzert von Otis zu sehen, in einem Underground-Club voller Schwarzer; das aufregendste Konzert meines Lebens. Und es war natürlich toll, daß sein früherer Trompeter nun auf meiner Platte mitspielte. Und er erzählte mir all diese Geschichten über Otis Redding.“

ME/SOUNDS: Wenn er heute noch leben würde: Hättest du vielleicht versucht, mit ihm zusammenzuarbeiten ?

GABRIEL: „Er ist ein großartiger Musiker gewesen und natürlich Klassen besser als ich selbst; das hätte vielleicht Probleme gegeben. Aber ja doch, ich würde ihn sehr gerne treffen, als Fan. Ich denke, er war sehr innovativ. Und er wäre sicher in der Lage gewesen, eine Menge moderner Einflüsse aufzunehmen, z.B. afrikanische Sachen. Einige Soul-Musiker sind in Afrika ungemein populär und haben auch die afrikanische Musik beeinflußt. Er hätte wohl auch auf diesem Gebiet seine Wirkung hinterlassen.“

ME/SOUNDS: Du bist schon immer an Ökologie und Politik interessiert gewesen. Der Song ‚Red Rain‘ ist zwar vor der Katastrophe in Tschernobyl entstanden. Aber hat er trotzdem mit diesem Thema etwas zu tun ?

GABRIEL: „Obwohl diese Erklärung sehr praktisch wäre. nein. Ich habe da eher an eine private Sache gedacht, an die Verneinung der Gefühle — eine Zeit, in der Leute ihren Schmutz und die angestaute Scheiße nicht rauslassen können. ,Red Rain‘ also kein politischer Song, sondern ein persönlicher über Leute, die nicht ausdrücken können, was in ihnen an Schmerz und Aggression vor sich geht. Aber durch das nukleare Desaster hat .Red Rain‘ natürlich aktuelle Bezüge bekommen. Ich bin wirklich aufgebracht. Es ist einfach unglaublich, daß man eine solch gefährliche Energiequelle benutzt, wenn es eindeutig andere Möglichkeiten gibt. Ich glaube, in vielen Ländern ist dies nur eine bequeme Vernebelungsaktion für die nukleare Militärentwicklung.

Ich hoffe, daß dieses Desaster wenigstens einen Sinn hat, daß es Konsequenzen hat. Vielleicht begreifen die Leute, daß bereits ein relativ kleines Unglück die ganze Weit beeinflussen kann. Ich hoffe, die Angst der Leute wird so groß, daß sie protestieren und auf ihre Gefühle hören.

In England gab es nicht einmal ausreichende Informationen darüber, was in anderen Ländern vor sich eing. Ich finde das ekelhaft, wie man mit den

Informationen umgegangen ist. Wahrscheinlich nur mit dem Hintergedanken, es könne eine Panik ausbrechen. Wir haben ein Recht auf diese Informationen. Die Art. wie die Informationen vermittelt wurden, hat mir genausoviel Angst gemacht wie die atomare Wolke selbst.“

ME/SOUNDS: Kannst du deinen Kindern erklären, was da passiert ist? Hast du es versucht?

GABRIEL: .Ja. ein bißchen. Aber das ist schwer. Wie kann man etwas begreifen, was man nicht sehen kann, es sei denn, du rennst mit einem Geigerzähler herum.“

ME/SOUNDS: Ein anderes Thema: Du hast unlängst mit zwei Frauen gearbeitet, die sehr unterschiedlich sind: Kate Bush und Laune Anderson. Wie waren deine Erfahrungen ?

GABRIEL: „Das ist wahr, sehr unterschiedlich, aber beide ungemein talentiert. Mit Laurie Anderson war ich an einem Video-Projekt beteiligt, aus dem nie etwas geworden ist. Ich wollte sie davon überzeugen, daß sie mehr als komische Figur auftreten sollte, weil sie meiner Meinung nach chaplinesque Qualitäten besitzt, was ich sehr mag.

Doch dann kam ein Projekt für eine Fernsehstation dazwischen, von der wir 1984 beide eingeladen wurden, etwas auf dem Videosektor zu machen. Aus Zeitgründen beschlossen wir, zusammenzuarbeiten. So entstand dieser Song, der zuerst ,This It The Picture“ hieß und den sie dann in ,Excellent Birds“ umbenannte, der jetzt aber wieder seinen ursprünglichen Titel hat. Song und Video haben wir in drei Tagen gemacht, sehr schnell für mich. An ihrer Arbeit mag ich am meisten die Ideen, ihre Vorstellungskraft. Ich hoffe, daß noch mehr Leute mit diesem kreativen, visuellen Hintergrund in die Popmusik einsteigen.

Kate kam zu mir, um mir bei ‚Don’t Give Up‘ auszuhelfen. Ich hatte den Song, in dem es um Familienverhältnisse geht, bereits aufgenommen. Genaugenommen geht es darum, daß diesem Mann niemand mehr zuhört, weil er sich selbst nicht mehr leiden kann. Und dann kam mir die Idee, das Ganze würde vielleicht noch stärker wirken, wenn er in diesen Teilen des Songs plötzlich die Stimme einer Frau annimmt.“

ME/SOUNDS: Seit etlicher Zeit gibt es ja auch den Typ von Rockstar, der nur noch Platten und Videos macht, keine Konzerte, keine Interviews. Wenn du nochmals anfangen könntest, würde dir das gefallen?

GABRJEL: „Ich würde die Konzerte vermissen, weil man eine Menge lernt. Die Leute machen dir sehr schnell klar, wenn du ihre Aufmerksamkeit verloren hast. Wir betreiben ja Kommunikation durch Gefühle und musikalische und textliche Ideen. Und Konzerte sind sicher für einen Kommunikator ein gutes Training. Und sie sind auch aufregend. Ich möchte sie nicht ständig machen müssen, aber manchmal genieße ich sie sehr.“

ME/SOUNDS: Wenn du Rückschau hältst auf fast 20 Jahre Rockkarriere, stößt du da auf etwas, was du damals falsch gemacht hast und was du gerne korrigieren würdest?

GABRIEL: „Nein, das bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Klar, wenn ich mich zurückerinnere, dann finde ich manches peinlich, aber das ist normal. Das gehört zum Erwachsenwerden, du lernst, dein Geschmack verändert sich. Sich über die Vergangenheit zu grämen, ist nur verschwendete Zeit und Energie. Es ist besser, sich auf das zu konzentrieren, was man jetzt macht.“

ME/SOUNDS: Viele Rockmusiker benutzen am Anfang ihrer Karriere Kostüme, Masken, Phantasiepersonen, die sie später fallenlassen. Auch du hast das gemacht. Ist das Unsicherheit, die man so überspielt, eine Schutzmaske, hinter der man sich versteckt ?

GABRIEL: „Ich glaube nicht. In unserer Kultur sagen die Leute, man verstecke sich hinter einer Maske, also aus Unsicherheit. Aber in anderen Kulturen ist die Maske ein befreiender Mechanismus. Es ist ein Hilfsmittel, mit dem die Leute ihre Persönlichkeit ausleben können. Wenn man die alten Maskenbälle betrachtet, dann kann man feststellen, daß die Leute sich viel mutiger verhalten haben. Ich würde also behaupten, die Maske ermöglicht uns, die Persönlichkeit hervorzukehren statt sie zu verstecken.

Und in der Geschichte der Popmusik gab es immer diese Tricks, besonders in England, wo man aufgrund der starken Konkurrenz Aufmerksamkeit erregen muß. Du mußt anders als die anderen sein. Auch Chuck Berry mit seinem Entengang und Pete Townshend mit seinem Armkreisel benutzen diesen Trick. Ich mag diese Seite der Rockmusik überaus gerne, weil sie dadurch farbig, interessant, lebendig wird.

Natürlich gibt’s ein paar neue Bands, die ein gutes Image haben, aber keine guten Songs. Letztlich ist es natürlich so, daß der Künstler seine Basis durch seine Musik aufbaut. Das Problem ist,daß es bei einigen einfach zu schnell geht. Wenn man ihr erstes Album so behandelt, als sei dies nun der wichtigste Kommentar seit Karl Marx, dann wird das zweite meist ein völliger Fehlschlag, Aber Bands, die sich langsam ihr eigenes Publikum durch viele Live-Auftritte aufbauen, wie etwa die Simple Minds, werden durch eine langfristige Beziehung profitieren, die nicht von Image und Hitsingles abhängig ist.“

ME/SOUNDS: Ist es vielleicht ein spezielles Problem der Video-Generation?

GABRIEL: „Nein, ich möchte auch klarstellen, daß diese sogenannten ‚ehrlichen‘ Musiker, die nur Jeans oder Leder tragen, sich ebenso sehr hinter Masken verstecken. Das ist eine ganz bewußte Entscheidung, um eine solche Identität zu kreieren. Im Grunde ist das durchaus gesund. Das Problem mit den Videos ist nur, daß sie die Konzentrationsphase verkürzen, durch diese schnellen Werbespot-Schnitte. Und im Moment werden sie ja nur als Verkaufsmedium benutzt, obwohl man damit viel interessantere Dinge machen könnte.“

ME/SOUNDS: Irgendwann einmal hast du ein Traumprojekt von dir erwähnt, ein Luftschloß von Peter Gabriel -— deinen Lima-Park.

GABRIEL: „Ich habe noch immer dieses Projekt, aber vielleicht dauert die Realisation nochmals zehn Jahre. Aber es macht mich im Kopf glücklich. Es ist ja oft viel befriedigender, sich Dinge nur auszudenken, als sie dann tatsächlich in die Tat umzusetzen.

Letztes Jahr hat mich jemand in Sidney gebeten, auf einem riesigen Grundstück meinen Spieltrieb auszutoben. Momentan treffe ich mich mit den unterschiedlichsten Leuten, um Ideen durchzusprechen und herauszufinden, ob sie realisierbar sind.

Es gibt zum Beispiel die Überlegung, in diesem Park Anlagen zu schaffen, die den Besucher herausfordern, stimulieren, anregen sollen — und auf einer anderen Ebene welche, die ruhig und nachdenklich machen. So haben wir etwa über diese Isolations-Tanks gesprochen und über farbige Räume. Der englische Psychologe Art D. Laing hat in einer tibetanischen Einrichtung winzige weiße Räume gesehen, die durch intensive Farbprojektionen verändert wurden. Er meinte, der Effekt wäre ungeheuer.

Was die Musik angeht, so tappen wir da noch im Neuland, aber man hat herausgefunden, daß es auch da gewisse Harmonien gibt, Intervalle, die uns besonders ansprechen.

Wie gesagt: Es kann noch Jahre dauern, bis solche Pläne realisiert sein werden. Aber auch das Träumen ist eine kreative Arbeit.“