Phil Collins im ME-Interview über Genesis und Jogginghosen (1982)


So etwas passiert doch immer nur Steve Lake, dachte ich. Auf halbem Wege zum Phil Collins-Interview merke ich, daß keine Kassette im Recorder steckt. Also nochmal zurück zum Hotel. Ich mußte versprechen, pünktlich um 16.30 Uhr anzutreten, weil Phils Terminplan bis zur letzten Sekunde ausgenutzt sei. Aber um halb fünf stecke ich noch mitten auf der Oxford Street, stop and go, unglaubliche Menschenmassen. „Long shopping night“, klärt mich der Fahrer auf.

Zehn Minuten Verspätung. Macht nichts. Phil ist auch noch nicht im WEA-Office. Keine Ahnung, wo er steckt. Nur so viel weiß man: Um halb sieben ist ein Wagen bestellt, der ihn zum Schneider bringt. Schneider?! Ja, er muß seinen Bühnenanzug anprobieren…

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Wenn schon Chaos, dann auch richtig. Selten wurden so viele Telefon-Einheiten vergeudet, um ein Rendezvous mit einem Star zu organisieren. Aber die Lage ist auch kompliziert: Phil Collins, in England mit seinen Soloplatten bei Virgin unter Vertrag, wird hierzulande durch die WEA vertreten. Und mittendrin sitzt in Amsterdam, als Koordinationsbüro sozusagen, Flying Dutchman. Und da die Londoner Virgin-Leute kein brennendes Interesse daran haben, die Promotion-Aktivitäten ihres Hamburger Konkurrenten zu unterstützen, wurde quasi in letzter Minute der ganze Interview-Tross ins Londoner WEA-Büro umdirigiert.

„Sorry“ kommt Phil schließlich doch noch hereingestürmt. Ohr-zum-Ohr-Lachen, eine Frohnatur. „Die haben mich bei Virgin so lange aufgehalten!“

In der Zwischenzeit habe ich mich mit dem Londoner Veranstaltungsblatt „Time Out“ beschäftigt und mit Erstaunen gelesen, daß sowohl Kid Creole & The Coconuts als auch Yazoo drei Wochen im voraus ausverkauft sind. Für Phil Collins In Concert With The Fabulous Jacuzzies & The One Neat Guy gibt’s aber noch Karten.

Die Jacuzzies sind Daryl Stuermer (git), Mo Foster (bg), Peter Robinson (keyb) und Drummer Chester Thompson. Dazu die Phoenix Horns, die Bläser-Sektion von Earth, Wind & Fire, bestehend aus Louis Satterfield, Don Myrick, Rhamlee Michael Davis und Michael Harris. Eine Entourage also, die dem endlosen Bandnamen durchaus angemessen scheint. Wies dazu kam? Daryl Stuermer beharrte auf der ursprünglichen Idee „Phil Collins & The One Neat Guy“, während die anderen inzwischen lieber The Fabulous Jacuzzies heißen wollten. Also entschieden sie sich für einen Kompromiß.

Also, was mich betrifft: Meine Texte kommen aus dem Herzen. Aber mit Botschaften habe ich nichts am Hut.

„So, so, du mußt also zum Schneider“. Wir sitzen uns endlich gegenüber.

„Ja, ich muß meinen Bühnenanzug anprobieren, ein weißer Anzug ist das.“

Dein Schneider heißt doch wohl nicht Anthony Price?

„Nein, nein. Contemporary Wardrobe nennen die sich, das sind die Leute, die auch unheimlich viel für Madness machen.“

Für jemanden, der eigentlich extrem wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt, geht Phil Collins mit dem Thema Bühnen-Outfit ganz schön gezielt ans Werk, doch davon später.

Er ist erschöpft, trägt die Hektik aber mit Humor und zwingt sich zur Konzentration. Muß er auch, denn er sieht sich jetzt unversehens mit einer historischen Zitatensammlung konfrontiert: Zitate von drei Musikern, die während der vergangenen Monate im MUSIKEXPRESS über die Grundsätze sprachen, die sie persönlich ihrem Job zugrunde legen. Sauber abgetippt auf einem DIN-A-4-Blatt.

„Wer ist N.Y.? Neil Young?“ Erraten.

Neil Young, der seinen ehemaligen Kollegen vorwirft, sich über die Jahre hinweg überhaupt nicht weiterentwickelt zu haben. Und der nichts davon halt, ständig neue Aufgüsse altbewährter Songs unters Volk zu bringen. Klar, daß er sich da in erster Linie auf Crosby, Stills & Nash bezieht.

„Ich habe sie während der letzten Amerika-Tour gesehen,“ meint Phil, “ und mir hat das auch gefallen. Die Band war toll und ich wollte auch ‚Wooden Ships‘ und ‚Suite Judy Blue Eyes‘ hören! Ich meine, er hat schon recht, sie haben sich nie die Mühe gemacht, mal was anderes zu bringen, aber ich weiß auch nicht, ob sie das dem Publikum unbedingt schuldig sind. Schließlich geht man doch zu QS & N, weil man sowas hören will.“

J.B.? Wer ist J.B.?

J.B. ist Joe Bowie von Defunkt, der erklärte, daß sich Songtexte mit der Realität befassen, wohingegen die Musik direkt aus dem Herzen kommen sollte. Und der erklärte, daß er sich in erster Linie an die nachwachsende Generation zwischen 12 und 20 richte, denn schließlich seien sie diejenigen, die über seine Zukunft entscheiden.

Phil Collins: „Also, was mich betrifft: Meine Texte kommen aus dem Herzen. Aber mit Botschaften habe ich nichts am Hut. Für mich ist es entscheidend, Gefühle auszudrücken und die Leute auf diesem Wege zu erreichen. Ich schreibe keine politischen Songs, bin es auch nicht gewöhnt, über Politik zu sprechen. Ich denke zwar darüber nach. Aber die Entfernung, die so ein Gedanke von hier… bis hier (deutet auf den Mund) zurücklegen muß… „Er grinst. Vielleicht erwartet von dir keiner, daß du über Politik sprichst.

„Das wird’s sein.“

Weiter zu K.R. (Kevin Rowland). Phil liest etwas über Kleidung: „K.R. ist das eine Sie?“

Nein. Kevin Rowland sprach im vorigen ME über die neue Kleiderordnung bei Dexy’s Midnight Runners. Die Kleidung sei ein wichtiges Vehikel, um das musikalische Konzept zu transportieren. Und: „Sich bloß für einen Auftritt aufzudonnern, das heißt doch, daß du die Leute nur anscheißt.“ Wichtig sei, mit den Kleidern auch zu leben.

„Dazu fällt mir ein, daß Status Quo zu ’nem Gig mal in Anzügen angereist kamen und sich für die Bühne in die Jeans zwängten,“ kommentiert Phil. „Da wird’s meiner Meinung nach langsam brenzlig. Mit den Sachen leben, naja …“ Er blickt an sich herunter.. . „Also ich sehe immer unheimlich langweilig aus.“ (Flanellhemd der Marke Levi’s und geräumige Khakihosen.) „Aber ich würde mich deshalb nicht als langweiligen Musiker bezeichnen. Ich habe letztens mal Martin Fry von ABC im Fernsehen beobachtet. Er trug ein Satinjackett, redete aber völlig normal, so wie wir jetzt. Er hatte einfach nicht den Stil, den er versuchte rüberzubringen. Bryan Ferry hat das besser drauf.“

Doch zurück zu Phils Kleiderschrank und damit hinab in die Tiefen seines Unterbewußtseins: „Wenn ich mit Genesis arbeite, fällt es mir leichter, wenn ich den Clown spiele. Ich ziehe mir deswegen unheimlich schlabbrige Hosen an und ein Riesen-T-Shirt. Wer mich so sieht, sagt sich, der kann unmöglich solche Texte singen und das auch noch ernst meinen. Ich will, daß die Leute sich entspannen, indem sie lachen. Dann sind sie auch aufnahmefähiger. “

Was würde wohl Freud dazu sagen?

„Freud? Keine Ahnung. Aber was würde der wohl zu meinen Texten sagen…?“ Phil grient listig. „Zu ‚Through These Walls‘ zum Beispiel, hm ?“

„Through These Walls“ ist Phils neue Single von der neuen LP HELLO, I MUST BE GOING. Diese clever gemachte Lauscher-und Voyeur-Ballade war mir schon in einer Londoner Boutique in die Ohren gerieselt. Garantiert ein Hit, aber ich halte es lieber mit seiner Cover-Version des Supremes-Oldies „You Can’t Hurry Love“ im aufpolierten Detroit-Sound.

Aber wir kommen vom Thema ab. (Keine Angst, mehr über die Platte steht im LP-Teil!).

Wie war das mit Genesis, warum spielt er da den Clown?

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„Es fällt mir dann nicht so schwer, einen Song zu singen, den ich überhaupt nicht verstehe. Supper’s Ready‘ zum Beispiel. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was dieser Song bedeutet. Und ich fühle mich dann vor einem Publikum wohler, wenn ich mich selbst nicht so ernst nehme.“

Heißt das, daß du dich im Rahmen von Genesis nicht ernst nehmen kannst?

Er muß lachen, rauft sich die Haarstoppeln. „Ich seh schon, wie ich mich hiernach um Kopf und Kragen rede,“ gluckst er. „Also! Ich weiß nicht, wie man das deuten soll. .. auf jeden Fall ist es so, daß es bei Genesis Stücke gibt, die ich problemlos singen kann und dann wiederum gibt es welche, die ich singen muß. Die sind eher fragmentarisch. Ich sehe keinen Sinn darin, zu versuchen, das ernsthaft weiterzugeben. Ich kann das besser überspielen, wenn ich etwas habe, worauf ich mich zurückziehen kann… Meistens versuche ich, die Texte zu ignorieren und nur den Sound zur Musik zu liefern. “

Das ist ja hochinteressant.

„So?“ Er schmunzelt.

Nun, Genesis ist im Grunde ja nicht der Inbegriff einer besonders humorvollen Band. Deine Kollegen lächeln ja nicht mal.

„Nicht ganz,“ schreitet Phil jetzt ein.“ Tony lächelt nicht so viel, weil er ein unheimlich zurückhaltender Typ ist. Er macht oft einen ziemlich sturen oder arroganten Eindruck, aber er ist einfach zu schüchtern. Er mag es auch überhaupt nicht, wenn ich ihn auf der Bühne ansage. Und Mike fängt gerade erst an, zu sich selbst zu finden. Ich meine, die haben auch einen unheimlich merkwürdigen Background. Sie mußten Schulen besuchen, auf denen sie sich nicht wohlfühlten, mit Leuten umgehen, die sie nicht mochten, und Dinge tun, die ihnen gegen den Strich gingen. Das kommt dann dabei heraus. Ich dagegen stand schon früh auf der Bühne und das ist bekanntlich ein Tummelplatz für frühreife, großkotzige und eigenwillige Kinder. Ich bin also völlig anders aufgewachsen. Im Gegensatz zu mir sind die beiden viel zurückhaltender, aber wir nehmen uns trotzdem nicht übermäßig ernst – auch wenn es den Anschein hat.“

Apropos Ernsthaftigkeit. An dem nächsten Zitat hat Phil eine Weile zu knabbern. Steve Winwood erklärte im ME vom Oktober, daß auf Dauer nur der gute Handwerker sich durchsetze und daß der Mythos der Selbstzerstörung „ein Relikt aus den existentialistischen 20 cm“ sei. Was auch immer er darunter verstehen mag.

„Yeah,“ stöhnt Phil. „Natürlich, wer etwas kann, setzt sich letztendlich durch. Aber ich fand die Idee, daß jeder Gitarre spielen und singen kann, unheimlich gut, obwohl Musiker, die dann imstande sind, etwas mehr Vielfalt und Stil reinzubringen, auf Dauer besser dran sind. Ich fand die Sex Pistols toll, ihre Platten klangen auch gut. Und Lydon’s Stimme besaß Charakter. Aber hier mit diesem Selbstzerstörungs-Ding kann ich nichts anfangen. Wer hat das gesagt?“

Steve Winwood.

„Steve Winwood? Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Existentialistische 20er… Vielleicht mient er damit den zornigen jungen Mann als Künstler? Kevin Rowland verkörpert das für mich, wenn ich ihn so betrachte. Aber selbstzerstörerisch? War Jim Morrison selbstzerstörerisch?“

Durchaus, meine ich, ohne die Feinheiten der englischen Sprache zu beachten. Elvis Presley auch, Janis Joplin…

Ja, sie haben sich kaputt gemacht – aber waren sie deswegen selbst-destruktiv? Ich glaube nicht, daß John Belushi von den Blues Brothers darauf hingearbeitet hat, sich umzubringen. Er hat sich einfach nur zu intensiv amüsiert, bis es ihn umgehauen hat.“

Umgehauen, wenn auch im weitaus positiveren Sinne, war Phil vom Angebot einer äußerst charmanten Frau, die ihn gebeten hatte, ihre Solo-LP zu produzieren: Frida.

„Ich fühlte mich unheimlich geschmeichelt, denn von Abba kommt einfach großartige Popmusik. Und sie fragten ausgerechnet mich…! Für mich war das eine wertvolle Erfahrung. Die Produktion, die Auswahl des Materials, die Suche nach den Musikern, Überwachung des Zeitplans und des Etats. Und ich mag sie sehr. She’s a very, very sweet lady – und sie hat wirklich die höchsten Anforderungen an sich gestellt.“

Nachdem Phil Collins seine erste Solo-LP bewußt black konzipierte, wollte er mit HELLO… ein eher „weißes“ Album machen. Glücklicherweise hat er dabei nicht sein komplettes Soul-Reservoir ausradiert. Hatte er sonst auch die Bläser von Earth, Wind & Fire engagiert?

„Als Drummer geht es mir darum, die Bläser perkussiv einzusetzen. Und Maurice White von E, W&F setzt seine Bläser äußerst perkussiv ein. Und gottseidank stehen sie auf meine Musik genauso wie ich auf ihre, also haben wir uns entschlossen zusammenzuarbeiten.“

Phil Collins im weißen Anzug vor seiner Big Band …. Witzig, eigentlich sollte ich den Anzug bei Genesis tragen“, fährt es ihm durch den Kopf. „Ich bin nie gut gekleidet und dann ausgerechnet auf meiner eigenen Tour im Anzug – das ist schon eigentümlich.“

Wird das jetzt professionelles Entertainment im ganz großen Stil?

„Nicht unbedingt. Genesis sind nicht mehr oder weniger eine unterhaltende Gruppe. Nein, jetzt „er bemüht sich um leicht ironischen Einschlag „singe ich die Songs, die tief aus meinem Herzen kommen. Da muß ich mich nicht mehr verstellen. Außerdem muß ich etwas anziehen, was sich extrem von dem unterscheidet was ich bei Genesis trage. Nachher sieht es nur so aus, als ob die alte Trainingshose mal reif für die Waschmaschine war.“