Interview

Phil Oakey von The Human League: „Dass ich keine Drogen nahm, hat uns gerettet“


The Human League touren gerade durch Deutschland. Wir trafen Sänger und Songwriter Phil Oakey vorab zum Interview und sprachen mit ihm über Take That, die guten alten Achtziger, den Brexit, Bühnnenoutfits und einen wegweisenden Tipp, den sie einst von David Bowie erhielten.

Sie arbeiten mit jungen Musikern in Ihrer Live-Band.

Wir haben zwei neue Musiker, ja. Und da merke ich immer wieder: Junge Leute haben ein anderes Verständnis von Musik, was ich sehr irritierend finde. Die Art, wie Musik heutzutage gemacht wird, ist konsumorientierter.

„Die großartigste Band der Neunziger war für mich Daft Punk“

Inwiefern?

Die Keyboards sind fantastisch, aber übernehmen zu viel der Arbeit. Es ist doch ein Unterschied, ob du ein Foto bekommst oder eine Leinwand mit Ölfarben. Unser Ausgangspunkt war in den Siebzigern und Achtzigern die weiße Leinwand. Nicht mal die Maschinen hatten Sounds aufgespielt. Wir mussten sie selbst machen. Heutzutage klingen die Maschinen wie ein ganzes Orchester, wenn du den richtigen Knopf drückst. Das ist ziemlich desillusionierend.

 Glauben Sie daran, dass es noch mal Stars wie George Michael geben wird?

George Michael war für mich ein etwas altmodischer Crooner, auch wenn es natürlich nicht von Nachteil war, dass er für seinen Song „Shoot The Dog“ ein Sample von Human Leagues „Love Action“ benutzte. Ich stehe aber eher auf extremen Krach und Sachen, die dissonant und fast verstimmt klingen. Die großartigste Band der Neunziger war für mich Daft Punk, da gab es viel Verzerrung und Spannung in ihrer Musik.

Was begeistert Sie denn heute?

Das amerikanische Elektrik-Duo Glass Candy war das letzte, das mich begeisterte. Und Cliff Martinez, der die Musik zum Film „Drive“ komponiert hat. Und die Leute, die die Musik zu „Stranger Things“ machen. Es ist doch gut, dass man heutzutage zumindest noch bezahlt wird, wenn man die Musik für einen Film macht.

„Social Media hat der Gesellschaft die Macht entzogen“

Wenn in London 100.000 junge Menschen auf die Straße gehen und gegen den Brexit demonstrieren, erinnert Sie das an früher?

Ich bin mir nicht sicher, ob das vergleichbar ist. Die meisten Leute verstehen heutzutage unter Protest, dass sie auf eine Webseite gehen und das Richtige anklicken. Durch Social Media wurde der Gesellschaft etwas ihrer Macht entzogen. Und es ist fast so, als hätte das Establishment einen Weg gefunden, die Lage zu entschärfen, indem alles etwas im Trüben gehalten wird. Ich bin einfach nur entsetzt über den Brexit.

Was nervt Sie daran am meisten?

Für mich ist es etwas sehr Persönliches. Ich erinnere mich, wie ich 1978 das erste Mal nach Hamburg und Berlin kam. Ich wurde aufs Herzlichste empfangen, die Leute haben sich um mich gekümmert, und wir arbeiteten freudevoll zusammen. So war es auch in Frankreich, Belgien, Schweden. Warum sollten wir diesen Ländern den Rücken zuwenden? Wir sind Europäer, wir können nicht so tun, als wären wir es nicht. Ich mag es mir auch gar nicht anders vorstellen.

Hoffen Sie auf einen soften Brexit?

Keine Ahnung, ob man da auf irgendwas hoffen soll. Ich kann nicht mal sagen, dass ich eine besondere Abneigung gegenüber Theresa May habe, denn zumindest macht sie den Job. Viele Leute in Großbritannien sitzen nur im Sessel und beschweren sich, ohne etwas zu tun – das ist so einfach. Ich denke, sie wird eine Einigung erzielen. Ich fürchte, wir werden die EU verlassen. Doch ich bin mir sicher: In 15 Jahren wird Großbritannien auf Knien darum bitten, den Brexit zurücknehmen zu können.

Was bedeutet es heute, Englisch zu sein?

Nun, ich denke, wir Briten sind ein verbittertes Volk. Diese Vorstellung, dass die Vergangenheit besser ist als sie wirklich war, ist allgegenwärtig. Das schlimmste Versäumnis von Europa ist, niemals in den Vordergrund gestellt zu haben, was die guten Seiten daran sind. Deshalb konnten die rechts gelagerten Zeitungen und Stimmen überhaupt mit ihren albernen Beschwerden über die Europäische Union durchdringen. Aber Europa gibt auch den Rahmen vor, zum Beispiel für Menschenrechte. Und ich glaube an Menschenrechte. Ich glaube daran, politisch korrekt zu sein. Ich glaube an die Einbeziehung aller Menschen und daran, sie gleich zu behandeln. Aber da gibt es immer noch genügend Briten, die sich für überlegen und für etwas Besseres halten.

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Sonst noch was?

Ja, alle sind Konformisten. Als ich jung war, hast du Geld in die Hand bekommen, wenn du auf die Universität gegangen bist. Heutzutage geben sie dir einen Kredit. Auch wenn du den erst zurückzahlen musst, wenn du gut verdienst, hängt der Kredit über dir und deinem Leben. Ganz Großbritannien hat sich in Buchhalter verwandelt. Die Leute fragen sich, was falsch läuft mit unseren Politikern’? Sie sind keine Politiker mehr, sondern Buchhalter.

Der politischste Song, den Human League jemals veröffentlicht haben, ist „The Lebanon“ aus dem Jahr 1984, oder?

Ja, es war ein Statement über den libanesischen Bürgerkrieg. Ich hielt den rockigen Song anfangs für einen Fehler, weil ich dachte, Leute, die auf Synthesizer stehen, würde es entfremden. Und die Leute, die Gitarren mochten, würden uns eh nicht mögen. Es war ein sehr irritierendes Stück aus Sicht der Fans. Aber es kommt heute noch prima an.

Ein Klassiker, den Sie zusammen mit Giorgio Moroder aufnahmen, ist „Together (In Electric Dreams)“.

Der Song hat viel Gutes für mich getan. Giorgio und ich machten dann noch ein komplettes Album zusammen, auf das ich wirklich stolz bin. Ich liebe Giorgio Moroder. Ich sammle immer noch seine Platten. Ich denke immer noch, dass die Leute nicht kapieren, wie großartig er ist. Alle wissen, wie großartig Kraftwerk sind. Aber ich halte Moroder für genauso wichtig wie Kraftwerk, wenn es um Synthesizer, Innovation und schiere Freude geht. Seine Kollaborationspartnerin Donna Summer ist auch schon tot. Noch so ein großer Verlust. Sie war eine meiner Lieblingspopstars.

Genauso bekannt wie die Hits von The Human League ist Ihre geometrische Frisur aus den Achtzigern. War Ihnen damals klar, dass Sie damit einen ikonischen Look kreierten?

Ach, heute spotten die Leute ja gerne drüber, aber das ist in etwa so blöd, als wenn zu König Henry VIII. jemand gesagt hätte: „Oh, schau. Wie lächerlich, du hast Strumpfhosen getragen!“ Wir haben in den Siebzigern unsere eigenen Klamotten genäht. Ich sah damals ein Konzert von Roxy Music, die Hosen trugen, die es nirgends zu kaufen gab. Also besorgte ich mir eine Nähmaschine und machte sie mir selbst. Ich bin stolz auf unseren kühnen Look. Ich wünschte, die Leute wären heute noch so mutig. Es ist schade, dass heutzutage alle recht langweilig aussehen, so als hätten sie Angst, aufzufallen.

Sie wechseln bei den Liveshows immer noch mehrmals die Garderobe.

Ich habe nie aufgehört, Mode zu lieben! Ich liebe Designer wie Antwerp Six, Martin Margiela, Yamamoto und Rick Owens.

Wie kommt es eigentlich, dass Sie und Ihre Band niemals in Skandale verwickelt waren?

Ich denke, dass haben wir Sheffield zu verdanken, wo du weniger auf dem Präsentierteller bist als meinetwegen in London. Wir haben ein paar verrückte Dinge gemacht. Wir sind schon mal in Betten mit Leuten gelandet, mit denen wir dort besser nicht gelandet wären. Ganz so harmlos waren wir dann doch nicht. Aber keiner hat es mitgekriegt.

Also gab es Sex, Drugs & Rock’n’Roll auch bei Human League?

Keine Drogen! Das hat uns wohl gerettet. Wir sind die Generation der Betrunkenen. Als Joanne und Susan 1981 zur Band stießen, hatte ich bereits Schiss vor Drogen. Ich bin da wohl etwas komisch. Aber mein Vater war ein sehr gewöhnlicher, angepasster Typ, und ich wollte nicht, dass die Polizei eines Tages an unserer Tür klopft und sagt: „Ihr Sohn wurde mit Heroin aufgegriffen.“ Also nahm ich nie irgendwelche Drogen; kein Kokain, kein LSD, kein Crack. Und das bedeutete auch, dass ich mich fernhalten konnte von den dunkleren Ecken Sheffields. Keith Richards sagte mal, dass ihn seine Heroinsucht auf der Straße gehalten hätte und er nie abhob, weil er in die dunklen Gassen gehen musste, um sich die Drogen zu beschaffen. Dort sind wir nie gewesen, deshalb blieb uns einiges erspart.

Wie stehen denn die Chancen auf ein neues Human-League-Album?

Ich bin oft in unserem Studio und hätte irrsinnig viel Lust dazu. Ich finde einige der neuen „Roland“-Synthesizer ziemlich aufregend. Wir haben im vergangenen halben Jahr zwölf Synthesizer gekauft – mein ganzes Haus ist voll davon! Aber wir sind derzeit so viel unterwegs, ich komme kaum dazu, neue Songs zu schreiben.

 The Human League spielen noch in Hannover (13.11.), Frankfurt (15.11.) und Köln (16.11.). Als Support treten Shelter auf.